Wie belastet Pilze oder das Fleisch von Wildschweinen sind, das hängt vor allem davon ab, wo es im April 1986 ausgiebige Regengüsse gab. Für den Altlandkreis Nabburg kann Dietmar Maier von der Nabburger Kreisgruppe der Jäger weitgehend Entwarnung geben. Vereinzelt gibt es aber doch Fälle, wo Wildschweine über dem amtlichen Grenzwert liegen. Wie häufig das vorkommt, wird beispielsweise in der staatlich anerkannten Becquerel-Messstation in Pfreimd dokumentiert.
Becquerel (Bq) ist die Maßeinheit für radioaktive Substanzen. In der EU liegt der Grenzwert bei 600 Bq pro Kilogramm für Lebensmittel (für Säuglingsnahrung und Milchprodukte wurde er auf 370 Bq/kg festgesetzt). Von 169 Wildschweinen lagen im vergangenen Jahr bei den Messungen in Pfreimd 8 über dem Grenzwert und mussten somit entsorgt werden. 2016 traf dieses Schicksal 10 von 138 Tieren, 2015 waren es 12 von 192, 2014 registrierte die Messstelle 2 von 118.
Die Messstation der Kreisgruppe Nabburg in Pfreimd wurde 2004 angeschafft, seit 2008 gilt sie als staatlich anerkannt und kann deshalb auch die für eine Entschädigung der Jäger erforderliche Bestätigung ausstellen. "Zu mir dürfen aber auch Jäger außerhalb des Gebiets der Kreisgruppe kommen", erläutert Dietmar Maier, der die Messstelle betreut und über jeden Vorgang Protokoll führt. Er zeigt, wie so eine Messung funktioniert. In den mit Blei ummantelten Messbehälter kommt zunächst Wasser, um das Gerät auf die Umgebungsstrahlung einzustellen. Erst dann wird das Wasser durch 500 Gramm Muskelfleisch ersetzt, Bleideckel drauf, und die Messung kann beginnen. "Das Muskelfleisch reichert sich mit besonders viel radioaktiven Substanzen an", weiß Maier, der im Apparat auch schon mal Pilze aus dem Altlandkreis Nabburg getestet hat ‒ ohne Befund, "weil es bei uns damals nach der Reaktor-Katastrophe nicht geregnet hat". Anders sehe das natürlich im östlichen und südlichen Landkreis aus oder im gar im Bayerischen Wald, meint der 54-Jährige und schlägt den Ordner auf, in dem eine Landkarte mit Niederschlagsmengen im April 1986 abgeheftet ist.
Bei Reh, Rotwild und Hase macht die bleibende Belastung der Böden aber wenig aus. "Diese Tiere fressen Gras, Getreide oder Blätter, also nur oberflächlich, das Radiocäsium aber steckt in tieferen Schichten." Eben da, wo Wildschweine gerne mal auf der Suche nach Nahrung den Boden umpflügen. Für den Jäger ist deshalb klar: "Das Problem mit belasteten Wildschweinen wird uns noch Jahrzehnte begleiten." Weil Schwarzwild in die Kategorie "Wechselwild" fällt, ist auch die Region, in der es angetroffen wird, kein Garant für Fleisch ohne die gefährliche Strahlung. Da hilft nur Nachmessen, auch wenn so eine Grenzwertüberschreitung relativ selten ist: 2015 lag der prozentuale Anteil bei rund 6, 2016 bei rund 7 und 2018 bei rund 5 Prozent. "Die meisten Ergebnisse liegen unter 50 Becquerel pro Kilogramm", bestätigt Dietmar Maier, dem bei den Messungen noch etwas aufgefallen ist: "Im Winter und Frühjahr ist die Belastung oft höher als im Sommer, wenn die Wildschweine viel Mais und Getreide finden." Der Grund: Die Tiere können offenbar die radioaktiven Substanzen über die Losung ausscheiden, das habe man in entsprechenden Versuchen nachgewiesen.
