Als Schriftstellerin will sie nicht bezeichnet werden. Es ist ein Familienroman, den die Schreibtherapeutin Sandra Brökel im Musiksaal des Klosters Speinshart vorstellte. Der Titel „Das hungrige Krokodil“ lässt eher auf einen Kinderroman schließen. Doch die Geschichte, die Sandra Brökel in ihrem Buch niederschrieb, ist spektakulär. Es geht gut 50 Jahre nach dem Prager Frühling und dem folgenden Einmarsch der „sozialistischen Bruderstaaten“ in die Tschechoslowakei um den Mut, Widerstand zu leisten und menschliche Größe zu zeigen.
Der Roman gewährt einen tiefen Einblick in die Seele eines Flüchtlings. Es ist die bewegende Geschichte von Dr. Pavel Vodák (1920–2002), der in Tschechien hautnah die Gräueltaten der Nazis und die Befreiung und Härte der neuen kommunistischen Machthaber erlebte. Nach der Flucht 1970 fand der Mediziner mit seiner Familie im westfälischen Marburg eine neue Heimat. „Lesung“ bedeutete für Sandra Brökel in Speinshart nicht, einfach nur aus ihrem Roman vorzulesen. Stattdessen erhielten die Besucher zunächst einen Einblick in die außergewöhnliche Entstehungsgeschichte des Buches.
In einer alten Arzttasche schlummerte der Schatz und wartete zwölf Jahre darauf, entdeckt zu werden. Auf rund 1000 Seiten hatte der Kinder- und Jugendpsychiater Pavel Vodák die Erinnerungen an sein Leben niedergeschrieben. Nur durch Zufall gelangten diese in die Hände der Autorin. Brökel arbeitete sich durch die Autobiographie und schuf mit Unterstützung von Freundin Paula Kruse, der Tochter von Dr. Podák, ein fesselndes Werk.
Geboren in Prag erlebt Pavel Vodák aus tschechischer Perspektive den Zweiten Weltkrieg, den anschließenden Kommunismus und die Niederschlagung des Prager Frühlings. Pavel Vodák ist in Prag Chefarzt einer berühmten Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er lebt mit seiner Ehefrau, der Tochter Pavli und der Schwiegermutter in einer kleinen Wohnung und hat allen Grund, mit seinem Leben zufrieden zu sein. Wäre da nicht sein wachsendes Unbehagen am herrschenden System in der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg. Als sich die Lage nach dem gescheiterten Prager Frühling zuspitzt, kann er sich nicht mehr vorstellen, in der Heimat weiterzuleben.
Das „hungrige Krokodil“, sein Bild vom Nationalsozialismus aus Kindertagen ist zurück in Form einer anderen Diktatur. Die Großechse zeigt seine Gefräßigkeit, die Freiheiten verschlingt und als schleichendes Ungeheuer unbarmherzig zuschlägt. Bildhaft sieht Vodák im hungrigen Krokodil Schauprozesse, Verfolgung und Repressalien. Auf Dauer will der Arzt aus Leidenschaft, eine internationale Kapazität, diese Unterdrückung nicht ertragen. Pavel plant deshalb die nervenaufreibende Flucht der kleinen Familie über Jugoslawien nach Deutschland.
Die Geschichte, die Sandra Brökel dem gespannt lauschenden Publikum vorliest, geht unter die Haut. Mit gefälschten westdeutschen Reisepapieren gaukelt Vodák seiner eigenen Familie einen Familienurlaub in Jugoslawien vor, um, auf dem Balkan angekommen, bei einem Schiffsausflug in der Adria in Italien zu landen. Die Autorin schrieb einen aufregenden Familienroman, der weitestgehend auf Tatsachen beruht und dem Leser ein wichtiges politisches Ereignis ist Gedächtnis ruft, das vor gut 50 Jahren die Welt in Aufregung versetzte. Geschickt verstand es die Schreibtherapeutin und Heilpraktikerin den biografischen Notizen des Pavel Vodák ein hohes Maß an Authentizität zu geben. Der Roman lebt von Tiefgang, Spannung und Dramatik und schlüpft in die Seele eines längst verstorbenen Menschen. „Es handelt sich um ein Buch der Versöhnung“, betont die Autorin. Die Verkaufserlöse fließen in soziale Projekte. Gleichzeitig bewegt Sandra Brökel die Frage nach den Schlussfolgerungen dieser Geschichte. Der Weisheit des Herzens zu folgen und den Mut zu finden, aus Verantwortung für die Zukunft neue Wege zu gehen, gehört zu den Antworten der fesselnden Lesung.














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