Fünf Politiker und Stefan Mann, Vorstandschef des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM), der einen Biobetrieb im hessischen Ebsdorfergrund betreibt, diskutieren drei Stunden lang. Die Stimmung entspricht den Kräfteverhältnissen im EU-Parlament.
CSU: Setzen auf siegelgeprüfte Qualität
Eine imaginäre Koalition aus CSU, Freien Wählern und FDP nimmt die Existenzkrise der kleinen Milcherzeuger zur Kenntnis - sieht aber Bayern auf einem guten Weg: "Wir haben mehr vorzuweisen als viele andere Länder", lobt der CSU-Landtagsabgeordnete Martin Schöffel die bayerische Agrarpolitik. Der Vorsitzende des AK Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus Wunsiedel verweist auf siegelgeprüfte Qualität aus dem Freistaat: "Wir setzen darauf, dass die Bürger Produkte aus der Heimat kaufen", sagt der Wirtschaftsingenieur, "wer nur Sonderangebote beim Discounter kauft, hat das Recht verspielt mitzureden", reicht er den Schwarzen Peter an die Verbraucher weiter.
Freie Wähler: Haben Initiative anwendbar gemacht
Tobias Gotthardt, Regensburger Landtagsabgeordnete der Freien Wähler, wehrt sich gegen das Misstrauen gegenüber dem Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Artenvielfalt. "Lassen Sie uns doch die Beschlüsse erst einmal umsetzen", fordert der europapolitische Sprecher der FW-Fraktion.
Dass sich die Regierung nach anfänglichem Widerstand an die Spitze der Bewegung stellt, stößt auf Skepsis. "Wir konnten in zwei parallelen Sitzungen erreichen, die Gesetzesinitiative durch Ausführungsbestimmungen anwendbar zu machen", sagt Gotthardt, "und konnten sie durch viele Punkte wie Blühflächen in Großstädten ergänzen."
FDP: Eingriff in das Eigentum
"Der Entwurf der Bürgerinitiative greift in das Eigentum ein", kritisiert die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicole Bauer aus Vilsbiburg. "Dort heißt es, dass 30 Prozent biologisch bewirtschaftet werden müssen", ärgert sich das Mitglied im Agrarausschuss. "Das bringt nicht zwangsläufig mehr Insekten." Außen vor blieben Steingärten oder Stilllegungsflächen, bei denen die Bio-Diversität gegen Null tendiere.
Ein Aufschlag der Liberalen, der zu einem Aufschrei des Bio-Bauern Josef Schmidt aus dem Steinwaldführt: "Es geht um die großen Flächen, nicht um irgendwelche Steingärten", echauffiert sich der Inhaber des Biolandbetriebs "Grenzmühle". "1,8 Millionen Menschen haben unterschrieben, ich bin schockiert, dass noch immer so wenig passiert."
Grüne: Mehrheit gegen alle Reformvorschläge
"Es ist verheerend, dass eine konservative Mehrheit im Europa-Parlament gegen alle Reformvorschläge einfach so weitermacht", kritisiert der Grünen-Europa-Abgeordnete Martin Häusling aus dem hessischen Bad Wildungen die ganze Richtung der EU-Agrarpolitik. Der agrarpolitische Sprecher hofft deshalb auf die Wahl am 26. Mai: "Ich finde es fatal, dass man weiter voll auf die Ausrichtung auf den Weltmarkt und Rationalisierung setzt."
SPD: Konservativ-liberale Mehrheit setzt weiter auf die Hektarprämie
Enttäuscht von der Abstimmung der Mitglieder des Agrarausschusses über den größten Bericht in der Geschichte des Europäischen Parlaments ist SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl aus Rosenheim: "Die konservativ-liberale Mehrheit setzt weiter auf die Hektarprämie", sagt das Mitglied im Agrarausschuss. "Wer die Umweltauflagen aufweicht, hat weder das Ausmaß des Klimawandels noch den Schwund der Biodiversität verstanden."
BDM: Finte des Bauernverbandes
BDM-Chef Stefan Mann zeigt sich angesichts des Einflusses "sachfremder Kräfte" frustriert: "Warum hat der Bauernverband beim Bürgerbegehren Artenvielfalt plötzlich eingelenkt?" Betroffen seien eben zu 90 Prozent die Milchviehhalter. Man lenke, so seine Vermutung, mit dem Gesetzentwurf vom eigentlichen Interesse ab: "Beim Ackerbau geht es dafür umso industrieller weiter."
