„Wir Sozialdemokraten haben immer die liberale Demokratie verteidigt, und gerade wir sollten uns heute alarmiert fühlen, wenn ein Überlebender des Konzentrationslagers Kaufering, Ernst Grube, wieder Parallelen zu den 1930er Jahren sieht“, warnte SPD-Europaabgeordneter Ismail Ertug beim Ehrenabend der Pressather SPD im Gasthof "Heining". Angesichts neu auflebender rechtspopulistischer und autoritärer Strömungen komme der Europawahl am 26. Mai die Bedeutung einer „richtungsweisenden Wahl“ zu.
„An den Stammtischen, in den Familien, bei Verwandten, Freunden und Kollegen“ gelte es begreiflich zu machen, dass „diese Wahl nicht weniger wichtig als alle anderen, sondern im Gegenteil vielleicht die wichtigste Wahl von allen“ sei. Die europäische Einigung, so Ertug, habe wesentlich dazu beigetragen, dass „wir, generell gesehen, in Wohlstand, Frieden, Stabilität und Freiheit leben können“, und der frühere französische Präsident François Mitterrand habe mit gutem Grund gemahnt, dass „am Ende jedes Nationalismus Krieg steht“.
Kritik übte der Amberger an Staaten wie Ungarn oder Polen, die unter „stramm rechtskonservativen Regierungen“ von den „Idealen der EU abrücken“: „Wenn solche Regierungen, die bis zu 80 Prozent ihrer öffentlichen Investitionen aus EU-Fördermitteln finanzieren, weiterhin meinen, sich die Rosinen herauspicken und die Lasten den anderen überlassen zu können, dann muss man auch über eine Kürzung der Strukturfördermittel nachdenken.“
Auch in Sachen Geschlechtergerechtigkeit bleibe noch viel zurechtzurücken: „Selbst wenn laut der CSU eine ‚bereinigte‘ Statistik aussagt, dass Frauen ‚nur‘ sechs Prozent weniger verdienen als Männer: ist das in Ordnung?“ Europaweit betrage diese Kluft sogar 13, bei Rentnern 39 Prozent.
Mit Blick auf die Initiative seiner Partei für einen „europäischen Mindestlohn“ stellte Ertug richtig: „Das bedeutet keinen EU-weit einheitlichen Mindestlohnsatz, sondern 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittseinkommens.“ Angst hiervor sei unangebracht: „In Deutschland hieß es vor vier Jahren, ein Mindestlohn gefährde die Existenz vieler Unternehmen. Das Gegenteil ist richtig: Die Kaufkraft der Bevölkerung hat sich erhöht, wir sind ökonomisch nicht abgeschmiert.“
Nicht allein auf dem Papier umweltpolitischer Absichtserklärungen dürfe man schließlich die „Zukunft unseres Planeten, die Sicherung unserer Lebensgrundlagen“ belassen: „Das ist längst kein ‚grünes’ Thema mehr, sondern Hauptaufgabe und Verpflichtung für uns alle“, sagte er.
"Abgasskandal" Folge von „Narrenfreiheit“
In dem „Abgasskandal“, dessen Hintergründe er im Abgas-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament mit aufgedeckt habe, sah SPD-Europaabgeordneter Ismail Ertug beim Ehrenabend der Pressather SPD die Kehrseite einer „Narrenfreiheit“, die man den Verantwortlichen der Automobilindustrie viel zu lange gewährt habe.
Im Hinblick auf Flüchtlingsstrom und Asylpolitik sprach er sich nachdrücklich für einen „europäischen Umverteilungsmechanismus“ aus. Dies bedeute: „Jedes EU-Land muss entsprechend seiner Leistungsfähigkeit Menschen, die in Not sind, vorübergehend aufnehmen. Wenn ein Land sich dieser Solidarität entzieht, sollte es auch keine Strukturfördermittel mehr erhalten.“ Unerträglich sei für Ertug, dass etwa in Italien „jene, die im Mittelmeer Menschen retten, vor den Kadi gezerrt werden. In was für einer Welt leben wir eigentlich?“
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