Theater gegen Rechts in der Mittelschule Waldsassen

Waldsassen
28.11.2022 - 10:52 Uhr

Schülerinnen und Schüler aus Hof zeigen in der Mittelschule Waldsassen, wie Neonazis Jugendliche manipulieren. Das Theaterstück rüttelt auch Erwachsene auf.

„Es werden keine Handyfotos oder Videoaufnahmen gemacht. Es wird nichts von dem, was ihr seht, ins Netz gestellt. Was hier auf der Bühne gesprochen und gezeigt wird, ist nicht die Gesinnung der Schüler, die das darstellen“, betont Regisseur Jean-Francois Drozak noch vor Beginn des Theaterstücks mit Titel „88“. Damit schützt der Theaterpädagoge aus Hof sein neunköpfiges Ensemble vor unangemessenen Angriffen draußen und im Netz.

Nach dem Stück umarmt Drozak einen Mittelschüler mit dunkler Hautfarbe und bittet ihn inständig um Verzeihung wegen mancher Szene mit rassistischen Parolen. Dazwischen liegt eine gute Stunde interaktives Theater von neun mutigen Realschülern aus Hof. Ein Theater, das nicht nur Jugendliche wachrüttelt, sondern auch Erwachsenen die Augen öffnet vor der Gefahr des Neonazismus.

Einladung zum Fußballspiel

Alles dreht sich um Franziska, eine 15-Jährige ohne großen Freundeskreis. Über einen QR-Code für Musik, den sie von einer Fremden auf der Straße bekommt, gerät sie in die rechte Szene. Sie wird zu einem Fußballspiel eingeladen. Franziska freut sich über die neuen Freunde. Endlich gehört sie zu einer Clique. In der Gruppe gibt es die Möglichkeit, Boxen zu lernen.

Beim Training schwenkt die Stimmung um. Es wird zunehmend brutaler, Franziskas Boxtrainerin nimmt die Schülerin hart ran, fordert mehr Leistung. Neonazistische Parolen fallen. Sie solle sich vorstellen, der Box-Sack sei ein Ausländer. Die 15-Jährige ist in der Falle: Sie merkt, hier läuft etwas schief. Politik interessiere sie nicht, versucht sie eine Gegenwehr. Franziska bleibt trotzdem, sie fühlt sich dazugehörig. Der Alkohol tut seines dazu.

Hitlergruß Gewohnheit

Bald kennt das Mädchen keine Hemmungen mehr. Der Hitlergruß wird Gewohnheit, bis hin zur Gewaltbereitschaft. Beim Hitlergruß lässt der Theaterpädagoge das Stück wieder anhalten und betont ausdrücklich: Dieser sei auf offener Straße verboten, dürfe nur auf der Bühne verwendet werden.

Die Sequenzen aus dem Stück „88“ werden immer schockierender. Franziska grölt mit ihren vermeintlich neuen Freunden Nazi-Parolen, hetzt gegen Ausländer. Sie ist nicht mehr die Franziska, die sie einmal war.

Fragen an die Zuschauer

In der Mittelschule findet Drozak ein aufmerksames Publikum. Die Schülerinnen und Schüler aus der achten Klasse, der Klasse 9 M und der Klasse 10/1 diskutieren intensiv. Drozak stellt Fragen oder beantwortet sie: Wie hättet ihr reagiert? Warum tut Franziska das? Wie passiert Manipulation?

Das Publikum sucht nach Lösungen. „Würdet ihr mitgehen, wenn euch jemand kostenlos zu einer Busfahrt zum Fußballspiel nach Paris einlädt oder auf eine große Hallenparty mit namhaften Bands?“ Eine Frage, die erst einmal mit Schweigen beantwortet wird. Klar, da könnte man schwach werden, lauten die Antworten einiger Mittelschüler

Neonazi-Szene "Teufelskreis"

Ein Schüler meint, er würde nichts auf der Straße annehmen. Warum auch sollte ihm jemand kostenlos etwas geben. Hätte Paula, die hellhöriger war, ihre Freundin abhalten sollen von dieser Gruppe? Die eindeutige Antwort lautet „Ja“. Dafür seien Freunde da. Aber warum ist Paula dann trotzdem mit zum Fußballspiel gegangen? Weil Franziska nicht allein hingehen wollte: Für alle ein plausibler Grund.

Die Jugendlichen merken bald: Die Neonazi-Szene ist ein „Teufelskreis“, die Manipulationsmethoden kaum durchschaubar. Jeder könnte gedankenlos und schnell abrutschen und in die Szene geraten, nur weil er Spaß haben wollte. Sich den Verlockungen zu entziehen, erfordere Willensstärke und Wachsamkeit.

Darstellung gegen die Gesinnung

Selbst für die auf das Stück gut vorbereiteten Hofer Schüler war es nicht leicht, sich in dieser Materie einzufinden. Abgesehen vom verständlichen Theaterlampenfieber mussten sich die neun jungen Leute mit Darstellungsformen auseinandersetzen, die gegen ihre Gesinnung sind.

Hintergrund:
  • Das Theaterstück "88" hat Theaterpädagoge Jean-Francois Drozak mit neun Schülerinnen und Schülern der Realschule Hof und der Münster-Mittelschule in drei Tagen einstudiert
  • Werbestrategien der Neonazis werden gezeigt
  • Unterstützung der Arbeit des Bündnisses „Demokratie leben in der Mitte Europas“
  • Aufführungen im Landkreis Tirschenreuth auch in der Realschule und im Stiftland-Gymnasium
  • Für die Theatertournee sind die Akteure vom Unterricht freigestellt
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