Die Diskussion mit Ertug kurz vor der Europawahl im „Weißen Rößl“ hat so manchem Teilnehmer der Veranstaltung nach eigenem Bekunden allerhand neue Erkenntnisse beschert. Dass etwa die auch von Bundesfinanzminister Olaf Scholz geforderte europäische Arbeitslosenversicherung nichts anderes sei als ein europäischer Fonds, vergleichbar etwa der Münchner Rück, dem großen deutschen Rückversicherer. Ein Fonds, in den alle europäischen Staaten einzahlten, um in einer nationalen Krise dann von dort einen Kredit zu erhalten zur Finanzierung hoher Arbeitslosigkeit. Also eine Art Schutzschirm für in Arbeitslosigkeit geratene EU-Bürger, deren jeweilige Nation akut überfordert sei mit der Finanzierung dieser Unterstützung. Ertug betonte wiederholt auf Nachfragen, es handle sich ausschließlich um Kredite, die von den jeweiligen Staaten zurückzuzahlen seien, sobald die Wirtschaftslage sich bessere.
Kürzere Tiertransporte
Mit großem Interesse verfolgten die Zuhörer Ertugs Ausführungen zum Abstimmungsverhalten deutscher EU-Parlamentarier bei konkreten Anträgen. Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr seien wieder mehr als eine Milliarde lebende Tiere durch Deutschland transportiert worden, viele davon deutlich länger als acht Stunden, sagt Ertug. Ein Antrag des EU-Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, der auf eine Deckelung der Transportzeiten auf wenigstens acht Stunden zielte sowie ein Änderungsantrag, der nur noch vier Stunden Transportdauer am Stück gestatten wollte (http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2019-0057_DE.html), sei vor kurzem erst von den deutschen CDU/CSU- und FDP-Vertretern bis auf zwei Enthaltungen abgelehnt worden; die deutschen SPD-, Grünen- und Linken-Abgeordneten hätten geschlossen dafür gestimmt (http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+PV+20190214+RES-RCV+DOC+PDF+V0//EN&language=EN). In den Heimatwahlkreisen sei derlei oft leider nicht bekannt, dabei sei das EU-Parlament transparenter als jedes andere.
Oskar Salfetter, Vorsitzender des Verdi-Ortsvereins Weiden und Region, betont, man sei nicht bereit, den Neinsagern und Populisten in Europa das Feld zu überlassen. Und Ertug weist darauf hin, dass in Europa schon vielfach Populisten regierten, in Italien, Österreich, Polen, Ungarn. Je niedriger die Wahlbeteiligung am 26. Mai ausfalle, umso stärker würden die Fraktionen der Europa-Gegner. Mit Blick auf diese Entwicklung habe der Brexit möglicherweise sogar sein Gutes, da er zeigen werde, was geschehe, wenn die Populisten sich durchsetzten.
EU im Dauerkrisenmodus
„Wie konnte es soweit kommen?“, fragt Ertug. Die EU sei seit Jahren im Dauerkrisenmodus. Und die Menschen könnten nicht verstehen, dass Banken mit 750 Milliarden Euro gerettet würden, aber vermeintlich kein Geld da sei für eine Lebensleistungsrente. Daher sei es zwingend erforderlich, dass die EU sich weiterentwickle, dass sie stärker sozial gestaltet werde und nicht zur Freihandelszone verkomme.
Ertug spricht sich für einen europäischen Mindestlohn aus, der sich am jeweiligen nationalen Durchschnittseinkommen orientiert. Er muss jedoch zugeben, dass auch ein solcher Mindestlohn, der in Bulgarien vielleicht bei 4,50 Euro liegen werde, die bekannten Verzerrungen etwa im Speditionsgewerbe nicht verhindern könne, wie ein Zuhörer sagt.
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