Pressath
30.12.2022 - 13:55 Uhr

Ein Stück Kulturgeschichte im Schaufenster

In der festlichen Zeit schmücken Weihnachtskrippen nicht nur unzählige private Wohnstuben, sondern auch Kirchen, Fenster, Höfe und Vorgärten. Wer genauer hinsieht kann auch in Pressath einiges entdecken.

Das Haus stammt aus Franken, die Figuren aus dem böhmischen Grulich: Diese etwa 100 Jahre alte Weihnachtskrippe im Pressather Rothballer-Schaufenster spiegelt süddeutsch-böhmische Religions- und Kunstgeschichte wider. Bild: bjp
Das Haus stammt aus Franken, die Figuren aus dem böhmischen Grulich: Diese etwa 100 Jahre alte Weihnachtskrippe im Pressather Rothballer-Schaufenster spiegelt süddeutsch-böhmische Religions- und Kunstgeschichte wider.

Wer die derzeitigen milden Tage „zwischen den Jahren“ für einen geruhsamen Spaziergang nutzt und dabei seine Augen offen hält, kann sich an der einen oder anderen dieser kunstvollen Ehrerbietungen an die „heilige Familie“ erfreuen.

Ein Stück religiöser Kunst- und Geistesgeschichte erzählt jene rund 100 Jahre alte Verknüpfung fränkischen und böhmischen frommen Kunsthandwerks, die im „Antiquitäten-Schaufenster“ in der Pressather Jahnstraße ausgestellt ist. Dass ein unbekannter fränkischer Künstler der Zwischenkriegszeit die „morgenländische“ Szenerie der Geburt Jesu in einen Fachwerkhof seiner Heimat verlegte, ist für den katholischen böhmisch-süddeutsch-alpenländischen Raum charakteristisch: Denn die Blütezeit der Weihnachtskrippentradition setzte dort mit der „Gegenreformation“ des 17. Jahrhunderts ein, als eifrige Ordensleute die von den vorausgegangenen konfessionellen Wirren verunsicherten Menschen in den „böhmischen Ländern“, der Oberpfalz und anderen Gebieten aufs Neue im „alleinseligmachenden“ katholischen Glauben verwurzeln wollten.

Neben opulent und sinnenfroh ausgeschmückten Barockkirchen und einem festlichen Wallfahrts- und Passionsspielbrauchtum sollte auch anschauliche Volkskunst wie etwa die bewusst „anheimelnd“ gestalteten Weihnachtskrippen die für tiefschürfende theologische Erörterungen weniger empfängliche Volksseele anrühren. Das „Grulicher Ländchen“ im nordostböhmischen Adlergebirge, aus dem der Krippenbauer seine Figuren bezog, wurde zu einer der Herzkammern dieser „kunst-vollen“ Bekehrungsarbeit, als jesuitische Ordensgeistliche 1662 in Wichstadtl (heute Mladkov) bei Grulich (Králiky) eine erste derartige Krippe aufbauen ließen.

Diese volkstümliche Darstellung des Weihnachtsevangeliums fand dort einen derart begeisterten Anklang, dass sich alsbald ein florierendes Krippenschnitzerhandwerk entfaltete. Von Anfang an gab dabei nicht das „heilige Land“, sondern die Heimat der Schnitzer den Rahmen der künstlerischen Darstellung ab. Folgerichtig leisteten gemeinsam mit den Weisen aus dem Morgenland auch Metzger, Bäcker, Müller, Korbflechter, Schornsteinfeger und Musikanten in heimatlich-vertrauter Tracht Maria, Josef und dem Jesuskind Gesellschaft.

Den Einwohnern des kargen Gebirgslandes – aus dem übrigens auch der Pressather Künstler und Ehrenbürger Helmut Langhammer stammt – verschaffte das Schnitzen der „Grulicher Mannl“, wie man die sogar in den USA beliebten Krippenfiguren nannte, für lange Zeit ein bescheidenes und hart erarbeitetes, aber doch leidlich sicheres Auskommen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gerieten die „Mannl-Macher“ freilich durch industriell gefertigtes billiges Figurenwerk in Bedrängnis. Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten die Grulicher das Vertreibungsschicksal der meisten Sudetendeutschen, und nur wenige beherrschen heute noch das traditionelle Handwerk.

Viele Museen und Sammlungen nennen aber auch jetzt noch mit Stolz eine Grulicher „Chrestkendlastodt“ ihr Eigen, und auch bei den heutigen tschechischen Einwohnern des Städtchens Králiky ist die Tradition nicht vergessen. So erzählt eine Weihnachtskrippe nicht nur vom Wunder der heiligen Nacht, sondern auch von den Verwerfungen einer 400-jährigen Geschichte – spannend für den, der zuzuhören vermag.

 
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