Wer am Sonntagabend über den Neustädter Stadtplatz Richtung Norden fuhr, dürfte kurz ins Grübeln gekommen sein. Bittet hier das Landratsamt zur After-Work-Disco ins Lobkowitzerschloss? Bunt erleuchtete Fenster, Pavillons und Partystimmung vor dem Eingang legen diesen Gedanken nahe.
Des Rätsels Lösung: Rund 300 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Kultur, Medien und Ehrenamt waren Zeuge des Startschusses, neudeutsch "launch" , für den neuen Markenauftritt des Landkreises. Der kommt nicht als dröhnendes "Mia san mia" daher, aber durchaus frech und voller Sticheleien gegen Ballungsräume.
Das lässt sich der Kreis Einiges kosten. Bis die Marke in einem einjährigen Prozess erstellt war, kamen knapp 50000 Euro zusammen, im Haushalt 2019 stehen für Aktivitäten im Zeichen von "Denk mal NEW" 250000 Euro bereit. "Wir stehen im Wettbewerb um Köpfe und Investitionen", erklärt Landrat Andreas Meier die Hintergründe. Eine Marke soll der Region zwischen Eslarn und Kirchenthumbach dafür Profil geben und Vorteile verschaffen.
Federführend bei den Workshops mit Vertretern der Region aus allen gesellschaftlichen Bereichen war Klaus Asemann von der Agentur "Embassy" in Berlin. Er hat bereits Slogans wie "Be Berlin" des gleichnamigen Bundeslandes entwickelt. Ferner hat er mitgeholfen, der Region Tirol und der Eifel eine zeitgemäße Außendarstellung zu verpassen.
Auf der Suche nach dem, was den Landkreis einzigartig macht, landete er bei etwas, was der Einheimische so gar nicht mehr wahrnimmt: "Wenn Sie NEW auf einem Autokennzeichen sehen, denken Sie vielleicht, dass Sie sich nun der Heimat nähern. Alle anderen lesen das Englische new, neu. Das versteht jeder, auch ohne Sprachkenntnisse."
Dieses NEW, das Neue, gießt die Kampagne in flotte Sprüche wie "Erstens ist es NEW, zweitens als du denkst." Landleben neu denken - das bedeutet, zu zeigen, dass der Landkreis all das hat, wofür sich die Großstadt rühmt: zukunftsfähige Arbeitsplätze, gute Ausbildung, florierende Kultur, weltoffenes Denken. Und natürlich Mehr-fürs-Geld, schöne Landschaft, weniger Hektik und zwischenmenschliche Wärme.
Der Großstädter Asemann ist überzeugt, dass der Zeitgeist der Region dazu in die Karten spielt: "Die Finanzkrise 2008 hat den Großstädten einen Immobilienboom beschert. Die Rechnung haben sie jetzt dafür auf dem Tisch. Selbst das langweiligste Stadtviertel ist gentrifiziert, die Mieten selbst in der Peripherie kaum bezahlbar." Das habe den Mythos Metropole schwer angeknackst. Gleichzeitig gebe es eine Sehnsucht, dem zu entfliehen. "Umfragen zeigen, dass 40 Prozent der Bevölkerung eigentlich lieber auf dem Land leben wollen." Die Zeitschrift "Landlust" habe in ihrer Auflage inzwischen den "Spiegel" überholt.
Diesen Trend gilt es zu nutzen. Mit Plakaten, Webseiten (www.new-perspektiven.de), Facebook- und Instagram-Auftritten, Gimmicks wie NEW-Einkaufswagenchips oder Semmeln, die das NEW-Logo als mehligen Schriftzug auf den Teller bringen, soll dieser Gedanke in die Köpfe.
Christoph Aschenbrenner, Geschäftsführer von Oberpfalz-Marketing, ist begeistert. "Tragen Sie diese Botschaft hinaus", forderte er die Gäste des "launchs" dazu auf, engagierte Markenbotschafter zu sein. Dazu wünschte er einen langen Atem: "Damit sich so etwas festsetzt, braucht es einen Marathonlauf, keinen Sprint." NEWn denn.
Denk mal selbstbewusst
Auf die Frage „Braucht’s das?“ sind die Mitwirkenden am Markenfindungsprozess des Landkreises Neustadt vorbereitet. Ihre Antwort fällt wenig überraschend aus: Natürlich braucht’s „das“. Gerade weil dem Oberpfälzer – Achtung Klischee – gerne vorgeworfen wird, allzu bescheiden aufzutreten. Die Vorstellung der neuen Imagekampagne gab eine andere Richtung vor. Zur Begründung wurden Köpfe von Bill Clinton über Soziologen, Politologen bis zu Wirtschaftsexperten auf die Leinwand gebeamt.
Doch es geht auch eine Nummer kleiner und weniger akademisch: „Netflix ist es egal, ob der Bildschirm auf dem Land oder in der Großstadt steht“, „Reden ist Großstadt, Machen ist Land“, „Wo Fuchs und Hase ihr Startup gründen“, lauten Slogans der Kampagne „Denk mal NEW“.
Das allein holt zwar keine Fachkraft neu oder zurück in eine Region, die mit Überalterung kämpft, aber es positioniert Neustadt an der Waldnaab als aufgeweckten Landstrich. Der erntet für seine frechen Sprüche wahrscheinlich weniger zweifelhafte Aufmerksamkeit als der Landkreis Cham, der sich „schönster Arsch der Welt“ nennt. Er vermeidet aber zugleich Biederkeiten wie „Tradition und Moderne“ wie der Kreis Vechta und viele andere in Deutschland, an denen jede Aufmerksamkeit vorbei geht.
Von Friedrich Peterhans