Tirschenreuth
10.05.2019 - 16:36 Uhr

Ansteckende Herzlichkeit in Kolumbien

Ohne ein Wort Spanisch bricht Susanne Prölß nach dem Abitur zu ihrem Freiwilligendienst auf ins 10 000 Kilometer entfernte Kolumbien. Nach einem turbulenten Start fühlt sich die Tirschenreutherin in Socorro fast wie zu Hause.

Sehr früh war der Tirschenreutherin klar, dass sie nach ihrem Abitur ins Ausland gehen möchte. "Der Plan stand schon länger." Seit 2017 informiert sie sich über mögliche Ziele und die Umsetzung ihres Plans. Die Bewerbungsphase dauert mehrere Monate. Von ihrem älteren Bruder, der seinen Freiwilligendienst in Costa Rica absolvierte, kannte sie bereits die Organisation "AFS". Dies ist eines der weltweit größten Netzwerke von Austauschorganisationen für junge Menschen, die als Austauschschüler oder Freiwillige in sozialen oder ökologischen Projekten ins Ausland gehen wollen. Eine recht coole Sache, findet die 19-Jährige. "Ich wollte nach Lateinamerika und unbedingt spanisch lernen", sagt die Tirschenreutherin.

Verliebt in Kolumbien

In ihrer Bewerbung für den Freiwilligendienst konnte Susi fünf Länder angeben. "Eigentlich hatte ich keinen speziellen Wunsch. Zu jedem Land hatte ich gleich irgendeine Assoziation. Nur zu Kolumbien ist mir nicht viel eingefallen." Klar kam ihr zunächst die Drogenproblematik in den Sinn - aber dass der Nordwesten Südamerikas zwischen Pazifik und karibischem Meer vom Amazonas, Regenwäldern, den Anden und Kaffeeplantagen geprägt ist, das gefiel Susi. "Ich hab mir viel dazu durchgelesen und mich dorthin beworben."

Als der Bescheid kommt und ihr Freiwilligendienst die Abiturientin tatsächlich nach Kolumbien führt, freut sie sich total. "Nur meinen Mama war nicht so begeistert", sagt Susi und lacht. Das "Nesthäkchen" in einem gefährlichen Land, fast 10 000 Kilometer entfernt. "Kolumbien ist ein gefährliches Land - wer einmal kommt verliebt sich", zitiert Susi ein Sprichwort ihrer Gastfamilie. Das kann die Tirschenreutherin bestätigen. Kolumbien ist eines der Länder mit den meisten Stellen für Freiwillige. Mit Susanne Pröls werden 29 weitere junge Erwachsene entsandt. Nach ihrem Abitur am Stiftland-Gymnasium, rückt im August 2018 auch die Reise nach Kolumbien näher. Sechs Wochen vorher beginnen ihre Vorbereitungskurse. In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá angekommen gibt es zunächst ein "Akklimatisierungscamp" im dortigen ASF-Quartier.

In den ersten Wochen überschlagen sich die Ereignisse: Viele Freiwillige haben ihren Einsatz in Großstädten, drei bis vier Leute werden in Dörfern oder Kleinstädten eingeteilt. "So ging es mir. Ich bin ganz alleine in Socorro, ein Ort etwa so groß wie Tirschenreuth." Das stellte sich allerdings erst heraus, als sie mit einer Gruppe von zehn Leuten von Bogotá ins etwa drei Stunden entfernte Bucaramanga gefahren wurde. "Dort angekommen dachte ich eigentlich erst, dass ich mit der Gruppe in der Stadt bleibe. Aber die zuständige Frau meinte, ich muss nach Socorro. Als sie sagte: ,Da müssen wir mal gucken, wie wir dich da hinkriegen' fand ich das schon komisch", sagt Susi. Dazu kommt: Auch ihre Gastfamilie kennt sie noch nicht. Sie schlägt sich durch, ohne ein Wort spanisch zu sprechen. Und die wenigsten Kolumbianer sprechen Englisch.

Susi Pröls bloggt über ihr Freiwilliges Soziales Jahr:

Die ersten Wochen kam die Oberpfälzerin bei einer Ersatz-Gastfamilie unter, bevor sie ihre richtige Gastfamilie kennenlernte. Das sei in Kolumbien gang und gäbe. "Die Anfangszeit war für mich super stressig", blickt Susi beim Telefonat mit Oberpfalz-Medien zurück. "Die ersten drei Wochen waren richtig schlimm. Ich dachte: Wenns nur schon wieder rum wäre." Erst nach einiger Zeit realisierte die Tirschenreutherin, wo sie ist: "Es dauert etwas, bis man auch mit dem Kopf ankommt." Nach einer turbulenten Eingewöhnungszeit ging es für die junge Frau aufwärts. Geholfen habe, dass sie die Sprache immer besser verstand und mit den Kolumbianern kommunizieren konnte. "Ich hab anfangs teilweise mit dem Handy übersetzt und mich mit einzelnen Wörter durchgeschlagen."

Nach mittlerweile acht Monaten in Kolumbien ist die Stiftländerin super glücklich und fühlt sich pudelwohl in Kolumbien. Susi findet es sogar gut, dass sie alleine in Socorro ist und nicht mit den anderen der Gruppe ständig aufeinander hockt. "Man ist angewiesen, Kontakte aufzubauen und sich kolumbianische Freunde zu suchen. Das hab ich hier", sagt die 19-Jährige. Zwar nicht der einfachste Weg, aber so kann sie ihren Aufenthalt ungefiltert und intensiver erleben. Natürlich trifft sie sich auch ab und zu mit den anderen Deutschen zum weggehen und tanzen - "Lateinamerikanische Kultur ohne tanzen geht gar nicht!"

