ONETZ: Herr Dr. Helmes, die Oberpfälzer Wirtschaft ist breit aufgestellt und hat die Kraft, auch den Herausforderungen des Corona-Jahres 2021 zu begegnen. Sehen Sie das auch so?
Dr. Jürgen Helmes: Die Region weist einen breiten Branchenmix und eine große Bandbreite aus global operierenden Großunternehmen sowie eine Vielzahl leistungsfähiger, kleiner und mittelständischer Betriebe auf. Das stärkt die Widerstandsfähigkeit unseres Wirtschaftsraums auch in der Corona-Krise. Unsere Konjunkturumfrage zur Jahresmitte ergab wieder ein positiveres Bild im Vergleich zur Geschäftslage am Jahresbeginn. Das stimmt zuversichtlich. Getrieben wird das bessere Stimmungsbild von der Industrie und den unternehmensnahen Dienstleistern. Andere Branchen wie Handel, Hotellerie, Gastronomie, Kultur und Veranstalter müssen nach dem monatelangen Lockdown vieles aufholen. Leider fanden auch stille Geschäftsaufgaben statt, und das trotz der umfassenden Wirtschaftshilfen. Die Herausforderungen des Corona-Jahres 2021 kann ein Unternehmen nur dann auch annehmen, wenn es unternehmerisch tätig sein darf. Und das dürfen eben viele Betriebe immer noch nicht vollständig. Die Pandemie zeigt aber auch, wie wendig und innovativ viele Unternehmen in der Region sind, sich an die geltenden Maßnahmen angepasst haben und neue Geschäftsmodelle und Prozesse vorantreiben.
ONETZ: Befindet sich die Oberpfalz durch ihre Nachbarschaft zu Tschechien wirtschaftlich in einer Sondersituation?
Dr. Jürgen Helmes: Natürlich! Die Grenzregion Ostbayern-Westböhmen ist wirtschaftlich eng miteinander verflochten und eine europäische Erfolgsgeschichte. Viele ostbayerische Unternehmen sind mit starken Standorten auf der tschechischen Seite wichtige Arbeitgeber. Rund 13.500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Tschechien wiederum pendeln täglich über die Grenze in die Oberpfalz zu ihren Arbeitgebern. Eine besondere Rolle spielen Kunden aus Tschechien für Ostbayerns grenznahen Einzelhandel. Vor allem im Lebensmittel-, Drogerie- und Bekleidungshandel sind tschechische Kunden ein enormer Wirtschaftsfaktor. Die Grenzregion litt deshalb besonders unter den Corona-Maßnahmen, die bis hin zu faktischen Grenzschließungen gingen. Nach der Überwindung der Einreisebeschränkungen hoffen wir auf eine Wiederbelebung des gegenseitigen Wirtschaftsverkehrs.
ONETZ: Wenn Sie heute noch Gelegenheit hätten, sich in entspannter Atmosphäre mit dem bayerischen Ministerpräsidenten zu unterhalten, was würden Sie ihm sagen?
Dr. Jürgen Helmes: Zunächst einmal würde ich dem Ministerpräsidenten sagen, dass wir uns freuen, dass er uns in Bayern erhalten bleibt und nicht nach Berlin geht. Aber im gleichen Satz würde ich ihn eindringlich bitten, in Berlin für die richtigen Rahmenbedingungen zu sorgen, damit unsere Unternehmen jetzt nach der Krise wieder durchstarten können. Konkret brauchen wir verbindliche und wettbewerbsfreundliche Regeln bei den Umweltstandards und im CO2-Preis, eine bessere digitale Infrastruktur und vor allem eine international wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung. Die Idee, die finanziellen Lasten der Pandemie einseitig den Unternehmen aufzubürden wäre Gift für den wirtschaftlichen Neustart in Bayern und in Deutschland.
ONETZ: Viele Arbeitnehmer beziehen weiterhin Kurzarbeitergeld, Unternehmen erhalten Finanzspritzen vom Staat. Wer wird die Löcher in den öffentlichen Haushalten einmal bezahlen müssen?
