Österreich hatte keinen Kaiser mehr, zwei neue Staaten waren geschaffen. Niemand, aus der im Land lebenden deutschsprachigen Bevölkerung hatte es verhindern können. Über die Bärnauer erfuhren die Paulusbrunner, dass in Bayern auch nicht mehr alles so war, wie einst. Der König hatte ebenfalls abgedankt, Bayern war nun auch eine Republik.
Für die Paulusbrunner änderte sich das Leben ab 1919/1920 massiv. Bereits im Dezember 1918 hatte das tschechische Militär die Grenze besetzt. Der Prozess dauerte bis 1920. Drei Militäreinheiten wurden eingesetzt, eine in Hermannsreith, die zweite in Wittichsthal und die dritte in Hinterpaulusbrunn. Einquartiert wurden sie in Gasthöfen der drei Ortschaften. Ab sofort mussten sich alle, die in Richtung Bärnau wollten, einen Grenzschein besorgen. An der Grenze wurde kontrolliert. Die ehemaligen österreichisch deutschsprachigen Grenzposten wurden fristlos entlassen.
Geldumtausch
So richtig bewusst wurde die neue Situation den Deutschen auf der tschechischen Seite im März 1919. Vom 1. bis 3.März musste sie ihr österreichisches Geld am Gemeindeamt abstempeln lassen. Papiergeld wurde in tschechische Kronen umgetauscht. Jeder bekam aber nur die Hälfte des Geldes. In der gesamten Gemeinde waren das ungefähr eine halbe Million Kronen an Papiergeld. Jetzt war es allen klar: „Wir leben in einem neuen Staat“.
Frauen dürfen wählen
Erstmals wurde 1919 gewählt. Es war ein sehr demokratisches Wahlrecht, die Masaryk Regierung hatte als eines der ersten Länder in Europa durchgesetzt, dass auch die Frauen wählen dürfen. Gewählt wurden ein Ortsvorsteher und sein Stellvertreter. 1923 erfolgte nach einem neuen Wahlgesetz, die zweite Wahl. Hier gab es Einspruch, erst im Januar 1924 konnten die Gemeindeämter übernommen werden.
Tschechische Schule
Plötzlich gab es auch eine tschechische Schule. Das neue Personal vor Ort mit ihren Familien war durchwegs tschechisch. Neu gebaut wurde nicht, die Klassen mit tschechischen Lehrern wurden im neuen Schulhaus in Vorderpaulusbrunn untergebracht. Dagegen gab es heftigsten Protest von der deutschen Seite, aber ohne Erfolg. Die tschechischen Klassen waren besser ausgestattet, das Essen war frei, deutsche Eltern wurde der Besuch schmackhaft gemacht, aber nur wenige deutsche Kinder machten Gebrauch davon.
Der tschechische Staat versuchte die Arbeitslosigkeit abzubauen. Weitere Straßen wurden gebaut und ausgebessert. Im Herbst 1923 kam der Auftrag auf tschechischer Seite an der Grenze zu Bärnau ein neues Zollamt zu bauen. Allmählich ging es aufwärts und viele junge Familien bauten in den nächsten Jahren sogar neue Häuser.
Schmuggel
War man zunächst froh, dass die Männer aus dem Krieg zurückgekehrt waren, stellte sich bald das Problem der Arbeitslosigkeit. Alle Deutschen, die in Behörden oder beim Fürsten Windisch Grätz gearbeitet hatten, standen ohne Arbeit da. Hinzu kam, dass die Preise für Waren aller Art immer mehr nach oben gingen. Nur das Notwendigste wurde gekauft. 1920 war der Höhepunkt erreicht. Für ein Hemd mussten 50 Kronen bezahlt werden, ein Anzug kostete 1200 Kronen, vor dem Krieg 50 Kronen.
In der Weimarer Republik kam es zum Verfall des Geldes. Jetzt gingen viele über die Grenze um billig einzukaufen. Bis aus Pilsen kamen die Menschen. Die Geschäfte in Bärnau waren leer gekauft. Mit überfülltem Zug fuhren Scharen von Menschen vom Bärnauer Bahnhof nach Tirschenreuth oder Weiden. Die gekauften Waren wurden am Rückweg beim tschechischen Zoll vorbei geschmuggelt. Das ging so lange bis es nichts mehr gab. 1918 wurden für eine Mark noch zwei Kronen bezahlt, im November 1923 gab es für eine Krone 120 Milliarden Mark. 1923 kam dann in Deutschland die Rentenmark, die Lage stabilisierte sich, für eine Mark wurden acht Kronen bezahlt.
Kalte Winter, heiße Sommer
Klirrende Kälte mit minus 26 Grad und minus 33 Grad in den Wintern 1927/28 sowie im Jahr darauf, der Sommer 1928 heiß und trocken, tagsüber oft 46 Grad plus. Sogar die Kartoffeln in den Kellern erfroren, seit den Wetteraufzeichnungen von 1775 gab es keine derartigen Kältezahlen. Die Not war groß, sogar die Rehe und Hasen kamen ohne Scheu bis zu den Häusern. Viele Paulusbrunner arbeiteten in Bärnau in Knopffabriken. Im Sommer 1930 stieg die Arbeitslosigkeit erneut. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise waren bis in den letzten Winkel zu spüren. So brachen die Arbeitsplätze der Knopfindustrie 1931 total zusammen. Die meisten schlossen ihren Betrieb, es kamen keine Aufträge.
Kostenlos Suppe
1933 wurde es besonders schlimm. Das letzte ersparte Geld wurde von der Bank geholt, die Kasse hatte am Ende nichts mehr ausbezahlen. Schulkinder von Arbeitslosen erhielten an vier Wochentagen kostenlos eine Suppe von der Tachauer Jugendfürsorge. Die Wetterkapriolen hielten an, trockener Sommer 1934/35, die Wiesen ausgebrannt, die Getreide- und Kartoffelernte überraschend gut. Langsam versiegten die Brunnen und mussten tiefer gegraben werden.
Hitler war schon seit 1933 an der Macht, 1936 nahm die Arbeitslosigkeit gewaltig ab. Die Knopffabriken in Bärnau hatten wieder volle Auftragsbücher und stellten kräftig bei guter Bezahlung Arbeiter ein. Der Lohn wurde in Reichsmark ausbezahlt für eine Mark gab es acht Kronen. Die Folge, viele Hausbesitzer renovierten ihre Häuser, die Holzschindeln verschwanden, die Dächer wurden mit Schiefer gedeckt. Auch die Kleidung verbesserte sich, Holzschuhe waren nur mehr Seltenheit. Ein Bata-Schuhladen machte auf.
Nationalitätenprobleme
Das Volksbewusstsein stieg. Die Paulusbrunner fühlten sich dem deutschen Volksstamm zugehörig. Bei der Lage des Ortes in unmittelbarer Nähe der Grenze sahen sich die Dorfbewohner als Oberpfälzer. Die Bärnauer betrachteten das differenzierter, für sie waren die Paulusbrunner „Böhmen“, was denen gar nicht gefiel. Für sie begann Böhmen erst ab Tachau. Die völkischen Vereine erstarkten, die Tschechen betrachten die Entwicklung mit Argwohn. Wer sich zu sehr fürs Deutschtum einsetzte, kam auf eine „schwarze Liste“. Bei Versammlungen waren nicht selten Polizisten dabei, die genau notierten, was gesprochen wurde. Es gab aber auch Orte mit tschechischer Bevölkerung, da wurden gemeinsam Feste gefeiert. Das alles hatte 1938 ein Ende, das Münchner Abkommen griff.
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