Wer also Wildbret auf die Speisekarte setzen will, dem rät Maier: "Auf jeden Fall jedes Stück Schwarzwild messen lassen." Am besten sei es da, beim heimischen Jäger einzukaufen ‒ und im Fall der Wildschwein-Steaks einen Blick auf die Bescheinigung zu werfen. "Wer dagegen im Supermarkt kauft, kann sich nie so sicher sein."
Das Problem mit belasteten Wildschweinen wird uns noch Jahrzehnte begleiten.
Endlager Mensch
Wer Wildbret auf die Speisekarte setzen will, dem rät Jäger Dietmar Maier: "Auf jeden Fall jedes Stück Schwarzwild messen lassen." Leider hat der Verbraucher beim Wildschweinbraten im Lokal nicht die Möglichkeit die Strahlenbelastung zu überprüfen. Der Speisekarte liegt kein Testnachweis bei.
Ist das Fleisch von Reh, Wildschwein und Hase tatsächlich in Ordnung, wie Jäger Maier meint? Ist der Altlandkreis Nabburg eine Insel der Glückseeligen, umgeben von radioaktiv verseuchten Problembereichen? Die gelieferte Begründung erscheint hanebüchen und in der Zeit um 1972 stehengeblieben zu sein. Der Jagdverband befürchtet einerseits, dass sich die Schweinepest aus der Ukraine und der CZ nach Bayern ausbreitet. Andererseits meint Maier, der Altlandkreis Nabburg sei sicher, er könne „weitgehend Entwarnung geben“. Als ob sich die belasteten Sauen um ehemalige Landkreisgrenzen kümmern würden!
Demgegenüber stehen Meldungen wie „"Hier haben wir Regionen, in denen vereinzelt Wildschweine stärker belastet sind als in den 1980er Jahren". Nach den Daten der amtlichen Lebensmittelüberwachung wird in der Oberpfalz der Grenzwert zum Teil sehr weit überschritten. So wurde in Cham 2013 bei einem erlegten Tier 9840 Becquerel pro Kilogramm gemessen, in Regen bei einem Schwein 9836 Becquerel. "Die Werte steigen, obwohl die Halbwertszeit von Cäsium bei 30 Jahren liegt."
Oder: „37 radioaktiv hochbelastete Wildschweine beunruhigen die schwäbische Bevölkerung. Die Tiere seien kürzlich bei einer Sauenjagd in der Nähe Augsburgs geschossen worden, alle 37 hätten wegen zu hoher Strahlenbelastung beseitigt werden müssen. Die Messungen hätten Cäsium-137-Werte von über 10.000 Becquerel je Kilogramm ergeben. Ab 600 Becquerel darf Wildfleisch nicht mehr verwertet werden, wie ein Sprecher des Landesamts für Umwelt (LfU) in Augsburg sagte.
Bereits seit Jahren prangern Ärzteverbände und Verbraucherschützer die Informationspolitik des Freistaates Bayern und von Behörden wie dem Landesamt für Umwelt und dem BJV an, welche die exakten Messwerte der getesteten Tiere nicht veröffentlichen. Keine Auskunft bekamen Journalisten zu der Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass das Fleisch nicht getesteter Tiere radioaktiv belastet sein könnte: "Statistische Aussagen sind dazu nicht möglich", heißt es in einem Schreiben des Umweltministeriums. "Dennoch gibt es keine Pflicht, die Strahlenbelastung zu messen". "Und auch in stark belasteten Regionen wird nur ein Teil der erlegten Tiere beprobt."
