Wenn Annett Bellack im weißen Kittel zur Spritze greift, denkt man eher an eine Arztpraxis als an die Energiespeichertechnologie. Doch die Mikrobiologin der Universität Regensburg piekst am Mittwoch keinen Menschen. Sie führt mit ihrer Spritze eine Flüssigkeit mit sogenannten Archaeen in einen Bioreaktor ein. Archaeen sind Mikroorganismen und gehören zu den ältesten Lebewesen der Welt. Einige von ihnen haben eine besondere Eigenschaft: Sie produzieren Methan. Diese Fähigkeit macht sich ein Team um Michael Sterner, Professor für Energiespeicher und Energiesysteme an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg, zunutze.
Hintergrund ist das Dilemma, in dem Deutschland steckt: Im Zuge der Energiewende sollen Wind- und Sonnenenergie ausgebaut werden. Doch diese erneuerbaren Energien sind nicht permanent verfügbar – wenn kein Wind bläst oder es dunkel ist. An Lösungen für Speichermöglichkeiten wird fieberhaft gearbeitet. „Power-to-Gas ist für die längerfristige, saisonale Speicherung größerer Energiemengen eine der wenigen verfügbaren Technologien“, sagt Sterner. Stromüberschüsse aus erneuerbaren Energien könnten dazu verwendet werden, um Wasserstoff zu erzeugen, der dann unter Zusatz von Kohlenstoffdioxid in Methan umgewandelt wird – und damit speicherbar wird. „Die Technologie ist ein Muss, wenn wir das Pariser Klimaabkommen einhalten wollen“, sagt Sterner. Und er erklärt, dass Deutschland am Ball bleiben müsse. Man wolle eine Exporttechnologie schaffen, die später in andere Länder verkauft werden kann.
Einen „kleinen, aber wertvollen Meilenstein“ setzt das Team um Sterner am Mittwoch: Unter großem Medieninteresse wird die Power-to-Gas-Forschungsanlage in Betrieb genommen, die im Freien auf dem OTH-Gelände steht. Kernstück ist der Bioreaktor, der wie ein Turm in die Höhe ragt. Darin befinden sich als Füllmaterial Tausende von kleinen runde Keramikteilen. Die Archaeen setzen sich an den Teilen gut fest. Mikrobiologin Bellack beschäftigte sich bereits seit längerem in der Grundlagenforschung mit den Archaeen. Jetzt freut sie sich, dass es eine konkrete Anwendung für die Mikroorganismen gibt. Die ersten Forschungsergebnisse nennt sie vielversprechend.
Die Anlage ist Bestandteil des Forschungsprojekts „Orbit“, das vom Bundeswirtschaftsministerium mit rund einer Million Euro gefördert wird und das die biologische Methanisierung zum Ziel hat. Verbundkoordinator Martin Thema ist besonders stolz auf das neuartige Reaktordesign: Die Flüssigkeit wird darin nicht gerührt wie in herkömmlichen Anlagen, sondern rieselt von oben nach unten.
Besonders gut scheint bei dem Projekt die Kooperation aller Beteiligten zu funktionieren. Biologen, Verfahrenstechniker, Energietechniker, Anlagenbauer und Anwender arbeiten Hand in Hand, wie OTH-Präsident Wolfgang Baier betont. Gebaut wurde die Anlage am Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. An der OTH Regensburg ist die Anlage nun ein Jahr im Testbetrieb. Dabei bringen auch die Mikrobiologen der Universität Regensburg ihr Know-how ein.
Kooperierende Firmen sind die Electrochaea GmbH in München, die MicrobEnergy GmbH in Schwandorf und die MicroPyros GmbH in Straubing. „Wir können als Industriepartner viel Input geben, lernen hier aber auch viel“, sagt Doris Hafenbradl von Electrochaea. Deshalb hätten sich Firmen zusammengeschlossen, die eigentlich Konkurrenten auf dem Markt sind. Hafenbradl betont die besondere Stellung des Projekts weltweit: „Wir sind das Team, das hier international Vorreiter ist“, sagt sie. Große Firmen wie Thyssenkrupp hätten bereits Interesse an der Technologie angemeldet.
Nach der Testphase in Regensburg muss die Anlage im nächsten Jahr noch einmal umziehen, und zwar nach Nordrhein-Westfalen: Dort soll sie sich in der Praxis bewähren und im Feldtest grünes Methan ins Erdgasnetz der Stadt Ibbenbüren einspeisen.
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