Schönsee
01.04.2022 - 14:48 Uhr

Ehemaliger BGS-Beamter schildert im CeBB in Schönsee die Schrecken des „Eisernen Vorhangs“

Seit dem Ukraine-Krieg rückt die Missachtung von Staatsgrenzen zur Durchsetzung von Machtansprüchen neu ins Bewusstsein: Genauso waren 40 Jahre „Eiserner Vorhang“ ein Instrument der Diktatur. Ein ehemaliger BGS-Beamter erzählt.

Reinhold Balk hat die Zeit des "Eisernen Vorhangs" als BGS-Beamter miterlebt. Bild: eib
Reinhold Balk hat die Zeit des "Eisernen Vorhangs" als BGS-Beamter miterlebt.

Die Besucherresonanz war groß, als der pensionierte BGS-Beamte Reinhold Balk in Schönsee „Grenzgeschichte(n) – Vom Eisernen Vorhang zum Grünen Band“ präsentierte.

Im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) wird die Karte mit der europäischen Dimension des „Eisernen Vorhangs“ gezeigt: Sie markiert die Abschottung der Machthemisphäre des kommunistischen Ostblocks nach dem Zweiten Weltkrieg auf 12.500 Kilometer Länge mit 24 europäischen Anrainerstaaten vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer. Die bayerisch-tschechische Grenze ist davon mit ihren 356 Kilometern nur ein kleiner Teil. Am 23. Dezember 1989 durchtrennten Jiří Dienstbier und Hans-Dietrich Genscher den Stacheldraht mit einem Bolzenschneider am tschechoslowakisch-deutschen Grenzübergang Waidhaus / Rozvadov. Was vor diesem Tag schreckliches entlang der Grenze passierte, war das spannende Thema eines Insiders, der die ersten Jahre seines Berufslebens als BGS-Beamter ständig mit diesem Anachronismus der Zeitgeschichte konfrontiert war.

Mit dem kommunistischen Umsturz 1948 in der CSSR, der Einrichtung der Grenzzonen ab 1950, dem Verbarrikadieren von Grenzübergängen, dem Zerstören grenznaher Orte, die nach der Vertreibung der Sudetendeutschen verlassen waren und der beginnenden Blockbildung, die 1955 zum „Warschauer Pakt“ führte, verfestigte sich die hermetische Abriegelung der Grenze zusehends. Das Schlagen der breiten Schneisen in Handarbeit durch die Wälder im Český les und Šumava glich Sträflingsarbeit. Dies alles, um nahe der Grenze freie Sichtschneisen für perfide Grenzsicherungsanlagen mit 5000 Volt Starkstromzaun, Wachtürmen, geeggten Spurenstreifen, Stolperdrähten, zweiten Zaun und Fahrweg für die Grenzorgane zu erhalten. Ab 1970 verlegte das kommunistische Regime in Prag die Grenzsicherungsanlagen ein paar Kilometer landeinwärts. Statt Starkstrom mit exorbitant hohem Stromverbrauch wurde beim neuen Zaun mit Schwachstrom gearbeitet, der mit seinen 24 V und 20 Reihen Stacheldraht seine Funktion zur Signalauslösung voll erfüllte und jede Bewegung den Wacheinheiten meldete.

Reinhold Balk zitierte nüchtern die ermittelte Zahl von 289 Toten an der bayerischen und österreichischen Grenze, die auf der Flucht scheiterten. Dazu kamen noch 645 Angehörige der Grenztruppen, die aus unterschiedlichen Gründen zu Tode kamen, eine frappierend hohe Zahl durch Selbstmord (208).

Beeindruckend schilderte der Referent Einzelschicksale, die ihren Freiheitsdrang mit dem Leben bezahlten. Es gab auch ein paar gelungene Fluchtversuche in den vier Jahrzehnten bis zur Samtenen Revolution im November 1989, darunter spektakuläre Fälle: Zwei Tschechen nützten auf einer die österreichisch-tschechische Grenze querenden Hochspannungsleitung das stromfreie Blitzableiterkabel als Seilbahn in die Freiheit.

Am Schluss seines Vortrags, der zur Freude von CeBB-Leiterin Veronika Hofinger starke Publikumsresonanz fand, leitete Reinhold Balk von der symbolischen Grenzöffnung am 8. Februar 1990 zwischen Schwarzach (Gemeinde Stadlern) und Ryník (Waier) auf die ersten Schritte zur Normalität über, darunter das Abkommen zum kleinen Grenzverkehr (1995) und der Beitritt Tschechiens zum Schengenraum (2007). In diese Zeit fällt auch die Eröffnung des Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee (2006), zu dessen Aufgaben es aktuell gehört, die Grenzlinie entlang des verschwundenen „Eisernen Vorhang“ zwischen Bayern und Tschechien in das „Grüne Band“ zu integrieren.

 
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