Der im Jahr 1895 gegründete Liederkranz ist einer der ältesten Vereine Oberviechtachs. Doch jetzt ist sein Ende gekommen. Zwölf Mitglieder zählte diese Gesang- und Musikgemeinschaft zuletzt noch. Acht kamen am 1. August nach satzungsgemäßer Einladung zur letzten Jahresversammlung zusammen, vier waren entschuldigt. Bei der Abstimmung votierten sechs Mitglieder für die Auflösung, zwei stimmten für einen Fortbestand des Liederkranzes.
Die Auflösung ist in den „Statuten der Gesellschaft Liederkranz in Oberviechtach vom 14. Dezember 1924“ exakt geregelt: „Der Verein besteht solange, als noch sechs Mitglieder für den Fortbestand des Vereins stimmen.“ Nachwuchssorgen plagten diesen Männergesangs- und Musikverein schon seit vielen Jahren. „Ich stelle fest, dass die heute beabsichtigte Wahlhandlung mangels verfügbarer Kandidaten erneut nicht durchgeführt werden konnte“, lautete das Resümee von Josef Niederalt bei der Jahresversammlung am 1. August. Niederalt führt den Verein seit 7. März 2020 kommissarisch und erkannte bei der Versammlung im Vormonat einen „akuten Handlungsbedarf“ zur Einleitung der Auflösung. Neben dem 1. Vorsitzenden wären bei diesem Termin die weiteren führenden Ämter zu besetzen gewesen, wofür sich aber niemand bereit fand.
Kulturelles Leben geprägt
Niederalts Initiative wurde von diesen Fakten, aber auch von der Altersstruktur des Vereins beflügelt. Von den zwölf Mitgliedern sind neun zwischen 70 und 91 Jahre alt. Zudem bringen die wenigen Aktiven gesanglich nur noch Unterstimmen ein, so dass „nach einhelliger Auffassung ein adäquater Gesang nicht mehr möglich ist“. Ein Licht am Horizont, dass sich in Zukunft etwas ändert, wurde nicht gesehen. „Liebe Sangesbrüder, das ist heute für unseren Liederkranz der bitterste Tag, der in seiner Geschichte den traurigen Schlusspunkt gesetzt hat“, stellte der kommissarische Vorsitzende bedauernd fest.
In früheren Jahrzehnten hatte diese Sanges- und Musikgemeinschaft einen ganz anderen Stellenwert in Oberviechtach. Sie prägte das kulturelle, kirchliche und gesellschaftliche Leben im Ort ganz entscheidend mit. Davon geben die Protokollbücher, die ab 1900 penibel geführt wurden, ein beredtes Zeugnis. Die Statuten, die in Form eines Heftes an die Mitglieder ausgegeben wurden, regeln den Rahmen für die Aktivitäten des einstmals breit aufgestellten Kulturvereins. Konzertabende, Serenaden bei Jubiläen, Theateraufführungen, Sängertreffen, Gottesdienstgestaltung, Passionssingen und Pfarrfamilienabende gehörten zum Repertoire dieses Traditionsvereins. Cello, Gitarre, Klavier und Keyboard waren vereinseigene Instrumente.
Beim regen Gemeinschaftsleben der Mitglieder nahm das Vereinslokal einen wichtigen Stellenwert ein. Dieses war von Beginn an bis 1970 der Gasthof Welnhofer (Beckerdofferl) und ab da das Eisenbarthstüberl der Familie Roßmann. Vor zwei Jahren wurde hier das 50-jährige Jubiläum des Vereinslokals noch gebührend gefeiert. Das Vereinsprotokoll gibt Aufschluss, wie 1905 für die Vereinsabende jeweils am Mittwoch die Sperrstundenregelung im Gasthof Welnhofer „bis 2 Uhr früh“ ausgeweitet wurde. Jedoch hatten „nach 12 Uhr Musik und Gesang zu unterbleiben“.
Abstimmung über Ballotage
Nach der jetzt erfolgten Auflösung wurde neben umfangreichem Notenmaterial auch Vereinsunterlagen an das Stadtarchiv übergeben. Stadtarchivarin Christa Zapf würdigte die Dokumente einer Vereinsgeschichte von über 125 Jahren. Die Vorsitzende des Museumsvereins, Maria Ahlemeyer, übernahm die 1959 angeschaffte Standarte mit der Angabe des Gründungsjahres 1895 und die sogenannte Ballotage. Dieser Abstimmungskasten ist ein Kuriosum, das wohl kein anderer Oberviechtacher Verein mehr in Betrieb hatte.
Wenn neue Bewerber in den Verein aufgenommen werden wollten, konnten die vorhandenen Mitglieder in geheimer Abstimmung eine Entscheidung dafür oder dagegen fällen, indem sie eine Kugel in die entsprechende Öffnung fallen ließen. Nach diesem Prozedere erfolgte die Auszählung in den beiden Fächern an der Basis des Holzkastens.
Der Liederkranz Oberviechtach
- Gründung: 1895 zur „Pflege der Vokal- und Instrumentalmusik“ sowie zur „Erhöhung des geselligen Lebens“
- Neu Aufzunehmende benötigen „die absolute Stimmenmehrheit der erschienenen Mitglieder“ (Ballotage)
- 1950 werden 15 verstorbene und vermisste Sangesbrüder genannt. 14 werden mittels Ballotage neu aufgenommen. 24 Mitglieder stimmen hierüber ab
- Leitung: von 1950 bis in die Gegenwart Hans Lang, Hans Friedrich, Michael Fuhrmann, Michael Eckl, Josef Mehler, Max Mathes, Herwig Kraus und Josef Niederalt
- Der Verein gestaltet das öffentliche Leben auf vielfältige Weise gesanglich und musikalisch mit
- Bei der Jahresversammlung am 7. März 2020 kommt keine reguläre Vorstandschaft zustande. Josef Niederalt leitet seitdem als kommissarischer Vorsitzender die Sängergemeinschaft
- Auflösung des Vereins: am 1. August 2022 per Mehrheitsbeschluss der verbliebenen 12 Mitglieder. (lg)
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