Waldsassen
17.12.2018 - 17:23 Uhr

Schlotternde Geister in der Glashütte

Es zieht wie Hechtsuppe in der Ofenhalle der Glashütte. Ungewöhnlich kalt ist es, selbst für diese Jahreszeit, an diesem Ort. Sind es nur die tiefen Außentemperaturen oder trägt auch die erkaltete Seele des Ebenezer Scrooge dazu bei?

Die Urne, die der Tod in Händen hält, beinhaltet die sterblichen Überreste von Scrooge. Bild: tr
Die Urne, die der Tod in Händen hält, beinhaltet die sterblichen Überreste von Scrooge.

Liegt es nur an den tiefen Außentemperaturen oder trägt auch die erkaltete Seele des Ebenezer Scrooge dazu bei? Vielleicht, denn nach der Pause und der Läuterung des verbitterten Mannes hört man Stimmen unter den Zuschauern wie "endlich wird es langsam wärmer." Wie dem auch sei, 200 sind gekommen und am Sonntagnachmittag noch einmal genauso viele, und alle voll auf ihre Kosten. Denn wie das Ovigo-Theater die berühmte Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens auf die Bühne zauberte, das war großes Kino.

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Ebenezer Scrooge wird in der Weihnachtsnacht von drei Geistern aufgesucht: vom Geist der vergangenen Weihnacht, vom Geist der diesjährigen Weihnacht und vom Geist der zukünftigen Weihnacht. Scrooge erfährt dabei, dass sein bisheriges Leben sinnlos und leer war. Werte wie Liebe, Geborgenheit oder Mitgefühl existieren für ihn nicht. Scrooge erkennt auf der Reise durch sein Leben, auf der ihn immer ein anderer Geist begleitet, seine Fehler. Und am Schluss - klar, jeder kennt die Geschichte - Ende gut, alles gut.

Nicht nur die Temperatur in dem außergewöhnlichen Theater ließ den Zuschauern eiskalte Schauer über den Rücken laufen, sondern nicht minder die schauspielerischen Leistungen, vor allem der Hauptdarsteller. Allen voran die des Regensburgers Bernhard Zellner in der Titelrolle. Mit fast magischer Bühnenpräsenz fesselte er akustisch vom ersten bis zum letzten Satz und war dabei spielerisch und mimisch stets auf dem Punkt.

Weit über Durchschnitt

Weit über dem Durchschnitt agierte auch Christina Götz aus Traßlberg als Scrooges ehemalige Geschäftspartnerin Abigail Marley. Sie erschien dem alten, verknöcherten Geizkragen als Geist, erklärte ihm, dass er drei weitere Geister zu erwarten hätte, und mischte ihn so richtig auf. Sie sprang herum, nutzte jeden Zentimeter der Bühne und klirrte mit ihren Ketten, die sie um den Hals trug und die bis auf den Boden reichten. Als sie Ebenezer eine davon um dessen Hals schlang und zuzog, sah es wirklich fast so aus, als würde sie ihn an Ort und Stelle erwürgen.

Von da an war nichts mehr wie es war für Ebenezer Scrooge. Die drei Geister, die ihm erschienen, spielten Sarah Ebnet aus Schönsee und Lisa Freiberger aus Pfreimd, Lisa in einer Doppelrolle. Lisamarie Berger aus Oberviechtach mimte Scrooges Jugendliebe Belle und brillierte vor allem gesanglich. Ein weiteres Gänsehaut-Erlebnis. Der junge Ebenezer wurde von Ludwig Koller aus Hirschau dargestellt, der auch Ebenezers Neffen Fred spielte. Die 9-jährige Annika Gitter aus Oberviechtach glänzte als kleine Emma Cratchit. Scrooges Angestellter Bob Cratchit wurde überzeugend von André Gießübl aus Oberviechtach gespielt. Ständig musste er frieren im Kontor seines geizigen Chefs. Da kam ihm am Wochenende sicher die Raumtemperatur im improvisierten Theater zugute, um besonders überzeugend zu wirken. Seine Bühnen-Frau Caroline mimte Paula Klepser aus Teunz. Erich Wein aus Amberg spielte Scrooges alten Lehrer Mister Fezziwig.

"Es ist schon eine große Herausforderung, das Stück in einer Industriehalle zu realisieren", verriet uns der künstlerische Leiter Florian Wein im Gespräch. "Die lösbare Aufgabe bestand darin, die Atmosphäre vor Ort aufzusaugen und sinnvoll in das Stück zu integrieren. Regie und künstlerische Leitung waren im Vorfeld mehrfach vor Ort und haben die Aufführung technisch durchgeplant. Anders die Darsteller, die nur am Aufführungstag ein paar Szenen an Ort und Stelle proben konnten."