Da keine amtlichen Statistiken vorliegen, muss man sich mit Zahlenmaterial von anderen Behörden und von privaten Fachleuten behelfen. Helmut Rummel, ehemaliger Strahlenschutzbeauftragter der Bundeswehr, schlägt Alarm. Er besitze die „größte Datensammlung ganz Bayerns über Wildschwein-Messwerte“, betont er. „Finden Sie sonst nirgends.“ Demnach überprüften die Bayerischen Staatsforsten und der Bayerische Jagdverband (BJV) in der Saison 2015/16 exakt 11 096 Wildschweine. Dem stehen 24 974 erlegte Tiere gegenüber. Zieht Rummel die Sauen ab, die geschätzt bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen – bleiben 11 630 nicht getestete Wildschweine. Auf den BJV entfallen
10 700, und die, sagt Rummel ironisch, „haben die Jäger ja nicht alle im Garten vergraben“.
Das Ministerium dagegen verweist in seiner Antwort auch darauf, dass Wildschweinfleisch ein Lebensmittel "von geringer Bedeutung" sei. Frankreich, die Schweiz, Österreich und die CZ erheben dagegen amtliche Daten und veröffentlichen diese auch. Jeder mündige Bürger kann sich bereits nach wenigen Klicks über die Belastung der Wildschweine informieren und wird feststellen, dass die Aussagen eines Vertreters der Jagdlobby mit Vorsicht zu genießen sind (z.B. österreichisches Gesundheitsministerium (AGES): https://www.ages.at/themen/strahlenschutz/).
Als eine Hauptquelle der Cäsium-Belastung der Sauen gilt nach wie vor das Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986. Nach 14,4 Jahren hat sich die Hälfte des 241Pu in 241Am umgewandelt – ein Americium-Isotop. Das ist etwas stabiler und hat eine Halbwertszeit von 432,2 Jahren. Doch es ist ein gefährlicher Alpha-Strahler, wesentlich wasserlöslicher als 241PU, wird über die Wurzeln von Pflanzen aufgenommen und reichert sich anschließend in Knochen und Muskelgewebe an. Nach Untersuchungen des Forschers Arnulf Seidel vom Institut für Strahlenbiologie des Kernforschungszentrums Karlsruhe erzeugt Americium (wie Plutonium), bei Aufnahme in den Körper, deutlich mehr Knochentumore als andere Isotope.
Eine weitere Falschinformation gibt Maier zur saisonalen Belastung der Schweine. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen des AGES ist die radioaktive Belastung der Schweine im Winter und Frühjahr am niedrigsten und im Sommer und Herbst am höchsten.
Das nahe Regensburg gilt als die von Tschernobyl am stärksten belastete Stadt Deutschlands. Dass der Freistaat Bayern wenig Interesse an der Veröffentlichung von Daten über die radioaktive Belastung Bayerns zeigt, hat Tradition, wie die Mittelbayerische in ihrem 30-Jahre-Rückblick auf die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl schreibt. In Regensburg maß der Physiker Prof. Dr. Martin Creuzburg im Mai 1986 die radioaktive Strahlung. Seine Werte, die in der MZ veröffentlicht wurden, waren höher als die des Innenministeriums. Von dort schickte man einen Physiker nach Regensburg. Der Mann für Krisenfälle und dem Spitznamen „Feuervogel“ sollte den MZ-Redakteuren wohl den Kopf waschen und jedenfalls dafür sorgen, dass nur die amtlichen Werte veröffentlicht würden. Creuzburgs Gerät sei kontaminiert oder der Professor verstehe sein Handwerk nicht, hieß es. Beide Vorwürfe trafen nicht zu. Prof. Creuzburg maß weiter und die MZ veröffentlichte weiter seine Werte.
Rund die Hälfte der in Bayern erlegten Wildschweine werden nicht geprüft. Das Wildbret könnte aus hochbelasteten Nachbarregionen stammen, ohne dass ich als Verbraucher das erkennen kann.
Angesichts dieser Ausgangs- und Faktenlage können die Aussagen von Jäger Maier und der Kreisjägergruppe Nabburg nur als Werbung in eigener Sache bezeichnet werden, um den schleppenden Verkauf von Wildfleisch wieder anzukurbeln. Die billigste und lukrativste Entsorgung von radioaktiv beastetem Fleisch ist noch immer das "Endlager Mensch".
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