Tirschenreuth
13.07.2023 - 15:50 Uhr

Kandidaten auf den Zahn gefühlt: Bei Inklusion im Landkreis Tirschenreuth noch Luft nach oben

Bei der Inklusion gibt es im Landkreis Tirschenreuth noch einiges zu tun. Das machte eine Veranstaltung deutlich, bei der das Netzwerks Inklusion Kandidaten für die Wahlen zum Landtag und Bezirkstag auf den Zahn fühlten.

Landtags- und Bezirkstagskandidaten stellten sich bei einer Veranstaltung des Netzwerks Inklusion kritischen Fragen, wie es in den verschiedenen Lebensbereichen im Landkreis Tirschenreuth mit dem selbstbestimmten Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung aussieht.

Eingeladen hatte das Netzwerk Kandidaten von CSU, Freien Wählern, SPD, Grünen, FDP, ÖDP, Linken, Bayernpartei und AfD. Gekommen waren nur Vertreter von CSU, SPD, Grünen und der FDP. Die anderen Parteien sagten laut Christina Ponader ab oder reagierten gar nicht auf die Einladung.

Letztlich stellten sich nach einer Mitteilung des Netzwerks Inklusion die Landtagskandidaten Tobias Reiß aus Brand (CSU), Anna Schwamberger aus Bärnau (Grüne), Karl Georg Haubelt aus Wiesau (SPD) und Wolfgang Karbstein aus Mitterteich (FDP) sowie die Bezirkstagsbewerber Roland Grillmeier aus Mitterteich (CSU), Brigitte Scharf aus Erbendorf (SPD), Anne Droste aus Windischeschenbach (Grüne), Christian Gleißner aus Hohenthan (FDP) sowie Gabriele Bayer aus Postbauer-Heng (Grüne) in der "Oase" des Sozialteams den Fragen von 20 Menschen mit und ohne Behinderung. Christina Ponader und Ulrich Macht vom Netzwerk Inklusion moderierten die Veranstaltung. Vertreter der Arbeitsgemeinschaft (AG) "Mitwirkung" und der Oase hatten die Themen vorbereitet.

"Bayern barrierefrei 2023"

Es wurde deutlich, dass die Zielvorgabe "Bayern barrierefrei 2023" sich nicht erfüllen wird. Erst 63 Prozent der 3000 staatlichen Gebäude seien barrierefrei, so war zu hören. CSU-Mann Tobias Reiß betonte, dass die Vorgabe auf jeden Fall ein wichtiges Signal gewesen sei. An Barrierefreiheit werde jetzt immer gedacht. Problem seien vor allem die Bestandsgebäude. Die Grüne Anna Schwamberger meinte, dass es nicht nur um Rollstuhlfahrer gehe, sondern auch um andere Behinderungsarten sowie um digitale Zugänge. SPD-Kandidat Karl Georg Haubelt sah vor allem in der Unterschiedlichkeit der Beteiligten und zum Teil fehlender Förderprogramme Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Landrat Roland Grillmeier bezog sich in einem Videostatement auf die langen Planungszeiträume. Feste Ziele seien in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten nicht immer einzuhalten, meinte er.

Am Computer und im Internet

Beim Thema digitale Barrierefreiheit und Umsetzung der Barrierefreien Informationstechnikverordnung (BITV) 2.0 verwies die Grüne Gabriele Bayer darauf, dass der Bezirk damit schon begonnen habe. Der Liberale Wolfgang Karbstein meinte, dass es zum Teil zu wenig Informationen an der Basis in den Kommunen dazu gebe. Auch die Grünen Anne Droste und Christian Gleißner meinten, dass das Thema vorangebracht werden müsse. Lautsein und Dranbleiben seien wichtig. Durch die Pandemie habe man gemerkt, wie wichtig ortsunabhängige Zugänge und barrierefreie technische Möglichkeiten seien.