Regisseur Michael Zanner und Co-Regisseurin Maria Oberleitner haben hervorragende Arbeit geleistet. Kein Zweifel, die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens passt auch in eine Glashütte - und gerade dorthin, denn die Location machte den Ausflug in die imaginäre Zwischenwelt der Geister nur noch eindrucksvoller. Neben der kleinen Bühne, auf der sich alles abspielte, wurde die Ofenhalle selbst zum gigantischen Bühnenraum. Dann schenkte am Samstagabend der Zufall dem Stück noch einen unerwarteten Mehrwert an Dramaturgie. Eine uralte Hüttenkatze, die stark an die "Grizabella" im Musical "Cats" erinnerte, hatte schnell Gefallen am Schauspielern gefunden. Auf die Bühne wagte sie sich zwar nicht, aber wenn ein "Geist" davor, nahe bei den Zuschauern agierte, ging sie nebenher und vermittelte den Eindruck, dass sie dazugehört. Das Ovigo Theater hält sich bei Scrooge weitestgehend an das Original, "A Christmas Carol". Aber, und das tut dem Stück gut, gibt es auch viele erfrischend neue Textpassagen, die hervorragend in die gegenwärtige Zeit passen. Meist geht es dabei nur um Nuancen, aber gerade sie bringen Würze ins Spiel. Zum Beispiel, wenn Ebenezer zum Geist der vergangenen Weihnacht sagt: "Du gehst mir auf den Geist, Geist."

Oder als ihm sein Mitarbeiter Cratchit erklärt, dass er zu spät zur Arbeit komme, weil er einer alten Dame über die Straße half. Dazu Ebenezer: "Ich bezahle dich nicht dafür, dass du alte Weiber über die Straße schubst." Oder: "Jeder, der mit diesem ,fröhlichen Weihnachten' herumlacht, soll in seinen eigenen Plätzchen verbacken werden." Schließlich fragt er noch den Schrank, der lebendig geworden ist: "Musst du nicht endlich zurück zu Ikea?"

Nächster Auftritt im Mai

Man darf schon jetzt gespannt sein auf das Stück, welches das Ovigo- Theater am 17. und 18. Mai 2019 jeweils um 20 Uhr in der Glashütte Lamberts spielt. Denn "Clockwerk Orange" nach dem Roman von Anthony Burgess und der Verfilmung durch Stanley Kubrick passt sicher perfekt in den Raum. Die Geschichte von Alex und seinen Droogs kommt ziemlich gewalttätig daher. Sie spielt in den 1960er Jahren, in denen in England Jugendbanden Angst und Schrecken verbreiteten. Ganz das Gegenteil von Weihnachten.

Karten zum Preis von 17 Euro gibt es bei der Touristinfo in Waldsassen und den bekannten Vorverkaufsstellen im Internet.

Lisamarie Berger brillierte vor allem mit ihrer Gesangseinlage. Bild: tr
Lisamarie Berger brillierte vor allem mit ihrer Gesangseinlage.
Teile der Ofenhalle in der Waldsassener Glashütte baute die Theatertruppe geschickt in das geschehen mit ein. Bild: tr
Teile der Ofenhalle in der Waldsassener Glashütte baute die Theatertruppe geschickt in das geschehen mit ein.
Im Angesicht des Todes wird Ebenezer Scrooge klar, was er im Leben bisher falsch gemacht hat. Bild: tr
Im Angesicht des Todes wird Ebenezer Scrooge klar, was er im Leben bisher falsch gemacht hat.
Die Familie Chrachit in ihrer Not. Bild: tr
Die Familie Chrachit in ihrer Not.
Eine der spektakulärsten Bühnen ist die Ofenhalle der Glasfabrik Lamberts. Bild: tr
Eine der spektakulärsten Bühnen ist die Ofenhalle der Glasfabrik Lamberts.
Cratchit und Scrooge (von links) Bild: tr
Cratchit und Scrooge (von links)
Abigail Marleys Geist (Christina Götz) bedroht Ebenezer Scrooge (Bernhard Zellner) in der Weihnachtsnacht. Bild: tr
Abigail Marleys Geist (Christina Götz) bedroht Ebenezer Scrooge (Bernhard Zellner) in der Weihnachtsnacht.
Ende gut, alles gut. Ebenezer Scrooge ist nach dem Besuch der Geister geläutert und von nun an ein gutmütiger und wohltätiger Mensch. Bild: tr
Ende gut, alles gut. Ebenezer Scrooge ist nach dem Besuch der Geister geläutert und von nun an ein gutmütiger und wohltätiger Mensch.
 
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