Freizeit für Ausflüge nutzen

In Socorro, einer Gemeinde im Departamento Santander, arbeitet Susi als Englischlehrerin an einer öffentlichen Schule. Ihr Tag beginnt um 6 Uhr, die Schule beginnt um 7 Uhr. Die 19-Jährige unterrichtet bis 14 Uhr. In der Klasse ist sie nie allein, sie ist immer mit zwei Englisch-Lehrern unterwegs. "Den Unterricht kann man gar nicht mit dem in Deutschland vergleichen. In Kolumbien ist das viel lockerer, die Schüler laufen zwischendurch auch rum", vergleicht Susi. Nachmittags hat sie Freizeit. "Die typische Siesta hab ich mittlerweile auch übernommen", sagt Susi und lacht. Danach unternimmt sie was mit ihrer Gastfamilie und Freunden oder macht Ausflüge. In Kolumbien lernte sie auch andere Deutsche kennen, die etwa als Au-Pair dort sind.

Ihre Gastfamilie hat null Erfahrung mit Freiwilligendienstlern. Die Stiftländerin ist ihr erster Gast. "Es ist eine klassische Patchwork-Familie." Die 19-Jährige wohnt mit ihrer Gast-Omi in einem "Cohunto", einem Reihenhaus. Deren Sohn, Susis Gastvater, lebt mit seiner Freundin in Bucaramanga. Dort hat er eine Finca und baut Zuckerrohr, Kochbananen und Kaffee an. Auch Pferde und Rinder gibt es auf dem Hof. Susis Gastvater hat drei Töchter mit seiner Ex-Frau, die in Susis Alter sind. "Weil die Mädchen etwas hellere Haut und Haare haben, werden wir witzigerweise oft für Schwestern gehalten", erzählt Susi über die Gastschwestern. Auch die Freundin des Vaters hat Kinder, die Susi schon kennenlernte. "Wenn die ganze Familie zusammenkommt geht alles durcheinander, aber es ist super witzig", freut sich Susi über das liebenswürdige Chaos.

Ihr Gastvater ist zugleich auch Susis Spanisch-Lehrer. "Ich hab nicht geglaubt, dass man eine Sprache lernen kann, indem man sie ständig hört. Aber es geht!" Manche Dinge bräuchten zwar eine Erklärung oder Übersetzung, und einiges kann sich die junge Frau mit Schul-Latein oder durch den Kontext erschließen. "Am Anfang haben mich die Schüler zugetextet und ich hab nichts verstanden." Mittlerweile bekommt sie alles mit.

Dass sie ihre Heimat ein ganzes Jahr nicht sieht, belastet die 19-Jährige nicht. "Das gehört zu der Erfahrung dazu." Heimweh hat die Freiwillige nicht. "Viele Leute klagen über heftiges Heimweh. Das hab ich bisher nicht so gespürt. Klar, man zieht schon Vergleiche und denkt in einem ruhigen Moment an zu Hause, aber richtig schlimm war das nicht." Susi hat täglich Kontakt zu ihrer Familie und auch zu ihrem Freund, der zu Hause auf sie wartet - "Das ist eine harte Probe. Aber wir ziehen das durch!" Trotz der guten Zeit erlebt die Oberpfälzerin auch wehmütige Momente: "Das erste Weihnachten ohne meine Familie war das emotionalste, das ich bisher erlebt habe", gesteht sie. Schon von der Stimmung her: "Es ist heiß und man schwitzt. Gar nicht weihnachtlich." Aber die Feier innerhalb der Gastfamilie tröstete die Tirschenreuther in darüber hinweg.

In Südamerika fehlt es ihr an nichts. Spontan fällt ihr auch nichts ein, auf das sie sich am meisten freut, wenn sie in drei Monaten wieder in die Oberpfalz kommt. "Viele würden vielleicht das Essen sagen. Aber ich bin hier richtig gut versorgt." In Kolumbien gebe es viele Fleischgerichte, genau das richtige für die 19-Jährige.

Familiär, warm und herzlich

Nur die Unterschiede zwischen arm und reich würden ihr in Kolumbien besonders auffallen: "Das ist echt krass." Und die Mentalität der Menschen sei ganz anders. Nach dem Motto: "Komm ich heut nicht, komm ich morgen." Die Kolumbianer sind total offen. Sehr familiär, warm und herzlich. "Die Europäer sind eher dazu geneigt, Abstand zu halten. Aber mir gefällt's so herzlich viel besser, ich denke davon werde ich viel mit nach Deutschland bringen", erzählt Susi.

Im Juli endet der Freiwilligendienst der 19-Jährigen. Wie es danach weitergeht? "Wenn ich das wüsste", sagt sie und seufzt. Die Tirschenreutherin möchte studieren, das steht fest. Lehramt, vielleicht mit den Sprachen Englisch oder Spanisch, steht weit oben auf der Liste. "Andererseits schwirrt mir seit zwei Jahren Sportwissenschaften durch den Kopf", ist die junge Frau noch unentschlossen. Was fest steht: "Ich will in jedem Fall was Soziales machen. Ich hab Spaß daran, mit Leuten zu arbeiten. Ich brauch' Menschen um mich herum."

 
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