Kirche ist manchmal auch ein bisschen Show. Und Theater. Michail ist da ein blendender Verkäufer vor dem Herrn – und auch für seinen Herrn. Der kleine, rundliche Mann erzählt in einer Kirche auf dem Zionsberg, versteckt in einer engen Gasse von Jerusalem, begeistert, was seine syrisch-orthodoxe Kirche leistet, und verlegt großzügig den nicht weit entfernten Abendmahlsaal in seine Liegenschaften. Ein Tuch verhüllt Bilder und sakrale Gegenstände in der Kirche. Vorhang auf! Mit Tamtam lüftet er das Geheimnis ...
Unten in den Katakomben werde es noch besser, verspricht er. Doch etwas anderes sorgt da für einen dieser Momente, für die man ins Heilige Land kommt. „Jetzt habe ich richtig Gänsehaut gekriegt“, sagt Angela Krüger Minuten später lächelnd. Nicht wegen der Frische, sondern wegen des Gefühls. Sie ist mit ihren beiden Töchtern Bärbel und Andrea nach Israel gekommen. Sie sind Teil einer Pilgergruppe aus Schwarzenfeld. 21 Personen, zu denen auch Susi Lindner, Sarah Koch und Pfarrer Heinrich Rosner gehören. Die Gruppe aus der Oberpfalz hat gerade in Jerusalems Untergrund Hand in Hand das „Vaterunser“ gesungen. Ein beeindruckender Moment, nicht nur für Angela Krüger. Ein Moment der Leichtigkeit, der Besinnlichkeit, des Fröhlichseins – und, trotz des Gesangs, irgendwie auch der Stille.
"Wie ein Seelenurlaub"
Gänsehaut? Es gibt mittlerweile viel zu wenig Gänsehaut in der katholischen Kirche, sagen viele: Missbrauchsskandal, Kirchenaustritte, das Blockieren des Synodalen Wegs durch Teile der Amtskirche. Was treibt da jemanden noch an, in ein Land zu reisen, wo sich alles abgespielt haben soll? Wer sucht hier noch die Wurzeln des Christentums? Zumal es eine Reise in den Konjunktiv ist: Hier könnte Jesus übers Wasser gegangen sein. Hier könnte er das Brot vermehrt haben. Hier könnte er geboren worden sein. Und hier könnte das größte Wunder der Menschheitsgeschichte geschehen sein – die Auferstehung.
„Ich brauche eigentlich keine Orte, um zu glauben“, sagt Sarah Koch. Die 19-jährige Schwarzenfelderin, die in Eichstätt Religionspädagogik studiert, saugt hier aber dennoch alles auf. Für Susi Lindner (46) sind das hier ganz besondere Momente: „Für mich ist das auch ein Seelenurlaub.“ Die Mutter zweier erwachsener Kinder, die im Stullner Kindergarten als Erzieherin arbeitet, war schon vor vier Jahren dabei. „Ich habe einiges schon anders in Erinnerung“, sagt sie, die ebenfalls aus Schwarzenfeld stammt, über ihre Reise nach Jerusalem, die ihr einiges an Gänsehaut bescheren wird. Pfarrer Heinrich Rosner ist bereits das neunte Mal im Heiligen Land, doch auch für ihn gibt es immer wieder Neues: „Ich war noch nie in Nazareth über Nacht.“ Dieses Mal ist die Pilgergruppe im Gästehaus der „Sisters of Nazaret“ untergekommen, ehe es zum See Genezareth hinüber ging.
Der Blick auf den See Genezareth
Hier an diesem galiläischen Gewässer ist das Gänsehaut-Potenzial besonders hoch. Etwa bei einer Messe direkt am Ufer des Sees, die Rosner auf einem Stein zelebriert: Die Pilger aus der Oberpfalz sitzen auf Holzstämmen. Ja, hier könnte auch Jesus mit seinen Jüngern gesessen haben. Nicht weit davon entfernt, in Kafarnaum, war der Apostel Petrus Fischer. „Hier soll Jesus ein- und ausgegangen sein“, sinniert Reinhold Then, der die Gruppe führt, beim Blick auf die Grundrisse der benachbarten Synagoge. Und lächelnd schiebt der Regensburger nach: „Eine schöne Vorstellung.“
Für Susi ist der See eine Wohlfühloase, irgendwie Wellness – aber ohne Whirlpool und Massage. Wellness für die Seele. „Ich erlebe das hier ähnlich wie beim letzten Mal“, sagt sie mit Blick aufs Wasser. Und auch Sarah findet hier „die Momente, die man auf sich wirken lassen kann“. Sie schreibt auch Tagebuch, postet ihre Erlebnisse auf Instagram. Wie Susi genießt sie in aller Herrgottsfrüh den Licht- und Sonnenaufgang. Gänsehaut-Feeling garantiert. „Ich finde Galiläa wunderschön“, sagt Sarah, die nächstes Jahr mit ihren Studienkollegen wieder hierher kommen wird. Tabgha, Magdala, Kanaa, der Blick hinauf zu den Golanhöhen – die Region um den See Genezareth fasziniert alle.
Entlang des Jordans reisen die beiden mit der Gruppe hinunter nach Jericho. Ein Bad im Toten Meer steht auf dem Programm, bevor es hinüber geht zu den heiligsten Stätten. Es ist manchmal auch eine beklemmende Fahrt. „Ich habe Israel zwar mit mehr Militär und Stacheldraht erwartet“, meint Sarah. Aber auch für sie ist erschreckend, wie die Israelis riesige Wohnblöcke in die Palästinenser-Gebiete wuchten, um Fakten zu schaffen. Deutlich wird das auch an den Hirtenfeldern nahe Bethlehem, die immer weiter schrumpfen.
