„Industriekultur – alt und neu im Landkreis Schwandorf“ nennt die Katholische Erwachsenenbildung ein auf zwei Jahre ausgelegtes Projekt, das am Dienstag im Mehrgenerationenhaus in Wackersdorf startete. Dabei wurde deutlich, wie sehr die Arbeitswelt das soziale Gefüge der Gesellschaft beeinflusst hat.
KEB-Vorsitzender Alexander Dewes stellte zu Beginn die Frage in den Mittelpunkt: „Wie geht die Gesellschaft mit den von Industrieanlagen verursachten Veränderungen um?“. In Vorträgen und Exkursionen durch den Landkreis wolle der katholische Verband in den nächsten zwei Jahren dieser Frage auf den Grund gehen.
Zusammenhang mit Wahlverhalten
Zum Auftakt hielt der Steinberger Altbürgermeister und stellvertretende Landrat Jakob Scharf einen Impulsvortrag. Der langjährige Kommunalpolitiker stellte einen Zusammenhang her zwischen der Arbeits- und der Sozialgeschichte der Menschen und folgerte daraus ihr parteipolitisch geprägtes Wahlverhalten. „Der klassische Arbeiter wählte rot“, so der Referent. Im Gegensatz zur Bauernschaft und der Geistlichkeit. Sie hätten die Umsiedlung von Wackersdorf und Steinberg kritisch gesehen. In der Kirchenchronik wird der damalige Steinberger Benefiziat Franz Dietheuer zitiert: "Die Bayerische Braunkohlenindustrie und das mit ihr unter einer Decke steckende Landratsamt ignorieren den Willen des Volkes“.
Die Umsiedlung werde sich merklich auf die Religiosität der Menschen auswirken, prophezeite der Geistliche. Er befürchtete ferner, „dass der Bauernstand ganz aus der Gemeinde verschwinden wird und eine reine Arbeitergemeinde übrig bleibt“. Der Pfarrer sollte mit seiner Einschätzung Recht behalten. Nicht nur im Städtedreieck, sondern auch in Wackersdorf, Steinberg, Fischbach, Klardorf und Dachelhofen regierten „rote“ Bürgermeister. Im Gegensatz zu heute: Da gibt es in den 33 Landkreisgemeinden nur noch einen einzigen SPD-Bürgermeister.
Der CSU´ler Jakob Scharf erinnert sich an seine „ersten Gehversuche im politischen Raum“, als er mit seinem Gegenspieler Franz Schindler (SPD) nicht nur politisch wetteiferte, sondern auch darum, „wer die längeren Haare hatte“. Nach der Stilllegung von BBI in Wackersdorf und des Stahlwerkes in Maxhütte beobachtete der CSU-Politiker den gegenteiligen Effekt: „Mit dem Strukturwandel von Industrie und Gewerbe veränderte sich auch das Wahlverhalten der Bevölkerung“. Die Formel "SPD ist gleich Arbeiterpartei und die CSU die Partei der Besserverdienenden“ stimme heute nicht mehr. Der neue Mittelstand aus Angestellten und Beamten habe die Zahl der Wechselwähler wachsen lassen.
Jakob Scharf wandte sich der jüngsten Entwicklung zu und zeigte sich überzeugt: „Ohne BBI, ohne den Kampf um die WAA, gäbe es auch BMW mit dem Industriepark nicht, gäbe es manchen Betrieb in Schwandorf oder im Städtedreieck nicht, mit Sicherheit auch keine so wunderschöne Seenlandschaft“.
"Ein Segen" für die Region
Die Rekultivierung der Bergbaulandschaft nannte er vorbildlich. Schon 1973 hatte die BBI als einziges bayerisches Unternehmen unter 64 deutschen Industriebetrieben eine goldene Umweltmedaille erhalten. Man habe 15 Millionen Bäume gepflanzt, nicht in einer Kiefer-Monokultur, sondern als Mischwälder. Die Rekultivierungsmaßnahmen kosteten 100 Millionen Euro. Jakob Scharf stellte fest: „Die heute von vielen verteufelte Kohle war im Nachgang betrachtet für unsere Region ein Segen“.
Der Referent streifte aber auch die dunklen Seiten der Industriegeschichte und erinnerte an das Schicksal der vielen Zwangsarbeiter in den Betrieben des Landkreises während der Nazi-Herrschaft und die Konflikte quer durch die Gesellschaft in der Zeit der WAA-Auseinandersetzung. Heute stehe der Landkreis wirtschaftlich sehr gut da, könne auf weltweit agierende Unternehmen verweisen und sei vom Armenhaus zur Vorzeigeregion aufgestiegen.
Industriekultur im Landkreis Schwandorf
- Projekt: Die katholische Erwachsenenbildung plant eine zweijährige Vortrags- und Erlebnisreihe.
- Inhalte: Von der Montanindustrie der Vergangenheit bis zu den erneuerbaren Energien heute
- Altlasten: Die Industrieanlagen verändern die Landschaft und erfordern eine Renaturierung.
- Tradition: Patrozinien und Barbarafeiern erinnern an die Bergbaugeschichte.
- Ziel: Vorträge und Exkursionen sollen den Menschen die Industriekultur im Landkreis näher bringen.
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