Im Publikum ist es mucksmäuschenstill, als alte Bilder und Aufzeichnungen auf der Leinwand gezeigt werden. Fotos aus der Vergangenheit, begleitet von dramatischer Musik. Sie zeigen Beteiligte der Aktion Kámen: Die tschechoslowakische Geheimpolizei hat an mehreren Orten falsche Staatsgrenzen gezogen.
Das Publikum im Kunsthaus Waldsassens blickt in Gesichter von Frauen und Männern, Agenten und Polizisten, Kindern. Viele der Familien lächeln auf den Fotos. Es scheinen Bilder aus glücklichen Tagen zu sein. Doch einige dieser Menschen, die den Kommunismus kritisch sahen und in den Westen flüchten wollten, liefen in eine Falle.
Gespräche mit Zeitzeugen
Kaum jemand wüsste wohl von dieser Aktion, wenn es die Texte von Václava Jandečková nicht gäbe. Die unabhängige Forscherin und Mitbegründerin der „Gesellschaft zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus“ befasste sich intensiv mit den damaligen Machenschaften und schrieb alles auf. Informationen sammelte sie durch Gespräche mit Zeitzeugen und jede Menge Recherche, erzählt die Autorin dem Kunsthaus-Publikum ihrer Lesung aus dem Buch „Fingierte Grenze – Aktion Kámen“.
In ihrem Buch erzählt Jandečková von Opfern und Tätern der geheimen Grenzoperationen der tschechoslowakischen Staatssicherheit. Zwischen 1948 bis 1951 sind bei dieser absurden Methode etliche Lebenspläne durchkreuzt worden. Die Menschen wurden an falsche Grenzen geführt und auf vermeintlich sicherem Boden in falschen deutschen Zollämtern verhört. Die Flüchtenden glaubten, sie wären bereits in Sicherheit. Tatsächlich aber waren sie Opfer der hinterlistigen Aktion Kámen.
Weitere Bücher geplant
Für ihr Buch arbeitete die Forscherin die Geschehnisse auf, um sie für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist auch in englischer Sprache und ein Teil des Buches mittlerweile auch in deutscher Fassung erschienen. Für die deutsche Version teilte Jandečková ihr tschechisches Werk in drei Teile auf. Den zuletzt veröffentlichten ersten deutschen Band habe sie mit tiefergehenden Geschichten über die Beteiligten angereichert. Der zweite Band und ein Comicbuch, das vor allem für junge Menschen gedacht ist, seien gerade in Arbeit, verriet die Autorin.
Schon vor etwa zwei Jahren, als sie bereits im Kunsthaus in Waldsassen zu Gast war, habe sie das Interesse der Leute an dem Thema gespürt. So sei der Gedanke entstanden, auch Bücher in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Jandečková beschäftigte sich von da an intensiv mit den Geschehnissen, die in der Grenzregion geschahen. Zum Beispiel bei Heiligenkreuz, wo einer dreiköpfigen Familie die vermeintlich sichere Flucht zum Verhängnis wurde. Eine große Rolle spielte dabei ein Gebäude, das als falsches Zollhaus genutzt worden war.
Falsches Zollamt nahe Waldsassen
Dieses Haus, so die Autorin, steht heute noch. Das Foto, das auf der Leinwand zu sehen ist, zeigt das Gebäude mit der gelben und blauen Fassade an der Straße von Waldsassen nach Cheb/Eger. Bei der Lesung gab Jandečková den rund 30 Zuhörern einen Eindruck der Ereignisse von damals. Dabei geht um Mirko Šikola, den die Autorin auch zu einem Zeitzeugengespräch treffen konnte.
Er, seine Mutter Judita und sein Vater Josef waren von einem Staatssicherheits-Agenten in ein falsches Zollamt geführt worden, wo sie ins Verhör mussten. Sie hätten nicht geahnt, dass sie an eine falsche Grenze gelangt waren. Später habe Josef Šikola im Gefängnis den ehemaligen Stasi-Agenten Zdeněk Degner getroffen. Er war es, der die Familie zum falschen Zollhaus geführt hatte. Dabei kommt es zu einer emotionalen Begegnung.
Diese und weitere Szenen werden diesen Sommer bei "Zeitreisen" des Ovigo-Theaters zu sehen sein. Petra Sommer-Stark vom Ovigo-Theater hatte vor etwa zwei Jahren die Idee, die Ereignisse von damals als Schauspielstücke umzusetzen, erinnert sich Jandečková. Sie verfasste das Drehbuch für das zweisprachige Ovigo-Theaterstück „Fingierte Grenzen – auf den Spuren der Aktion ,Kámen‘“. Eine Kostprobe gab es im Kunsthaus: Eva Ehmann, Florian Wein und Gerhard Krones präsentierten eine Szene auf der Bühne – die Begegnung von Josef Šikola und dem ehemaligen tschechischen Stasi-Agenten Zdeněk Degner im Gefängnis.
Die abschließende Fragerunde wurde moderiert von Angelika Schraml von der Volkshochschule Tirschenreuth. Sie war Mitveranstalterin des Abends. Dabei kam zur Sprache, dass viele der Täter und Opfer der Aktion Kámen zwar schon verstorben sind – und keiner der Täter jemals verurteilt worden ist. Die Autorin erzählte, sie habe während ihrer Recherche einige Namen an Behörden gemeldet. Doch der Wille zum Aufarbeiten sei kaum da gewesen. Es sei lediglich nachgeforscht worden, wer von den Tätern noch lebe. „Eine symbolische Verurteilung wäre richtig“, sagte die Autorin. Die Opfer, sagt sie, hätten gar niemanden wirklich interessiert.
Erinnerung lebendig halten
Ihre Texte und das Theaterstück erfüllten für Jandečková jedoch eine wichtigen Aufgabe: die Erinnerung an die Geheimdienstaktion aufrecht zu erhalten. Bei den geführten grenzüberschreitenden Schauspielwanderungen auf deutschem und tschechischem Boden „werden die Schicksale lebendig“, versprach Florian Wein, künstlerischer Leiter des Ovigo-Theaters.
Dr. René Milfait, der wie die Autorin dem Verein der „Gesellschaft zur Erforschung der Verbrechen“ angehört, sprach von der Relevanz der Erinnerung. „Sie ist das, was uns prägt und lehrt.“ Mit dabei war auch Christina Ponader vom Netzwerk Inklusion im Landkreis aus den Reihen der Veranstalter, zu denen außerdem gehörten: Evangelisches Bildungswerk Oberpfalz, Gesellschaft zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus e.V., Landkreis Tirschenreuth, Stadt Waldsassen.
Zur Person Václava Jandečková
- Geboren im Jahr 1974
- Abschluss der Wirtschaftsuniversität Prag (Fakultät für Internationale Beziehungen)
- Arbeitet als Autorin und Publizistin und forscht zu Verbrechen des Kommunismus, die sie auch dokumentiert
- Mitbegründerin der „Gesellschaft zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus“
- Bücher über die Aktion Kámen wurden 2013 und 2018 in tschechischer Sprache veröffentlicht, 2021 erschien ein Buch darüber auf Deutsch















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