Schwandorf
16.04.2020 - 12:28 Uhr

Der Tod kommt aus der Luft

Das Inferno beginnt um 3.52 Uhr: Die Nacht liegt noch über Schwandorf, als am 17. April 1945 alliierte Flugzeugverbände auftauchen und 633 Tonnen Bomben abwerfen. Sie legen weite Teile der Stadt in Schutt und Asche.

Ruinen, Trümmer, Schutt: Nach dem Bombenangriff vor 75 Jahren hatte sich Schwandorf in einen Ort der Zerstörung verwandelt. Archivbild: Foto Schwarz
Ruinen, Trümmer, Schutt: Nach dem Bombenangriff vor 75 Jahren hatte sich Schwandorf in einen Ort der Zerstörung verwandelt.

Es geschah vor 75 Jahren. Der zweite Weltkrieg neigte sich seinem Ende entgegen. Der "Endsieg", wie ihn Adolf Hitler in seinem verbrecherischen Größenwahn zu nennen pflegte, war nur noch auf Wehrmachtspapieren vorhanden. Schwandorf unterlag zwar dem NSDAP-Regime, aber es war bis zum 17. April 1945 von Zerstörungen verschont geblieben.

Dann aber geschah etwas, dessen angerichtete Folgen nie mehr aus den Annalen verschwinden werden. Die Bürger lagen in ihren Betten und schliefen, als an jenem 17. April plötzlich kanadische und englische Bomberverbände am nachtdunklen Himmel aufzogen. Ein Dröhnen schreckte die Leute auf. Es war 3.52 Uhr. Der Angriff dauerte genau 15 Minuten. Danach waren weite Teile der Stadt zerstört. Aus den Schächten ihrer Maschinen klinkten die Piloten 633,3 Tonnen Bomben aus.

Schwandorf, so weiß man durch Unterlagen, bestand zu dieser Zeit aus 1361 Gebäuden mit 2758 Wohnungen. 971 Gebäude wurden zerstört oder erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Das Inferno forderte das Leben von 1250 Menschen. Neben Einheimischen befanden sich auch viele Flüchtlinge und Soldaten darunter. Im Jahr 1950 verfasste der damalige Stadtpfarrer Alois Wild einen Bericht zur Bombennacht. Er schrieb: "Der Tod hatte schreckliche Ernte gemacht. Ganze Familien existierten nicht mehr, von vielen Leichen fanden wir nur noch Reste". Der Geistliche fuhr fort: "Zwischen dem 17. April und dem 23. Mai wurden 1200 Tote begraben."

Die Überlebenden waren großteils auf sich allein gestellt. Sie mussten mit einer Lage fertig werden, die sie förmlich erdrückte. Häuser und Wohnungen waren zertrümmert. Notbehausungen in Form von Bretterbuden entstanden. Auch die Kirche auf dem Kreuzberg war getroffen worden. Doch von dort gab es ein symbolisches Zeichen der Hoffnung: Das Kreuz mit dem Christuskorpus war herausgeschleudert worden, es blieb weitgehend unversehrt.

Zeitzeuge des Bombenangriffs

Als 2005 im Buch- und Kunstverlag Oberpfalz der von Hans Klemm und Wolfgang Houschka zusammengestellte Band "Sie kommen!" erschien, kam dem Schwandorfer Journalisten Clemens Hösamer die Aufgabe zu, sich mit Zeitzeugen zu unterhalten. Hösamer sprach mit dem 1938 geborenen und 2009 verstorbenen Künstler Peter Mayer. Der später bundesweit bekannt gewordene Bildhauer war zum Zeitpunkt des Bombenangriffs sechs Jahre alt. Ihm unauslöschlich im Gedächtnis: "Das Krachen höre ich heute noch." Mitten in der Nacht in einem Keller, am Himmel sogenannte Christbäume zur Aufhellung der Ziele. Peter Mayer hörte dieses Wort in der Deckung bietenden Kammer, und er brachte es mit Weihnachten in Verbindung.

