Das Fronleichnamsfest am 19. Juni 1919 dürften unsere Vorfahren wohl nicht so schnell vergessen haben: Schon am frühen Morgen fand eine Fahnenweihe statt, und es gab eine außergewöhnliche Begleitung der Prozession durch eine Ehrenkompanie des bayerischen Militärs, das damals gerade in Waldsassen lag. Dies gibt Veranlassung zum Rückblick auf die interessanten Vorgänge vor 100 Jahren.
Die 1913 gegründete Artillerie-Vereinigung Waldsassen hatte sich im Sommer 1914 eine eigene Standarte angeschafft, die im Frauenkloster gestickt worden war und im Rahmen eines Festes am Sonntag, 2. August, 1914 geweiht werden sollte. Da jedoch exakt am Tag zuvor der Erste Weltkrieg ausgebrochen war und die jungen Männer eilends zum Kriegsdienst einberufen wurden, musste das Fest leider verschoben werden, "bis nach dem Krieg". Dieser Status war im November 1918 eingetreten. Daher holte man nun die Weihe-Handlung in Verbindung mit dem Fronleichnamstag 1919 nach.
So schlicht wie möglich
Den Festakt wollte man aber angesichts der schwierigen Verhältnisse so schlicht wie nur möglich gestalten, es sollte auf äußere Festlichkeiten verzichtet werden. Somit schritt man zur Weihe bereits nach der ersten heiligen Messe, also morgens um 7 Uhr, wobei die Standarte dann der Fronleichnamsprozession vorausgetragen wurde. Das neue Banner ziert auf der Vorderseite das Bild der heiligen Barbara als Schutzpatronin. Als Patenverein fungierte der örtliche Krieger- und Veteranenverein. Dank glücklicher Umstände ist die Standarte bis heute erhalten, wobei die Vereinigung 1986 als Artillerie- und Reservistenvereinigung neu gegründet wurde.
Das zweite außergewöhnliche Ereignis war die Begleitung der Prozession durch eine Ehrenkompanie mit Soldaten aus den Garnisonen Ingolstadt und Fürth. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten bekanntlich die Monarchien abtreten. Dabei kam es zum Umsturz, Bayern wurde in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 ein Freistaat. Dies zog jedoch - außer dem Waffenstillstand - noch zahllose weitere Problemen nach sich. Eine wichtige Forderung der Siegermächte war indes die Abhaltung einer Friedenskonferenz, die am 18. Januar 1919 in Versailles begann und mit dem Abschluss eines Friedensvertrages enden sollte. Die gestellten Bedingungen erschienen jedoch in Deutschland unerfüllbar, unerträglich und unannehmbar, weshalb es immer wieder zu wütenden Protesten kam.
Im April 1919 wurde in München von Bolschewisten und Spartakisten die Räterepublik ausgerufen und drohte ein neuer Umsturz, wobei die Regierung Hoffmann nach Bamberg fliehen musste. Nur mit großer Mühe gelang es, den Aufstand Ende April 1919 niederzuschlagen. Zwecks Herstellung von Ruhe und Ordnung im Land kam es nun in allen Teilen Bayerns zur Aufstellung von Volks- und Einwohnerwehren sowie zur Bildung einer Militär-Landpolizei. Die eilends aufgestellte, bewaffnete Wehrmannschaft aus entlassenen Soldaten im Bereich der Stadt Waldsassen wurde am 25. Mai 1919 im Rathaussaal Waldsassen durch den damaligen Bezirksamtmann Hermann Heller feierlich verpflichtet.
Aufgrund der neuen politischen Verhältnisse gab es ohnehin viele Veränderungen, herrschten außergewöhnliche Umstände und zeigten sich immer wieder große Versorgungsschwierigkeiten. So standen zum Beispiel am 15. Juni 1919 die ersten Kommunalwahlen an. Dabei wurden ein neuer Stadtrat und ein neuer Kreistag gewählt, wobei der Letztere damals die Bezeichnung "Bezirkstag" führte.
Vorsorgliche Verlegung
Wegen der unannehmbar erscheinenden Bedingungen des "Diktats" von Versailles und der damit verbundenen Proteste befürchtete man in Bayern eventuell ein militärisches Übergreifen der Entente aus der neugebildeten Tschechoslowakei. Dies erschien zwar unwahrscheinlich, führte aber Anfang Juni 1919 doch zur Entscheidung, ein Bataillon Soldaten aus Ingolstadt und Fürth vorsorglich an die Grenze bei Waldsassen zu verlegen. Die Soldaten waren in den umliegenden Dörfern einquartiert, so auch in Kondrau. Am Fronleichnamstag beteiligte sich nun eine Ehrenkompanie am Umzug, während die übrigen, hier weilenden Soldaten entlang des ganzen Prozessionsweges Spalier standen.
Am 23. Juni 1919 traf zusätzlich noch eine vollzählige Regimentsmusik in Waldsassen ein, die eine Standmusik sowie zwei Gartenkonzerte im Lamm-Garten bot. Als am Tag zuvor die deutsche Nationalversammlung dem Friedensvertrag zugestimmt hatte, kam es am 28. Juni zur Unterzeichnung des Vertrages. Damit schien die Gefahr vorüber und das Militär konnte wieder in seine Garnisonen abrücken. So verschwand damit auch wieder das kriegerische Bild aus dem Alltag in der Stadt.
Die Landwirte waren darüber nicht unglücklich, hatten doch die einquartierten Männer ungefragt so manches Ei verzehrt und so manchen Topf Milch geleert, ohne zu bezahlen. Dabei soll aber - dem Vernehmen nach - der Weggang der jungen Männer bei der Damenwelt doch sehr bedauert worden sein. So hatten sich die Auswirkungen der hohen Politik mit zwei Nuancen im Leben der Klosterstadt verewigt und eine historische Episode hinterlassen.














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