Schönsee
18.05.2018 - 14:10 Uhr

Gedenkstein fürmittelalterlichen Dichter: Winziger Weiler sorgt für Weltliteratur

Schüttwa. Viel weiß man über sein Leben nicht. Sein Geburtsjahr wird mit "um 1350 herum" angegeben, sein Name variiert. Mal heißt er Johannes von Tepl, wohl weil er in der altehrwürdigen Prämonstratenser-Abtei nahe Marienbad zur Klosterschule ging. Dann wieder Johannes von Saaz, weil er in der nordböhmischen Hopfenanbaustadt als Notar tätig war. Er selbst unterschrieb oft mit Johannes von Schüttwa und erinnerte damit an seinen Geburtsort.

Die Diskussion zwischen "Ackermann" und "Tod" ist dargestellt auf dem von Jaroslav Sintelár gestalteten Gedenkstein für Johannes von Schüttwa. 	Bilder: Bernhard Setzwein
Die Diskussion zwischen "Ackermann" und "Tod" ist dargestellt auf dem von Jaroslav Sintelár gestalteten Gedenkstein für Johannes von Schüttwa. Bilder: Bernhard Setzwein

Der war vor kurzem Schauplatz einer gut besuchten deutsch-tschechischen Festveranstaltung. Denn eines ist unbestritten an diesem Johannes oder tschechisch auch Jan: Er ist der Verfasser eines der herausragendsten Literatur-Denkmäler des Spätmittelalters, des Prosa- und gleichzeitig Rollentextes "Der Ackermann aus Böhmen". Daran soll man ruhig einmal erinnern und das darf man getrost auch herausstreichen, zum Beispiel durch das Aufstellen eines Gedenksteines. Genau das passierte am zurückliegenden Wochenende, und nun ist also auch für alle zukünftigen Besucher des kleinen Dorfes dokumentiert: Selbst aus dem randständigsten Weiler kann Weltliteratur kommen.

Dominierendes Schloss

Es ist schon eine eigenartige Ursprungs-Aura, die dieses Pobežovice hat, ein heute 1500 Seelen zählendes Städtchen gleich hinter der bayerisch-böhmischen Grenze ungefähr auf Höhe seiner Partnergemeinde Schönsee. In dem noch heute das Ortsbild dominierenden Schloss wuchs zum Beispiel Richard Coudenhove auf, Vordenker eines vereinigten Europas und Begründer der Paneuropa-Bewegung. Ihr derzeitiger Präsident in der deutschen Sektion, der frühere Europa-Abgeordnete Bernd Posselt, war denn auch einer der Festredner.

Mit Pathos, aber auch mit Recht postulierte er, zumindest an diesem Nachmittag sei das kleine Schüttwa - mittlerweile heißt es Sitbor und ist ein Ortsteil von Pobežovice - der Mittelpunkt Europas. Und zwar weil hier zivilbürgerliches grenzübergreifendes Engagement zu einer kulturellen Bereicherung geführt habe, und das mache Europa unter anderem aus. Es geht ja nicht alleine um das Aufstellen des vom Bildhauer Jaroslav Sintelár geschaffenen Werkes mit den drei schwarzen Gravurflächen, die den Dichter, seine von ihm geschaffenen Figuren "Tod" und "Ackermann" sowie eine Textstelle zeigen.

Das ist ja nur der Anfang. In einem nächsten Schritt soll es um den Wiederaufbau der nur wenige Meter entfernten Kirche von Sitbor gehen. Noch ist sie eine bemitleidenswerte Ruine, dem Turm fehlt die einstige Zwiebelhaube, und doch ist ein Teil des Kirchenschiffes schon wieder mit einem Dach versehen. Wer weiß, vielleicht können hier in Zukunft wieder liturgische Handlungen vorgenommen werden, aber auch Kulturveranstaltungen stattfinden wie Konzerte und Lesungen.

Auf die Fahnen geschrieben jedenfalls hat sich das der vor Jahren gegründete und nach dem Kirchenpatron benannte Pobežovicer St.-Nikolaus-Verein. Er betrieb auch die Aufstellung des Johannes-von-Schüttwa-Steines, der allerdings auf eine noch ältere Initiative der deutschen Ackermann-Gemeinde und ihres Mitgliedes Franz Bauer zurückgeht, seines Zeichens Mitverfasser einer Buch gewordenen "Ronsperger Ortschronik". Wie überhaupt gesagt werden kann, dass hier wieder einmal lokaler grenzübergreifender Kulturaustausch idealtypisch Gestalt angenommen hat.

Neuer Patron

Die Gemeinden Pobežovice und Schönsee mit ihren Bürgermeistern Hynek Riha und Birgit Höcherl wirkten ebenso mit wie die ehemaligen deutschstämmigen Bewohner von Schüttwa mit Ortsbetreuer Franz Metschl als auch die heutigen Bewohner von Sitbor mit ihrem St.-Nikolaus-Verein unter den Vorsitzenden Vaclav Kohout und Ivo Dubského. Und sie alle erwählten sich den vor über 600 Jahren wirkenden Johannes von Schüttwa zum Patron, der nachweislich zweisprachig war und sowohl Deutsch als auch Tschechisch beherrschte.

Sein mittelhochdeutsch verfasstes Streitgespräch zwischen "Ackermann" und "Tod" über die heute genauso wie damals jeden Menschen beschäftigende Frage nach dem Sinn der Vergänglichkeit kam sowohl tschechisch als auch deutsch in kurzen Ausschnitten zu Gehör, an diesem in mehrerlei Hinsicht strahlenden Nachmittag auf dem von einem Storch übersegelten Schüttwaer Dorfplatz.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.