18 Menschen im Keller unter der Bäckerei Mayer. "Furchtbare Explosionen", wie sich der Sohn des Bäckermeisters erinnerte. "Lautes und unnatürliches Krachen" hatte er im Gedächtnis und "eine Tür, die glühte". Da hätten dann "alle zu beten begonnen". Der Keller war verschüttet, erst Stunden später kam Hilfe. Das Haus war völlig zerstört, "nur noch ein Schutthaufen", wie Peter Mayer dem Reporter erzählte.

"Wir hatten nichts mehr"

Als der Morgen über Schwandorf heraufzog, war nichts mehr wie davor. "Man konnte hinunter sehen bis zum Schwellenwerk", behielt Peter Mayer im Gedächtnis,. Viele seiner Spielkameraden waren tot. Die Mayers kamen auf einem Bauernhof im nicht weit entfernten Klardorf unter. Im Interview folgte der Satz: "Wir hatten nichts mehr, außer den Kleidern am Leib. Aber selbst als Kind wusste ich, dass wir Glück gehabt hatten."

Jetzt, 75 Jahre später, hätte das längst in einem Gemeinschaftswerk wieder aufgebaute Schwandorf der Bombennacht und seiner Opfer zweifellos gedacht. Doch Corona wird das verhindern. Damit ist, nach einem Dreivierteljahrhundert, erneut ein Feind angetreten. Ohne Bomben zwar. Stattdessen lautlos, aber ebenfalls nach dem Leben trachtend.

Hintergrund:

Eine geplante Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des Bombenangriffs muss wegen der Coronapandemie entfallen, Oberbürgermeister Andreas Feller erinnert deshalb in einer Mitteilung an die Geschehnisse des 17. April 1945. „Wir können nicht im Geringsten erahnen, was die Schwandorfer Bürgerinnen und Bürger gelitten haben“ ,schreibt er. Doch trotz der unfassbaren Katastrophe hätten die Bürger nicht verzagt und die Herausforderung des Wiederaufbaus angenommen. „Sie begannen mit einer großartigen Gemeinschaftsleistung die zerstörte Heimatstadt wiederaufzubauen und aus den Trümmern unserer fast völlig zerstörten Stadt entwickelte sich unser heutiges modernes Schwandorf“, betont Feller. Man könne der Generation des Wiederaufbaus nicht genug danken, denn ohne ihre Entschlossenheit und ihren Durchhaltewillen wäre ein Neuanfang nicht möglich gewesen. Die Stadt habe den Tag der Zerstörung zu einem Neubeginn genutzt. „Nutzen wir die Erfahrungen aus der Vergangenheit als Richtschnur für unser Verhalten in der Gegenwart und für Aufgaben, die auf uns warten“, mahnt das Stadtoberhaupt. Es liege an allen, aus der Vergangenheit die richtigen Lehren für eine friedliche Zukunft zu ziehen. „Wir müssen zusammenhalten, nicht nur in der jetzigen Corona-Krise, und füreinander einstehen. Es liegt an uns zu entscheiden, in welcher Welt und in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben werden. Das sind wir unseren Vorfahren, aber auch unseren Kindern und Kindeskindern schuldig“, schreibt er abschließend.

Armut, Hunger, bittere Not: Nach dem Angriff mussten viele Schwandorfer mit ihren Kindern in Bretterbehausungen ziehen. Häuser und Wohnungen waren zerstört. Archivbild: Foto Schwarz
Armut, Hunger, bittere Not: Nach dem Angriff mussten viele Schwandorfer mit ihren Kindern in Bretterbehausungen ziehen. Häuser und Wohnungen waren zerstört.
Wo heute ein Einkaufsgebiet gleich neben der Adenauerbrücke entstanden ist, gab es damals die Tonwarenfabrik. Nach der Bombennacht glich das Unternehmen einem Trümmerfeld. Archivbild: Foto Schwarz
Wo heute ein Einkaufsgebiet gleich neben der Adenauerbrücke entstanden ist, gab es damals die Tonwarenfabrik. Nach der Bombennacht glich das Unternehmen einem Trümmerfeld.
 
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