BDM-Sektorstrategie
Kernforderung des BDM ist die Sektorstrategie. An die Agrarministerkonferenz am 10. April richteten die Vertreter der Milchbauern die Forderung, das BDM-Krisenmanagement-Konzept umgehend zu installieren, um Marktkrisen effizient begegnen zu können. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Eine Milchmengenbremse, wenn sich wieder einmal eine Überproduktion abzeichnet, die den Markt überschwemmt und den Preis in den Keller drückt. „Auch wenn die CSU hier inzwischen unsere Position unterstützt, am Bollwerk im Bundeslandwirtschaftsministerium führt kein Weg vorbei“, ist BDM-Chef Stefan Mann skeptisch. „Einigt euch erst einmal untereinander“, laute dort der scheinheilige Appell an BDM und Bauernverband, wohlwissend, dass dies aufgrund der Interessenunterschiede und Kräfteverhältnisse kaum möglich sei. Könnte da nicht ein Bürgerbegehren „Faire Milch“ einen Bewusstseinswandel bewirken: „Zumindest könnte man damit aufklären und mobilisieren“, stimmt Mann zu.
Kernforderung des BDM ist die Milchmengenbremse, die scheinbar nun auch von der „CSU unterstützt wird, am Bollwerk im Bundeslandwirtschaftsministerium führt jedoch kein Weg vorbei“, ist BDM-Chef Stefan Mann skeptisch. Waren die vier Vorgänger von Ministerin Klöckner (Schmidt, Friedrich, Aigner und Seehofer) nicht alle bei der CSU? Eine imaginäre Koalition aus CSU, Freien Wählern und FDP nimmt die Existenzkrise der kleinen Milcherzeuger zur Kenntnis – setzt aber die Politik des „Wachsen oder Weichens“ fort. MdL Schöffel sieht Bayern auf einem guten Weg, mit Regionalsiegel. Bei einer derartigen Export- und Weltmarktorientierung nützt ein Regionalsiegel nichts! Fast 50% des hier produzierten Fleisches und der Milcherzeugnisse werden exportiert. Deutschland ist heute weltweit der 3-größte Exporteur von Lebensmitteln. Damit man so billig produzieren kann, hat Deutschland seine Zulassungen von Groß-Betrieben seit den 90er Jahren verxfacht. Die CSU, Freie Wähler und FDP setzten weiter auf eine Förderpolitik die industrielle Großbetriebe begünstigt und bäuerliche Landwirtschaft benachteiligt.
Was haben 70 Jahre Lobbyarbeit des Deutschen- und Bayerischen Bauernverbandes und der Klüngel mit Agrarchemie, Molkereien und Futtermittelindustrie gebracht? Die bayerische Land- und Milchwirtschaft gilt im europäischen Vergleich eher als kleinstrukturiert. Die Verbandspolitik hat die Bauern in eine europaweite Überproduktion getrieben und bayerische Bauern in einen Preis- und Konkurrenzkampf mit Agrarfabriken aus dem Osten, die 2.000 ha und mehr bewirtschaften, sowie einen Großteil der Agrarsubventionen einstreichen. Betrachtet man die Mittelvergabe in Europa, so erhalten sechs Prozent der größten Betriebe 69 Prozent der Hilfsgelder. Der kleine Bauer kann als Nebenerwerbsbauer gerade noch so überleben, der große Agrarökonom, eher Monokulturen anbauend, wird reich. Der gegenseitige Austausch des Spitzenpersonals mit den konservativen Parteien und der „Seitenwechsel“ in gut bezahlte Posten der landwirtschaftsnahen Industrie ist bei Funktionären des Bauernverbandes praktisch die Regel. Aus diesem Grunde wird sich die Agrarpolitik auch nicht ändern, weil Großbetriebe entsprechend mehr Dünger, Futtermittel und Agrarchemie kaufen, als der kleine bayerische Familienbetrieb. Der BDM hat zutreffend festgestellt, dass die Interessensunterschiede und Kräfteverhältnisse zu groß sind. Die Erkenntnis, dass CDU/CSU/FDP zwar ihre Solidaität mit dem BDM erklären, aber dennoch ihre Forderungen aber in den zuständigen Gremien ablehnen, wird sich wohl erst in einigen Jahren durchsetzen.
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