Sulzbach-Rosenberg
27.04.2020 - 13:42 Uhr

Ein Anonymer Alkoholiker berichtet über die Gemeinschaft der AA

„Trinke heute nicht, lasse heute das erste Glas Alkohol stehen!“ Sie alle verbindet der feste Wunsch mit dem Trinken aufzuhören. Wie vielerorts in der ganzen Welt, gibt es auch in Neukirchen regelmäßige Treffen der Anonymen Alkoholiker.

Der Meetingraum der Anonymen Alkoholiker in Neukirchen. Bild: exb
Der Meetingraum der Anonymen Alkoholiker in Neukirchen.

Die betroffenen, alkoholkranken Menschen kommen zusammen und teilen ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung, um ihr gemeinsames Problem zu lösen und anderen zur Genesung vom Alkoholismus zu verhelfen. Einer aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach hat gegenüber Oberpfalz-Medien zusammengefasst, was es mit den Anonymen Alkoholikern auf sich hat, nach welchen Prinzipien sie leben und wie sie versuchen, durch Hilfe zur Selbsthilfe „trocken“ zu bleiben. Nachfolgend sein Bericht.

Am 10. Juni 1935 gründeten in Akron/Ohio der Börsenmakler Bill W. und der Chirurg Dr. Bob S. die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker. Beide waren bis dahin hoffnungslose Trinker. Bill W., der nach rund 50 Entzugsbehandlungen schon einige Wochen keinen Alkohol mehr getrunken hatte, schenkte an diesem bedeutsamen Tag Dr. Bob einen letzten Drink ein, damit dieser mit ruhigen Händen eine wichtige Operation an einem Patienten vornehmen konnte. Sie redeten miteinander über ihre Krankheit Alkoholismus. Es wurde ein langes Gespräch ohne Selbstbetrug und Lügen; ab diesem Tag wurden sie beide trocken. Dr. Bob starb 1950, Bill W. 1971. Sie gaben ihre Botschaft an andere Alkoholiker weiter, die lautet: "Lass das erste Glas Alkohol stehen." Dies funktioniere aber nur, wenn man Erfahrung, Kraft und Hoffnung miteinander teilt. Und es lohnt sich, erzählt der Betroffene. 60 Jahre später feierten in San Diego/USA rund 80 000 Frauen und Männer aus allen Erdteilen, Völkern und Kulturen mit großer Dankbarkeit und ohne einen Tropfen Alkohol. Die Gemeinschaft umfasst derzeit weltweit zwei bis drei Millionen Leute, allein in der Bundesrepublik leben rund 25 000 bis 40 000 trockene Alkoholiker, weiß die Person, die unerkannt bleiben möchte. Nach Deutschland kamen die Anonymen Alkoholiker 1953 und in Neukirchen fand im Mai 1992 das erste Meeting statt.

Anonyme Alkoholiker treffen sich bei ihren Meetings, zu deren Beginn die Präambel vorgelesen wird, die besagt, dass Anonyme Alkoholiker eine Gemeinschaft von Männern und Frauen sind, die miteinander ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen, um ihr gemeinsames Problem zu lösen und anderen zur Genesung vom Alkoholismus zu verhelfen.

Die einzige Voraussetzung für die Zugehörigkeit ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören. "Die Gemeinschaft kennt keine Mitgliedsbeiträge oder Gebühren, sie erhält sich durch eigene Spenden. Die Gemeinschaft AA ist mit keiner Sekte, Konfession, Partei, Organisation oder Institution verbunden; sie will sich weder an öffentlichen Debatten beteiligen, noch zu irgendwelchen Streitfragen Stellung nehmen. Der Hauptzweck ist nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen", so der Betroffene weiter.

Gesprochen wird im Meeting nach der Reihenfolge, die der Meetingssprecher nach den Wortmeldungen festlegt und aufruft. Es gibt keine Diskussionen, keine Bewertungen und Ratschläge, jeder kann unter der Wahrung der Anonymität frei und offen von sich erzählen. AA bietet nur Hilfe zur Selbsthilfe, das heißt keine finanzielle Unterstützung, keine Wohnung, keine Arbeit, lediglich Erfahrung, Kraft und Hoffnung und das „12-Schritte-Programm“, das im 1. Schritt die Kapitulation vor dem Alkohol bedingt, das Eingeständnis, dass sie dem Alkohol gegenüber machtlos sind und ihr Leben alleine nicht mehr meistern konnten. „Wer aufhört, gegen den Alkohol zu kämpfen, hat Chancen zu gewinnen“, heißt es etwas paradox im „Blauen Buch“ der AA, das als allein bindende Lektüre gilt.

