Pfreimd
24.08.2018 - 16:18 Uhr

Den Teufelskreis durchbrechen

Kindergartenleiterin, Elternbeirat und Bürgermeister fahren mit 12000 Unterschriften zur Sozialministerin – und kommen enttäuscht zurück: Am Missstand im Betreuungsschlüssel für Kinderkrippen wird sich durch ihre Petition nichts ändern.

Ministerin Kerstin Schreyer (Vierte von links) nahm die Petition von (rechts daneben) Kindergartenleiterin Gabi Schönberger, Elternbeiratsvorsitzender Angi Hirmer, Bürgermeister Richard Tischler und Rosi Wendl-Most entgegen. Links im Bild Horst-Helmut Fleck, Vorsitzender des bayerischen Elternverbandes und zwei Mütter aus Unterhaching, die einen anderen Problemfall vorbrachten. Bild: exb
Ministerin Kerstin Schreyer (Vierte von links) nahm die Petition von (rechts daneben) Kindergartenleiterin Gabi Schönberger, Elternbeiratsvorsitzender Angi Hirmer, Bürgermeister Richard Tischler und Rosi Wendl-Most entgegen. Links im Bild Horst-Helmut Fleck, Vorsitzender des bayerischen Elternverbandes und zwei Mütter aus Unterhaching, die einen anderen Problemfall vorbrachten.

Pädagogische Empfehlung und finanzielle Förderung sind zwei Paar Stiefel: Von Landratsamt und Freistaat wird den Kindergartenträgern für Krippengruppen ein Anstellungsschlüssel von 1:8 empfohlen. Dem kommt Pfreimd im städtischen Kindergarten St. Martin zum Wohl der Kinder nach. Wenn es jedoch um die finanzielle Förderung aus Landesmitteln geht, entsteht eine Diskrepanz: Geld vom Staat gibt es nur für einen Schlüssel von 1:10 bis 1:11. "Kein Zustand", so Bürgermeister Richard Tischler. In den ersten sechs Jahren "werden die Koffer fürs Leben gepackt". Die Stadt werde deshalb dem Anspruch der Kinder und dem Arbeitspensum des Personals mit dem Schlüssel 1:8 gerecht. Durch die 1:10-Förderpraxis des Freistaats entstehen Pfreimd Zusatzkosten in Höhe von 32 000 Euro jährlich. Für diese Ausgabe wurde die Stadt jedoch in diesem Jahr vom Kommunalen Prüfungsverband gerüffelt. Das müsste man nicht ausgeben, hieß es.

Der Anstellungsschlüssel brennt dem Kindergartenpersonal auf den Nägeln. Kindergartenleiterin Gabi Schönberger beschloss, auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. Sie startete eine Unterschriftenaktion bei den Kindertagesstätten in ganz Bayern, die auch die Eltern einbeziehen sollten. 12 000 Unterschriften kamen zusammen. Klingt nach viel, war aber für Gabi Schönberger "enttäuschend". Nicht wenigen Angestellten sei vom Träger - wohl wegen befürchteter Mehrkosten - untersagt worden zu unterschreiben.

Bepackt mit Aktenordnern fuhr die Pfreimder Delegation zu Sozialministerin Kerstin Schreyer nach München. Mit dabei: Gabriele Schönberger und Rosi Wendl-Most von St. Martin, Elternbeiratsvorsitzende Angi Hirmer, Bürgermeister Richard Tischler und Horst-Helmut Fleck, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Kindergärten. Ihr Appell: Wenn der Schlüssel 1:8 aus pädagogischer Sicht dringend empfohlen werde, dann sollte er auch gefördert werden. Doch die Sozialministerin schilderte ihre Sicht der Dinge: In Ballungszentren wie München gebe es zu wenig Kindergärten und Krippenplätze, bekämen nicht alle Kinder eine Platz und fehlen Erzieherinnen. Wenn der geförderte Anstellungsschlüssel auf 1:8 gesenkt würde, hätte dies kleinere Gruppen zur Folge. Noch mehr Kinder bekämen keinen Platz. Und die Träger bräuchten mehr Erzieherinnen, die man schon jetzt nicht habe.

"In der Gesamtschau wird sich nichts ändern", bedauert Bürgermeister Tischler. Die Stadt bleibe bei dem Schlüssel 1:8. Alles andere gehe zulasten der Kinder und der Erzieherinnen. Tischler gibt aber auch zu bedenken: Jetzt stehe die Stadt gut da. In angespannten Zeiten könnten aber auch Stimmen in punkto Anstellungsschlüssel laut werden, zumal die Stadt jährlich ein hohes haushalterisches Defizit zu schultern hat. Heuer beträgt es für die insgesamt 213 Kinder in St. Martin und dem Franziskuskindergarten inklusive Abschreibungen etc. 869 180 Euro.

Gabi Schönberger ist seit 25 Jahren mit dem Kindergarten St. Martin verwachsen. Sie wollte, dass Bewegung in das alte Kindergartengesetz kommt, doch es gebe "nur Empfehlungen." Einen Personalschlüssel von 1:10 bis 1:11 bezeichnet sie nahezu als "Kindeswohlgefährdung". Das Ministerium müsse sich auch fragen lassen, warum es so wenig Erzieherinnen gebe. Warum wollen das so wenig werden? Warum hören etliche auf? "Das ist doch ein Teufelskreis, der unterbrochen werden muss".

Es werde viel gebaut, es gebe hohe staatliche Förderungen für Krippen. Und dann? Keine Frage: Der Sachaufwandsträger sei für die Qualität der Einrichtung und für den Betrieb verantwortlich. Doch wenn im Ministerium stets von Qualitätssicherung und der maßgeschneiderten Kinderbetreuung die Rede sei, werde das durch den Personalschlüssel 1:10 bis 1:11 konterkariert. "Das passt nicht zusammen", betont Schönberger. "Aber es wird sich nichts ändern". Von den Erzieherinnen werde immer mehr verlangt, "doch niemand hilft uns. Ich habe wenigstens versucht, für unsere Einrichtung und unseren Träger zu kämpfen."

Hintergrund:

"Von gesetzlicher Seite ist ein Betreuungsschlüssel von 1:10 bis 1:11 vorgesehen, obwohl jeder pädagogische Empfehlung von 1:8 spricht. Es macht in diesem Alter durchaus einen großen Unterschied, ob zwölf Kinder bei drei oder nur zwei Betreuern aufgehoben sind. Wenn in letzterem Fall eine Betreuungsperson mit einem oder zwei Kindern zum Wickeln geht, bleiben für die andere Person neun oder zehn Kinder", heißt es auszugsweise in der Petition.

"Die bayrischen Krippen sind konzeptionell gut aufgestellte Bildungseinrichtungen. Das Personal ist geschult in Kleinkind- und Krippenpädagogik und somit bestens ausgebildet auf die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern einzugehen, die noch nicht in der Lage sind, sich verbal auszudrücken. Es kann nicht sein, dass dieses Personal wegen eines veralteten Anstellungsschlüssels seine Fähigkeiten nicht zum Wohle unserer Kinder einsetzen kann. Es ist an der Zeit, dass der Anstellungsschlüssel nach pädagogischen Richtlinien gesetzt wird.

Jede Einrichtung, die sich jetzt schon an den pädagogisch wertvollen Schlüssel hält, bekommt die damit verbundenen Mehrausgaben nicht aus Landesmitteln gefördert. Diese Belastung einer Kommune, die auf das Wohl der Kleinsten schaut, ist nicht hinnehmbar."

 
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