Weiden in der Oberpfalz
05.10.2018 - 15:55 Uhr

Jeder Drogentote einer zu viel

Viele Drogentote sind für die Drogenfahnder alte Bekannte. Oft kennt man die Familie, die Lebensumstände. "Wenn so jemand stirbt, dann trifft uns das auch", sagt Alfred Thaller, Chef des Kommissariats 4 der Weidener Kriminalpolizei.

Man nennt sie auch die „Erntehelfer“: die Kommissare des K 4. Im Bild sind Marihuana-Pflanzen zu sehen, sichergestellt auf einer illegalen Plantage. Die Blätter werden im Keller der Polizei getrocknet und ans Landeskriminalamt geschickt, um den Wirkstoffgehalt zu bestimmen. 2011 flog in Flossenbürg eine Plantage auf, bei der 17 Kilogramm Cannabisprodukte sichergestellt wurden. Bild: Kriminalpolizei Weiden
Man nennt sie auch die „Erntehelfer“: die Kommissare des K 4. Im Bild sind Marihuana-Pflanzen zu sehen, sichergestellt auf einer illegalen Plantage. Die Blätter werden im Keller der Polizei getrocknet und ans Landeskriminalamt geschickt, um den Wirkstoffgehalt zu bestimmen. 2011 flog in Flossenbürg eine Plantage auf, bei der 17 Kilogramm Cannabisprodukte sichergestellt wurden.

Weiden. (ca) Der Kampf des K4 gilt den Drogen. Leiter Thaller ist quasi "Gründungsmitglied": Seit dem Jahr 2000 ist er - mit kurzer Unterbrechung - beim Weidener Drogenkommissariat. Er hat alle möglichen Phänomene erlebt: das Wiederauftauchen von Heroin ab der Jahrtausendwende durch Abhängige aus Kasachstan, der Ukraine und Russland, die ihre Sucht mit "übersiedelten". Dann wurden litauische Wanderdealer zum Problem, die mit harten Drogen von Stadt zu Stadt zogen. Es folgte die Hochphase des Einfuhrschmuggels von Crystal über die tschechische Grenze 2010 bis 2013.

Und jetzt? 2018? Jetzt ist plötzlich wieder Heroin auf dem Markt, das jahrelang eine untergeordnete, fast bedeutungslose Rolle spielte. Es kommt in großen Mengen in Lastwagen verbaut über die Balkanroute in deutsche Großstädte - und Zwischenhändler der hiesigen Drogenszene kaufen den Stoff dort ein. Seit 2015 schlägt sich die Flüchtlingsproblematik bei den Betäubungsmitteln nieder. Das Rauchen, insbesondere von Cannabisprodukten, ist in vielen Herkunftsländern üblich. "Und auch der Besitz kleinerer Mengen wird dort - anders als bei uns - toleriert", weiß Thaller.

Bestellen per Mouseklick

Die größten Bauchschmerzen bereitet ihm aber ein ganz anderer Gegner: das Darknet. Im "dunklen Netz" bleibt man anonym. Teilnehmer werden von anderen Teilnehmern manuell eingeschleust. Das "Deep Web" hat riesige Dimensionen. Der Kommissariatsleiter kennt die positive Bedeutung, die man hoch schätzen müsse: Politische Dissidenten können hier frei ihre Meinung äußern. Aber er kennt eben auch die dunkle Seite: Noch nie war es so einfach, an illegale Substanzen zu kommen. "Sie müssen nicht mehr abends zum Dealer um die Ecke gehen", sagt Thaller. Der Kunde kann per Mouseklick bestellen, die Ware kommt mit dem Postboten ins Haus.

Thaller warnt vor leichtfertigen Bestellungen: "Besteller sollten sich nicht zu sicher fühlen." Immer wieder gelingt es bundesweit, Zwischenhändler hochzunehmen. Dann geht es den Abnehmern in den Kundendateien an den Kragen. Viele sind Neugier- und Ersttäter, so Thallers Erfahrung. Bei manchen liegt der Kauf schon Jahre zurück. Entsprechend groß ist die Überraschung, wenn die Kripo zur Durchsuchung vor der Haustür steht. Der K4-Chef befürchtet: "Das Darknet ist für uns die Herausforderung der Zukunft. Da steckt enormes Potenzial drin."