Bereich Verwaltung

Die Kandidaten wurden auch gefragt, wie ihrer Meinung nach eine barrierefreie Beratung und eine bürgernahe Verwaltung aussehen müssten. Angesichts von 20 Millionen Menschen in Deutschland, die Schwierigkeiten mit behördlichen Schreiben und längeren Texten hätten, sei dies ein drängendes Thema, so das Netzwerk Inklusion. Der Sozialdemokrat Karl Georg Haubelt meinte, dass bei der Ausbildung von Verwaltungs- und Beratungskräften schon eine Sensibilisierung erfolgt sei, aber in bestimmten Fällen eine Fachsprache halt einfach nötig sei. Die Grünen Gabriele Bayer und Anne Droste sahen hier eine wichtige Rolle bei den Kommunen. In vielen Gesetzen werde Teilhabe jedoch wirklich zu wenig bedacht. Brigitte Scharf von der SPD berichtete von ihren Erfahrungen bei der Seniorenberatung. Sie zeigten, dass das Antragswesen wirklich schwierig zu verstehen sei, die Übersetzung in leichte Sprache fehle meist.

Der Bausektor

Konfrontiert wurden die Kandidaten auch mit dem Thema Barrierefreiheit in Gebäuden. Dies sei im Artikel 48 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) eigentlich sehr gut geregelt. Trotzdem gebe es wenig barrierefreien Wohnraum, kritisierte das Netzwerk Inklusion. Landrat Grillmeier meinte, dass die Kommunen und Landkreise bereits ihre Pflicht täten. Probleme bereiteten aber vor allem Altbauen. Bei Neubauten entstünden in der Zusammenarbeit mit Investoren durch Barrierefreiheit zum Teil leider hohe Mietpreise. Der Liberale Wolfgang Karbstein meinte aus seiner Praxis als Behindertenbeauftragter, dass Verwaltungen und Architekten stärker in die Pflicht genommen werden müssten, damit die Bayerische Bauordnung besser umgesetzt werde. Brigitte Scharf von der SPD plädierte für einen stärkeren Ausbau von Wohngemeinschaften und ambulanten Unterstützungsprogrammen im Bereich Wohnen.

Am Arbeitsplatz

Im Themenbereich Arbeit und Schule ging es um die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung: 52 Prozent der Arbeitgeber im Landkreis Tirschenreuth hätten ihre Quote erfüllt. Hier sei noch Luft nach oben, so die Moderatoren zu den Kandidaten. Brigitte Scharf erklärte, dass angesichts der Personalmangels derzeit ein Umdenken stattfinde. Die Grüne Gabriele Bayer meinte, dass neue Ideen wie Patenmodelle und Änderungen im Bereich Minderleistungsausgleich sowie das Prinzip der Werkstätten die Situation ändern könnten: "Erst die Kompetenz des Arbeitnehmers sehen, dann den Arbeitsplatz." Anne Droste ergänzte hier die Notwendigkeit von Anpassungen am Arbeitsplatz.

In den Schulen

Eine Frage drehte sich um "Zutrittsbeschränkungen" für Menschen mit Behinderungen im Bereich Schule und Arbeit in Regeleinrichtungen abseits des Fördersystems. Inklusion sei hier noch immer etwas Besonderes, wurde kritisiert. Anna Schwamberger von den Grünen erläuterte die Möglichkeiten, die im Schulprofil Inklusion und Assistenzleistungen steckten. Oft fehle jedoch noch die personelle und strukturelle Ausstattung. Karl Georg Haubelt bestätigte das. Allerdings ändere sich das zunehmend, so der Landtagskandidat der SPD.

Hintergrund:

Inklusion im Landkreis Tirschenreuth

  • Inklusion: Bedeutet, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben nicht mehr an vorhandene Strukturen anpassen müssen.
  • Netzwerk Inklusion: Schafft mit vielen Partnern Inklusion, Teilhabe und Lebensqualität im ländlichen Raum.
  • Arbeitsgruppe Mitwirkung: Besteht aus sechs Menschen mit Behinderungen. Sie denken mit und melden zurück, ob das Netzwerk gut läuft.
  • Projektpartner: Zahlreiche Verbände, Vereine, Selbsthilfegruppen und Institutionen aus den Bereichen Arbeit, Bildung und Freizeit
 
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