Schwandorf: Was tun, wenn nachts Kinder mit auf die Polizeiwache müssen?

Schwandorf
11.05.2023 - 10:28 Uhr
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Ausreißer, kindliche Opfer familiärer Gewalt, minderjährige Flüchtlinge: Hin und wieder landen sie abends oder nachts alleine auf der Polizeiwache. Da stellt sich schnell die Frage: Wohin mit jungen und jüngsten? Bleiben können sie nicht.

Für die Polizei, namentlich die Schwandorfer, ist das tatsächlich ein Problem. Sie hat sich immer wieder einmal um Kinder oder Teenager zu kümmern, die mit zur Inspektion genommen werden müssen, weil sie keine Familie haben oder nicht zur Familie zurück wollen - es vielleicht auch nicht können. Zum Beispiel nach einer Gewalttat im familiären Milieu oder wegen der Verwahrlosung des Elternhauses. Auf der Wache kann man die Kinder aber auch nicht behalten.

„Alle zwei bis drei Wochen erhalten wir von der Polizei so einen Anruf, meistens am Wochenende zwischen 15 und 20 Uhr, dass ein Kind auf der Wache sitzt und nicht mehr heim kann oder will,“ berichtet Martin Rothut (60), der Leiter des Schwandorfer Kreisjugendamts, das im Landratsamt untergebracht ist.

Verlaufen, ausgerissen, geschlagen

„Es sind nicht nur ganz dramatische Fälle,“ versichert Franz-Xaver Michl (47) der seit der Pensionierung des langjährigen Schwandorfer PI-Chefs Armin Kott im Februar die Inspektion interimsmäßig leitet. „Also es geht hier ganz selten um Mord, eher um Schicksalsschläge in der Familie. Oder dass sich ein Kind verlaufen hat und in der Stadt herumirrt.“ Nicht immer könne man gleich klären, wo der oder die Kleine eigentlich hingehören. Manchmal würden auch Kinder oder Teenager auftauchen, die von zu Hause ausgerissen sind und auf keinen Fall nach Hause gebracht werden wollen.

Die Frage, wo man die jungen Leute von der Polizei aus hinbringen kann, wurde in der letzten Sitzung des Kreisjugendhilfe-Ausschusses erörtert, der im Landratsamt tagte. Was ist, wenn in so einer Krisensituation das zuständige Kreisjugendamt als Helfer und Vermittler bereits Dienstschluss hat und nur schwer jemand zu erreichen ist?

Wenig Plätze in Kinderheimen

Das Problem ist vor allem die sogenannte „nächtliche Inobhutnahme“. Der Begriff der Inobhutnahme beschreibt die vorübergehende Unterbringung von Kindern oder Jugendlichen in einem Heim oder einer Pflegefamilie. Das Jugendamt kann diese Maßnahme zum Beispiel vollziehen, wenn das Wohl des Kindes in der eigenen Familie gefährdet ist und der Nachwuchs nur schlecht zu anderen gebracht werden kann.

Wie Jugendamts-Leiter Rothut weiß, ist es gar nicht so einfach, jemand Junges ordentlich unterzubringen, wenn Familie, Verwandtschaft oder Nachbarschaft ausfallen. „Dabei ist der Bedarf bei der Unterbringung von Kindern groß,“ betont er. Aber die Plätze in den Kinderheimen der Region sind begrenzt, außerdem fehlt dort wie vielerorts die nötige Zahl an Fachkräften.

Krise um Mitternacht

Das Jugendamt wird auch außerhalb der Dienstzeiten mit dem Problem der Inobhutnahme konfrontiert. „Zu Silvester,“ so Rothut, „bin ich beispielsweise den ganzen Vormittag im Büro gewesen, um für drei unbegleitete minderjährige Ausländer Plätze zu finden“. Gemeint sind junge Flüchtlinge ohne Anschluss, die von der Polizei in Zügen oder bei Kontrollen auf der Autobahn aufgegriffen werden.

Rothut erinnert sich auch an einen Fall, „da haben wir um Mitternacht drei Geschwister aus einer Familie in Schwarzenfeld abgeholt und in ein Kinderheim gebracht“. Ziel war damals das Heim in Kallmünz. In Schwandorf gibt es seit einigen Jahren ebenfalls ein Heim mit Gruppen für junge Leute, und zwar im Haus des guten Hirten in Ettmannsdorf. Dort könne man in einer Krise ebenfalls schnell ein Kind hinbringen, ein entsprechender Platz werde dafür immer freigehalten.

Andere Jugendhilfeeinrichtungen, mit denen das Schwandorfer Jugendamt zusammenarbeitet, sind in beispielsweise in Regenstauf oder in Regensburg. „Mittlerweile suchen wir schon fast bundesweit, wenn wir einen Platz brauchen,“ stöhnt Rothut.

Neue Liste soll helfen

Für die Polizei hingegen ist es zunächst wichtig, abends oder nachts verlässlich einen Ansprechpartner in der Kreisbehörde zu haben. Die beste Telefonliste hilft nichts, wenn keiner abhebt. Also hat man sich geeinigt, demnächst einen Bereitschaftsplan zu erstellen mit Beschäftigten des Jugendamts, an die sich die Polizei im Fall der Fälle auch zu nachtschlafender Zeit wenden kann.

„Von so einer Bereitschaftsliste würden wir auch profitieren,“ versichert Marion Zenger. Sie leitet derzeit die Nabburger Polizeiinspektion bis zur regulären Besetzung des Chefpostens. Denn auch in Nabburg kennt man das Phänomen, dass Jugendliche auf der Wache sind. „Ich kann mich zwar an keinen krassen Fall erinnern,“ sagt Zenger, „aber es kommt schon vor, dass wir hier eine 16-Jährige sitzen haben, die Probleme zu Hause hatte und nicht mehr heim wollte“.

Hintergrund:

Inobhutnahme

  • Eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII ist eine erforderliche Schutzmaßnahme, wenn sich ein Minderjähriger in einer akuten Krise oder dringenden Gefahr befindet und aus diesem Grund eine vorübergehende Unterbringung bei einer geeigneten Person, in einer Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform notwendig ist.
  • Bezahlen müssen die Kosten der Fremdunterbringung je nach finanzieller Ausstattung entweder die Eltern anteilig oder bei nicht vorhandener Zahlungsfähigkeit der Eltern vollständig die Staatskasse.
  • Eine Fortdauer der Inobhutnahme bedarf der Mitwirkung des Familiengerichts (§ 1666 Bürgerliches Gesetzbuch).
 
 

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