Tod durch "U-47700"

Vielleicht auch kein Zufall, dass einer der sieben Drogentoten von 2017 an "U-47700" gestorben ist, einem hochpotenten Opioid. "Der erste NPS-Tote bei uns", so Thaller. Nie gehört? Es handelt sich dabei um Neue Psychoaktive Substanzen. Wie immer verläuft die Situation in Weiden parallel zur überregionalen Entwicklung. Nach einigen Todesfällen wurden die NPS noch 2017 ins Betäubungsmittelgesetz aufgenommen.

Im Durchschnitt gibt es im Bereich der Weidener Kripo (WEN, NEW, TIR) pro Jahr etwa drei bis vier Drogentote. 2016 und 2017 kam es zu Ausreißern nach oben: 2016 starben acht Menschen an ihrer Sucht, allein fünf davon durch die Folgen von Fentanyl-Missbrauch. Im gleichen Jahr beschäftigte das K4 ein größeres Fentanyl-Verfahren, bei dem sich eine 46-jährige Weidenerin von verschiedenen Ärzten die hochwirksamen Schmerzpflaster verschreiben ließ, die sie überwiegend in der Rauschgiftszene absetzte. 2015 gab es den ersten Dopingtoten, einen 28-jährigen Sportler. Im Nachhall kam es zu mehreren Ermittlungsverfahren und auch Verurteilungen.

2018 wird die Zahl der Drogentoten - so hofft Thaller - wieder im "Normbereich" liegen. Drei Menschen starben 2018 bis dato vermutlich an Folgen von BTM-Missbrauch. Darunter ist ein 18-Jähriger. Todesursache: Fentanyl-Missbrauch. Im Fall der beiden anderen stehen die Ergebnisse der chemisch-toxikologischen Gutachten noch aus. Und jeder, jeder einzelne, ist und war für Thaller, der sich im Frühjahr 2019 in den Ruhestand verabschiedet, ein Toter zu viel. Er hat viel Elend gesehen, "vollkommen verwahrloste Wohnungen", verzweifelte Familien erlebt, denen er rät, sich beraten zu lassen. "Auch wir sind dazu gerne bereit." Nichts sei wichtiger als das soziale Umfeld, um Rückfälle zu vermeiden. Für ihn ist das Teil des Auftrags an das K4: "Dass man Leute, die man noch retten kann, auch rettet."

Die Hausfrau gibt Äpfel oder Sellerie hinein. Bei Erstem Kriminalhauptkommissar Alfred Thaller und seiner Mannschaft sind es Marihuanablätter. Im Heizungskeller der Polizei steht dieser Trocknungsschrank. 	Bild: Hartl Bild: Petra Hartl
Die Hausfrau gibt Äpfel oder Sellerie hinein. Bei Erstem Kriminalhauptkommissar Alfred Thaller und seiner Mannschaft sind es Marihuanablätter. Im Heizungskeller der Polizei steht dieser Trocknungsschrank. Bild: Hartl
Das Kommissariat K4:

Das K4 entstand im April 2000: Zusammengelegt wurden damals die Arbeitsgruppen Rauschgift und Organisierte Kriminalität. Aktuell sind es fünf Sachbearbeiter und ein Chef, die der Bekämpfung von Rauschgiftdelikten und Verstößen nach dem Arzneimittel- und Antidoping-Gesetz den Kampf angesetzt haben.

Sie analysieren die örtliche Rauschgiftlage, bewerten und steuern Hinweise. Unterstützt werden sie dabei von der KPI Z Oberpfalz im verdeckten Bereich sowie der Zivilen Einsatzgruppe des Operativen Ergänzungsdienstes und den Ansprechpartnern Rauschgift bei den Polizeidienststellen. Telefonüberwachung, Observationen, Zugriff und Durchsuchungen werden oftmals mit eigenen Kräften durchgeführt. „Bei uns ist Teamarbeit gefragt“, sagt Chef Thaller. Bei größeren Fällen unterstützt eine Rauschgiftsondereinheit aus Nürnberg.

Zu den herausragenden Fällen der Vergangenheit zählt das Ermittlungsverfahren „Goldener Engel“ 2003 bis 2004. Zwei örtliche Straftäter hatten 55 Frauen aus Osteuropa mit gefälschten Tanzdiplomen eingeschleust und bundesweit in Bordellen zur Prostitution gezwungen. (ca)

 
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