Mehr Gänsehaut gibt es ein paar Kilometer weiter. Die Geburtskirche in Bethlehem taucht auf, aus allen Ecken des verwinkelten Gotteshauses dringen Gesänge, Gebete, vor der Treppe hinunter zum Krippenplatz staut es sich. Für Susi ist’s wie nach Hause kommen. Vor allem, wenn die Schwarzenfelder singen. Und das tun sie oft: Auch bei den entspannenden Ausflügen vor die Tore Jerusalems, in die judäischen Berge nach Ein Karem, wo Johannes der Täufer geboren worden sein soll, oder nach Abu Ghosh, wo sich die Emmaus-Szenerie des Ostermontags abgespielt haben könnte.
Texte vom Smartphone
Das Meiste spielt sich im Herzen Jerusalems ab. „Hier wohnst du eigentlich in der Bibel“, sagt Susi. Über den Ölberg geht es durchs Zionstor hinein in die Geschichte. Die Via Dolorosa liegt vor den Oberpfälzern, doch bevor der Leidensweg Christi erreicht wird, wartet in einer Seitengasse der nächste Gänsehautmoment. Einen, den man nicht erwartet. In der Mutter-Anna-Kirche wird viel gesungen. Susis Augen leuchten, sie zückt wie Sarah das Smartphone, um die Texte abzulesen. Ein Pater bedankt sich auf Französisch für den Oberpfälzer Gesang. Und hätte wohl noch gerne eine Zugabe gehört. „Die Gesänge. Diese Mehrstimmigkeit, da könnte ich vor Rührung nur noch weinen“, sagt Susi und wischt sich ein paar Tränchen weg.
Der Kampf in der Grabeskirche
Dafür ist sie am Ende des Tages etwas enttäuscht. „Das war doch letztes Mal anders?“ Sie wundert sich selbst über ihr Gefühl in der Grabeskirche. Einer der heiligsten Orte der Christenheit kommt ihr vor „wie ein Basar“. Wer noch nicht hier war, malt sich diesen Ort ganz anders aus. Der Kreuzigungshügel Golgatha ist ein Teil der Kirche, ein anderer das Grab Jesu. Sarah fühlt sich überfordert. „Sie streiten sich hier um jeden Quadratmeter. Um eine Grotte hier, um eine Grotte da.“ Sechs christliche Konfessionen bilden keine Einheit. Pfarrer Rosner war schon öfter hier, aber auch er kann sich nicht an das Szenario gewöhnen: „Ich empfinde das hier nicht nur verstörend, sondern bin auch persönlich verletzt." Jesus habe doch dafür gebetet, „dass wir Christen eins sind“. Von dem Ort solle eigentlich Frieden ausgehen, aber es gehe keiner davon aus. Ihm fehlt das Miteinander.
Nicht weit von der Grabeskirche entfernt liegt einer von Rosners Lieblingsorten der Stadt. Die Dachterrasse des Hotels des griechisch-katholischen Patriarchats. „Man ist hier in die Altstadt eingebunden und kann rüber zum Ölberg und in die Natur schauen“, sagt er und genießt „Nähe und Weite zugleich“. Derweil gibt Sarah der Grabeskirche am letzten Tag der Reise noch eine Chance: Um fünf Uhr morgens kommt sie mit einer kleinen Gruppe Schwarzenfelder ins Gotteshaus. „Ja, jetzt habe ich hier doch noch etwas Ruhe gehabt“, sagt sie zufrieden. Und ein bisschen Gänsehaut.
Sarahs und Susis Reisedaten
- 1. Tag: Flug München–Tel Aviv; Fahrt nach Nazareth. Übernachtung im Klosterhotel der "Sisters of Nazaret".
- 2. Tag: Besuch der Verkündigungskirche. Weiterfahrt nach Tabgha und Kafarnaum am See Genezareth. Übernachtung im Hotel der Deutschen Vereinigung vom Heiligen Lande.
- 3. Tag: Messe am See Genezareth. Weiterfahrt entlang des Jordans nach Massada (Palastfestung des Herodes). Übernachtung in Jericho.
- 4. Tag: Baden im Toten Meer. Weiterfahrt durch die Westbank nach Beit Sahour (Hirtenfelder). Fahrt nach Bethlehem. Übernachtung daneben im Casa Nova (3 Nächte).
- 5. Tag: Messe in der Geburtskirche. Fahrt nach Jerusalem: Palast des Kaiaphas. Besuch des Grabes von Oskar Schindler. Besuch des Abendmahlsaals und der syrisch-orthodoxen Kirche. Besuch des Winklarner Paters Matthias Karl, Prior der Benediktiner-Abtei.
- 6. Tag: Messe in der Geburtskirche (Hieronymus-Grotte). Besuch des Ölbergs in Jerusalem. Gang über das Zionstor in die Altstadt. Besuch der Mutter-Annakirche. Auf den Spuren der Via Dolorosa. Besuch der Klagemauer.
- 7. Tag: Besuch von Ein Karem. Besichtigung der Begegnungskirche und dem Geburtsort von Johannes dem Täufer. Besuch der Knesset. Übernachtung im Hotel des griechisch-katholischen Patriarchats in Jerusalem.
- 8. Tag: Messe in Abu Ghosh (Emmaus-Geschichte). Rückflug von Tel Aviv nach München.
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