(do) Goldene Bulle, Goldene Stadt, Goldene Straße, goldene Kronen! War wirklich alles Gold? Menschen brauchen Märchen und Geschichten. Da kommt die „Frankenkralle“ gerade recht. Das Ensemble zielt auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene, um sie an der alten Kunst- und Literaturform des Erzählens teilhaben zu lassen. Ein Thema ist für das professionelle Erzähler-Trio, bestehend aus Alexandra Eyrich, Andrea Gonze und Michl Zirk besonders aktuell. Das Trio lässt mit fesselnder Erzählkunst ihrem Phantasie-Motor freien Lauf. In Speinshart handeln die Geschichten vom einflussreichsten Kaiser des späten Mittelalters. Bis heute ist Karl IV. in Europa allgegenwärtig. Die „Frankenkralle“ entführt gemeinsam mit der Expertin für Alte Musik Ulrike Bergmann in die Welt der „Karlsgeschichten“. Anlass war für die Vier der 700. Geburtstag des Kaisers vor gut 700 Jahren, der entlang der Goldenen Straße, also der Via Carolina, besonders gefeiert wurde und Halt in vielen Städten machte.
Die kostümierten Erzähler machen auch am Rande der Goldenen Straße Station. In uriger Umgebung vor der Klosterscheune der Prämonstratenser-Abtei Speinshart begeistert die Besucher ein szenischer Erzählabend, der die ungewöhnliche Biografie Karl IV. widerspiegelt. Die Geschichten handeln von Sehnsucht und Reichtum, von Macht und Rivalität und vom Klatsch und Tratsch jener Zeit. Die Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Historischen Verein für Oberfranken stattfindet, wird von Ulrike Bergmann begleitet. Der Klang der historischen Drehleiter umrahmt die märchenhaften Erzählungen, oder waren es doch nur Märchen, oder überwiegen die wahren Begebenheiten?
Die Verwirrungen in der Zeit Karl IV. beginnen schon im Kindesalter des künftigen Herrschers. Giftanschläge gegen die Mutter misslingen. Die Heirat von Elisabeth mit Johann von Luxemburg ändert alles, auch in Prag. Johanns Truppen ziehen gegen die Stadt an der Moldau, die Prager Bürger öffnen die Stadttore und König Johann verjagt Heinrich von Kärnten. Es kommen glückliche Zeiten. Die goldene Wiege entsteigt der Moldau. „Als Königin Elisabeth ihren Sohn Wenzel gebar, den Sohn Johanns von Luxemburg, geschieht ein Wunder. Die Wasser der Moldau öffnen sich wie die Blüte einer Rose und geben aus den Tiefen einen uralten Schatz frei: die goldene Wiege, die dem Land Frieden und Glück bringt“. So reiht sich eine Erzählung an die Andere. Aus dem Knaben Wenzel wird bei der Firmung Karl, der bald darauf durch eine glückliche Fügung einem Giftanschlag entgeht. Das Nüchtern-Sein vor dem Kommunion-Empfang und dem damit verbundenen Verzicht auf das vergiftete Frühstück rettet dem künftigen Herrscher das Leben. Eine Aura des Unbesiegbaren umgibt danach den Buben.
„Was war dieser Karl für einer“, fragen sich die Erzähler und machen die Besucher zu Ko-Autoren der Geschichten. Als Verweser seines Vaters in Prag träumt der junge Karl von einem blühenden Land, ein Land das er aufbauen und nicht mit Zerstörung beherrschen will. Karls Waffen sind Wörter und Visionen. Er will nicht unterdrücken, sondern verstanden werden. Er träumt von einem goldenen Zeitalter. Während sein Vater Johann von einer Schlacht zur anderen eilt, wird Prag unter Karl zur blühenden Residenz. Verlorene Burgen kommen wieder ins Herrschaftsgebiet, Ruhe und Ordnung kehren ein. Das Land atmet auf. Und es scheint, als wolle der Glanz der goldenen Wiege sich über Karl und auf das Land verbreiten. In diesem goldenen Glanze leuchtet eine ruhmreiche Ära. Kunst, Diplomatie und Glaube triumphieren über Kriege. Mit Karl regiert ein fanatischer Frömmler das Land, aber zugleich überrascht er mit pragmatischen Lösungen.
Leider sorgt auch eine mörderische Seite Karls für viel Beachtung. Zum Verhängnis wird dem Herrscher die Pest. Die Erzähler berichten von den Juden als Sündenböcke. Sie werden als vermeintliche Brunnenvergifter angefeindet. Aus Schutzbefohlenen werden Feinde. Karl genehmigt die Errichtung des neuen Hauptmarktes in Nürnberg auf dem Gelände des Judenviertels. Dessen Einwohner werden ermordet. Auf der anderen Seite beschreiben Alexandra Eyrich, Andrea Gonze und Michl Zirk in ihren Geschichten den Kaiser und König als genialen Vorausdenker. Die Universität Prag entsteht. Mit der Goldenen Bulle erhält das Reich ein stabiles Grundgesetz. Dazwischen streuen die Protagonisten Klatschgeschichten. So ist die Rede von einem Babytauch zwischen der Herrscherin und der Schustersfrau. Die kleine Prinzessin wird zur Handwerkerstochter, das seltsame Prinzlein zum König. Und auch ein Schwank über Plech, an der Goldenen Straße gelegen, sorgt für Erheiterung. Die Plecher Bürger lassen sich von einem fahrenden Gesellen übertölpeln und erstehen für zwei Gulden ein vermeintliches Pferde-Ei, aus dem ein Fohlen schlüpfen soll. Das Ei stellt sich als Kürbis heraus. Für Schmunzeln sorgt auch die Erzählung über den praktischen Teppich der Hirschauer beim Empfang des Kaisers.
Als der Herrscher in Prag zu seinem letzten Gang aufbricht, lädt zufällig die große Glocke der Klosterkirche mit seiner mächtigen Klangfülle zum Abendgebet ein. Wenig später haucht Karl als einer der Großen des römisch-deutschen Kaisertums seine Seele aus. In diesem Augenblick versinkt das Gold der Wiege in den Fluten der Moldau. Trauermusik auf der historischen Drehleiher begleitet den Abgesang.














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