Oberviechtach
12.11.2018 - 10:35 Uhr

Von Hoffnung zur Hilflosigkeit

Überwachung und Unterdrückung halten 1968 nach dem Ende des Prager Frühlings Einzug in der Tschechoslowakei. Zwei Akteuren gelingt es bei einer szenischen Lesung am Gymnasium, diese prekäre Situation unterhaltsam und lebendig zu vermitteln.

Persönliche Erinnerungen, Spielszenen und Texte ließen die Zuschauer am Ortenburg-Gymnasium in die Situation nach dem Ende des Prager Frühlings eintauchen. In die gespielten Verhörszenen wurde auch das Publikum mit einbezogen. Bild: lg
Persönliche Erinnerungen, Spielszenen und Texte ließen die Zuschauer am Ortenburg-Gymnasium in die Situation nach dem Ende des Prager Frühlings eintauchen. In die gespielten Verhörszenen wurde auch das Publikum mit einbezogen.

"Künstler, Pass auf, das Volk ist wachsam!" wird in großen Lettern auf die Leinwand projiziert. Davor steht auf dem Steinway-Flügel ein mit Blumen verziertes Stalin-Porträt und daneben ist eine knallrote Fahne mit Hammer und Sichel der Blickfang, als die Besucher der szenischen Lesung den Musiksaal des Ortenburg-Gymnaisums betreten. Der Prager Frühling und sein gewaltsames Ende, veranlasst durch die Truppen des Warschauer Paktes 1968, ist das Thema des Abends.

Dass ein derart ernstes Thema auch unterhaltsam vermittelt werden kann, haben die Schüler der Mittelstufe schon am Vormittag erlebt, als der Literaturwissenschaftler Arthur Schnabl aus Regensburg und die Pädagogin Katka Karl-Brejchová auf ihre Art "50 Jahre Ende des Prager Frühlings" auf die Bühne brachten. Spielszenen, Lesevorträge, Filmsequenzen, Plakate, Bilder und Requisiten prägten das Programm der beiden Lesungen, die der Neunburger Kunstverein "Unverdorben" sponserte, wofür Schulleiter Ludwig Pfeiffer und Studiendirektorin Dr. Christine Paschen nachdrücklich dankten. Den musikalischen Rahmen für die Lesung lieferte die Schülerin Andrea Schneeberger mit Klavierstücken von Chopin und Jezek.

Mit persönlichen Erinnerungen an das Jahr 1968 eröffneten Dr. Paschen und der Vorsitzende des Kunstvereins, Peter Wunder, das Vortragsprogramm. Letzterer war 1968 als 20-jähriger Soldat dabei, als die Bundeswehr im bayerischen Grenzgebiet zur damaligen Tschechoslowakei für eine mögliche Abwehr Stellung bezog. Wenige Kilometer weiter östlich waren die Sowjettruppen aufmarschiert.

Die Menschen in der Tschechoslowakei erlebten in einer deprimierenden Hilflosigkeit, wie die zarten Errungenschaften eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" nach und nach zerstört wurden. Besonders schmerzlich war diese Rückwärtsentwicklung für die Dissidenten unter den Studenten, Schriftstellern und Künstlern, die jetzt brutal verfolgt und unterdrückt wurden. Wie absurd das Vorgehen der staatlichen Organe war, zeigten Arthur Schnabl und Katka Karl-Brejchová in ihrer unterhaltsamen Präsentation auf. Eine Verhörszene des Schriftstellers Milan Kundera, Briefe, Gedichte und Prosatexte der Dichter Bohumil Hrabal und Jan Skácel, aber auch von Regisseuren und Künstlern zeigten oftmals verdeckt und skurril den Widerstand auf. Die Lesung eröffnete ein "Eintauchen in die tschechische Seele", wobei auch der große Dichter Franz Kafka einbezogen wurde.

Die Organisatoren der Veranstaltung dankten den beiden Akteuren Katka Karl-Brejchová (Zweite von links) und Arthur Schnabl (Mitte) für die kurzweilige Präsentation einer ernsten Thematik. Bild: lg
Die Organisatoren der Veranstaltung dankten den beiden Akteuren Katka Karl-Brejchová (Zweite von links) und Arthur Schnabl (Mitte) für die kurzweilige Präsentation einer ernsten Thematik.
Nach 1968 werden die Bücher der Dissidenten zerrissen und landen auf dem Scheiterhaufen. Bild: lg
Nach 1968 werden die Bücher der Dissidenten zerrissen und landen auf dem Scheiterhaufen.
 
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