Die folgenden zehn Schritte laden zu einer spirituellen Reise ein, die der Psychoanalytiker C.G. Jung in einem Briefwechsel mit dem Mitbegründer Bill W. treffend mit dem Satz „Spiritus contra Spiritum“ auf einen Nenner brachte. Abgerundet wird dieses Programm mit der Weitergabe der Selbsterfahrung im Zwölften Schritt an andere noch leidende Alkoholiker. Diese Möglichkeit der Problemlösung ist mittlerweile zu einem Selbsthilfemodell für Menschen in vielen essentiellen Lebenskrisen geworden, heißt es. "Jeder, der zu AA kommt, wird akzeptiert, so wie er gerade ist." Erste Eindrücke von Neuen sind meist die erstaunliche Offenheit, Ehrlichkeit, Herzlichkeit, Toleranz und Akzeptanz. Dem Neuen wird ans „Herz“ gelegt, erst mal zuzuhören und mindestens zehn Meetings zu besuchen, bis er sich für oder gegen die Zugehörigkeit zu AA entscheidet. "Da sich viele, die mit dem Trinken aufhören wollen, im verborgensten Inneren nicht vorstellen können, nicht am Geburtstag, nicht an Silvester, einfach nie wieder zu trinken, empfangen ihn die AA mit der Botschaft: Trinke heute nicht und lass das erste Glas stehen. Saufen beginnt immer mit dem ersten Glas. Jeder der im AA-Meeting sitzt, hat die tödliche Vorerfahrung einer durch und durch vergifteten Einsamkeit und einer erdrückenden Isolation erlebt und weiß, wovon er spricht", erzählt das AA-Mitglied.

Kein Alkoholiker kann auf Dauer einem anderen etwas vormachen, denn es gibt Gedanken und Gefühle im Teufelskreis der Sucht, die nur Betroffene selbst nachempfinden können. Ehrlichkeit, Toleranz, Demut und nicht zuletzt eine friedensstiftende Gelassenheit werden den alten, kranken Verhaltensweisen der Sucht entgegengesetzt. Weitere umsetzbare Weisheiten, die als Krücken auf dem Weg zu einem zufriedenen Leben ohne Alkohol dienen, sind „Nimm's leicht, nimm dich nicht zu wichtig, mach kleine Schritte, sei geduldig, das Wichtigste zuerst, werde nie zu müde zu einsam oder zu ärgerlich." AA sprechen nicht von einer Heilung ihrer Krankheit, denn Alkoholismus hat man nicht, Alkoholiker ist man. Es gibt nur einen Stillstand der Sucht für den heutigen Tag, was bedeutet, mit der Krankheit leben zu lernen. Grundvoraussetzung dazu ist völlige Abstinenz. Eine mit Alkohol getränkte Torte oder eine Schnapspraline können bereits den Rückfall bedeuten, der jederzeit tödlich enden kann. Deshalb weisen die AA sich selbst immer wieder auf eine lebensnotwendige Wachsamkeit hin, heißt es.

Zum Thema:

Kontakt

Kontakttelefon der Anonymen Alkoholiker: 0174/6908250.

Internet: www.anonyme-alkoholiker.de, www.al-anon.de, www.alateen.de.

Regelmäßige Meetings finden zu folgenden Zeiten statt:

Sulzbach-Rosenberg am Annaschacht 4, Stefan-Kastenbauer-Haus, Montag, 19 Uhr, Mittwoch, 19 Uhr. Meeting für Angehörige und Interessierte ebenfalls Montag, 19 Uhr in einem eigenen Raum.

Amberg: Dienstag, 18.30 Uhr, Evangelisches Gemeindehaus, Paulanerplatz 13, Donnerstag, 19 Uhr, Arbeiterwohlfahrt, Seminargasse 10.

Neukirchen: Sonntag, 19 Uhr, Evangelisches Gemeindehaus.

Börsenmakler Bill W., einer der Gründer der Anonymen Alkoholiker Bild: exb
Börsenmakler Bill W., einer der Gründer der Anonymen Alkoholiker
Der Meetingraum der Anonymen Alkoholiker in Neukirchen. Bild: exb
Der Meetingraum der Anonymen Alkoholiker in Neukirchen.
Der Meetingraum der Anonymen Alkoholiker in Neukirchen. Bild: exb
Der Meetingraum der Anonymen Alkoholiker in Neukirchen.
Arzt Dr. Bob S,, einer der beiden Gründer der Anonymen Alkoholiker. Bild: exb
Arzt Dr. Bob S,, einer der beiden Gründer der Anonymen Alkoholiker.
 
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