Was wäre jetzt nach dem Atomkraftausstieg? Gedankenspiel um die Wackersdorfer WAA

Schwandorf
01.05.2023 - 11:14 Uhr
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"Atomkraft - nein danke!" Der alte Aufkleber-Slogan wurde zwischenzeitlich Realität. Aber: Hätte man in Wackersdorf eine WAA gebaut, was wäre jetzt mit ihr? Zwei prominente, damalige Kontrahenten haben dazu ihre Meinung.

"Auf Nimmerwiedersehehen" wünschten sich die WAA-Gegner in den achtziger Jahren die verantwortliche Betreiberfirma DWK. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Unter den Demonstranten: Der damalige Landrat Hans Schuierer, SPD (Mitte, mit verschränkten Armen).

Zum 15. April 2023 sind die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet worden: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. „Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie“, sagt der frühere WAA-Manager Gert Wölfel bei einem Rückblick 20 Jahre nach dem Ende der Anlage, „wäre der WAA-Standort Wackersdorf in eine Schieflage gekommen. Das Unternehmen hätte keine Perspektive gehabt.“

Eine Entscheidung des Deutschen Bundestags vom 30. Juni 2011 für den Ausstieg aus der Atomenergie ebnete den Weg für ein geordnetes Ende der Hochrisikotechnologie in Deutschland. Dieser Bundestagsbeschluss vor zwölf Jahren fußte auf einer breiten, parteiübergreifenden Mehrheit und hatte deshalb eine besondere Qualität: Erstmals waren sich Atomenergiebefürworter und -gegner einig. Auslöser für die Abstimmung im Deutschen Bundestag – und die Entscheidung für den Atomausstieg – war die Nuklearkatastrophe in Fukushima vom 11. März 2011.

Pläne scheitern 1989

Gert Wölfel war in den späten 1980er Jahren eines der prominenten "Gesichter" des sehr umstrittenen Baus einer Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstäbe aus Atomkraftwerken. Als Geschäftsführer der DWK-WAA Wackersdorf GmbH (DWW) und im Vorstand der Hannover DWK, hatte er 1987 den Auftrag übernommen, „Wackersdorf in Betrieb zu setzen“. Zwei Jahre später scheiterten die hochfliegenden Pläne an der betriebswirtschaftlichen Unlust der Atomindustrie, das Milliardenprojekt weiterzubauen.

Das ist zumindest die Sicht, wie sie Wölfel, heute Ehrenbürger des damals weltbekannten WAA-Baustandorts Wackersdorf, und sein Schwandorfer Kollege Reinhard Proske 2018 in einem gemeinsam verfassten Buch vertreten haben. Bei der Präsentation ihres Werks versicherten die beiden WAA-Veteranen, dass der Baustopp der Großanlage nur wegen des Geldes erfolgte: "Der Widerstand war zwecklos."

Mehr Arbeitsplätze?

Im Gegensatz zur Überzeugung vieler Einheimischer halten die beiden Manager nicht viel von der Lesart, dass das "Wunder von Wackersdorf" - also die Ansiedlung von BMW und seiner Zulieferbetriebe - der Region mehr Prosperität gebracht habe, als eine chemisch-nukleare Fabrik: "Die WAA hätte mit den Strukturen, die außenrum entstanden wären, mehr Arbeitsplätze geschaffen." Aber spätestens der Ausstiegsbeschluss 2011 hätte auch aus Sicht der WAA-Freunde das Aus der WAA besiegelt. "Insofern bin ich froh, dass sie nicht gebaut wurde", urteilt Buchautor Wölfel.

Das Ziel der Wiederaufarbeitung von Atommüll ist es, die verschiedenen Stoffe, die in abgebrannten Brennstäben enthalten sind, voneinander abzutrennen. In den alten Brennstäben steckt noch jede Menge Energie, die durch Kernspaltung freigesetzt werden kann. Da Endlager fehlen, wird der überwiegende Teil des Atommülls derzeit überirdisch in Zwischenlagern aufbewahrt. Davon gibt es in Deutschland mehr als 30 Stück.

In Richtung Endlager

"Wackersdorf wäre so ein Atommüll-Zwischenlager geworden, wenn man die WAA gebaut hätte - und zwar für Jahrzehnte," betont der frühere Schwandorfer Landrat und WAA-Gegner Hans Schuierer. Seine negative Vision, wohin sich die WAA Wackersdorf entwickelt hätte, hatte Schuierer schon in den letzten Jahren immer wieder geäußert: "Eine Wiederaufarbeitungsanlage, ein Zwischenlager und schließlich das Endlager."

Fakt ist: Am 6. Juni 1989 wurde per Vertrag besiegelt, den Bau einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage in der Oberpfalz zu stoppen. Vier Jahre lang tobte vorher der Kampf um die „WAA Wackersdorf“. Am 11. Dezember 1985 hatten die Bauarbeiten begonnen. Mit den ersten Rodungen errichteten Protestierende Hüttendörfer im Taxöldener Forst, die von der Polizei geräumt wurden. In der Folge eskalierten die Auseinandersetzungen immer wieder, teilweise herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Proteste haben auch Opfer gefordert: Zwei Demonstranten und ein Polizist verloren dabei ihr Leben.

Der Baustopp kam damals überraschend - auch für hochrangige Befürworter wie Gert Wölfel. Dass er als DWW-Repräsentant vor Ort erst am 25. März bei einem internen Treffen von den Plänen seiner übergeordneten Stellen, im speziellen Fall von VEBA-Manager Rudolf von Bennigsen-Foerder, erfahren haben will, gibt Wölfel noch heute zu denken, wie er immer wieder betont.

Wackersdorf: Reiche Gemeinde

Bennigsen-Foerder argumentierte damals, die Atomfabrik würde mit zehn Milliarden Mark zu teuer, die Wiederaufbereitung sei im französischen La Hague wesentlich günstiger und der Widerstand vor Ort führe zu massiven juristischen Problemen beim Genehmigungsverfahren. Man rechnete damit, dass die WAA frühestens 1998 hätte in Betrieb genommen werden können. Außerdem war WAA-Garant Franz Josef Strauß, damals bayerischer Ministerpräsident, im Oktober 1988 plötzlich verstorben.

Heute gehört Wackersdorf zu den reichen Gemeinden Bayerns – wegen der Ausgleichszahlungen für die entgangene WAA und wegen des Industrieparks, der stattdessen aufgezogen wurde.

Hintergrund:

Die WAA und der Protest dagegen

  • Im Frühjahr 1989 legten die Energiekonzerne ihren Plan, in Wackersdorf eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) zu bauen, zu den Akten.
  • Vorangegangen waren Jahre heftiger Auseinandersetzungen um das Projekt.
  • Der Protest wurde immer größer, nachdem ab 1985 im Taxöldener Forst fast 200 Hektar Baufläche gerodet und ein 4,8 Kilometer langer Sicherungszaun um das Gelände gezogen wurden.
  • Ostern 1986 wurde dort erstmals in der Bundesrepublik im großen Stil Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt.
  • Höhepunkt des Protests wurde im Sommer 1986 das „Anti-WAAhnsinns-Festival“ mit etwa 100 000 Menschen in Burglengenfeld.
 
 

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