Dr. Jürgen Helmes: Sobald der Staat aufgrund einer Schuldenbremse keine Schulden mehr machen kann, wird die Löcher in den öffentlichen Haushalten der Steuerzahler stopfen müssen. Wer damit dann besonders stark belastet wird, also ob Spitzenverdiener, Erbende, Vermögende, alle Unternehmen oder alle Steuerzahler über die Einkommensteuer, ist eine Frage, die sich die Fiskalpolitik gut überlegen sollte. Wenn sie den Regler bei den Unternehmens- und Vermögenssteuern nach oben dreht, trifft sie den deutschen Mittelstand hart und gefährdet damit wirtschaftliches Wachstum, um aus der Krise wieder herauszukommen. Viel wichtiger wäre es, die Unternehmenssteuern auf international konkurrenzfähige 25 Prozent zu senken. Langfristig gedacht sorgt das für mehr Umsätze und damit wiederum für mehr Einnahmen beim Fiskus. Darüber hinaus sollten durch regelmäßige Tarifanpassung die kalte Progression abgemildert und der Solidaritätszuschlag vollständig abgeschafft werden.
ONETZ: Das Thema Klimawandel und Ökologie wird uns wieder einholen. In Weiden etwa entschieden sich die Bürger im Februar gegen das Industriegebiet West IV, dessen Erschließung mit der Rodung stadtnahen Waldes einhergegangen wäre. Das zeigt: In der Bevölkerung wächst der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit. Welche Schlussfolgerungen sollte die Oberpfälzer Wirtschaft daraus ziehen?
Dr. Jürgen Helmes: Die Nordoberpfalz ist eine durch das verarbeitende Gewerbe geprägte Region, in der über alle Betriebsgrößen hinweg Flächennachfrage besteht. Das Bürgervotum in Weiden ist ein Weckruf an alle Akteure, in ihren Planungen nun auch weitere Instrumente wie interkommunale Ansätze und die Konversion belasteter Flächen einzubeziehen. Die Wirtschaft ist kein „Flächenfresser“, denn allein aus ökonomischen Erwägungen heraus geht sie effizient mit wertvollen Ressourcen um, wozu der Boden definitiv gehört. Unsere Unternehmen tragen darüber hinaus Verantwortung für künftige Generationen und bekennen sich zur Nachhaltigkeit. Darum hat die Vollversammlung der IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim 2019 auch die Klimaposition „Klimapolitik und Wirtschaft – Verantwortung und Chance“ verabschiedet.
ONETZ: Im März hat der neue US-Präsident Biden ein gigantisches Wirtschaftsprogramm über 1,9 Billionen Dollar auf den Weg gebracht. Auch das setzt als "Green New Deal" einen Schwerpunkt auf den Kampf gegen den Klimawandel. Was bedeutet das für die Oberpfälzer Wirtschaft?
Dr. Jürgen Helmes: Die USA sind für unsere Unternehmen einer der wichtigsten Auslandsmärkte. Rund 330 Unternehmen aus dem IHK-Bezirk pflegen Geschäftsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten, 75 davon betreiben sogar eine eigene Niederlassung oder Produktionsstätte im Land. Bei den 1,9 Billionen US-Dollar handelt es sich tatsächlich um zwei Pakete. Eines davon zur wirtschaftlichen Soforthilfe, auch für kleine und mittlere Unternehmen, das zweite für längerfristige strategische Sozial- und Wirtschaftsprogramme. Insbesondere deutsche Unternehmen, die in den USA etwa mit Tochtergesellschaften registriert sind, können von diesen Hilfspaketen indirekt profitieren. Hinzu kommt: Investition zieht Investition nach sich, insofern dürfte die US-Wirtschaft dadurch einen Schub erhalten. Das eröffnet deutschen Unternehmen zusätzliche Chancen. Was wir aus Sicht der regionalen Wirtschaft in der Oberpfalz ebenso begrüßen, ist die Rolle-Rückwärts beim Truppenabzug der US-Army aus der Region. Die hier stationierten Soldatinnen und Soldaten bilden mit ihren Familien einen wichtigen Wirtschaftsfaktor, der laut Angaben der US-Army jährlich 660 Millionen Euro Umsatz bei regionalen Händlern und Dienstleistern generiert.
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