Von RA Dr. Burkhardt Schulze
Sind Erblasser oder Erblasserin Landwirte, bestimmen sie in der Regel eines ihrer Kinder zum Erben, damit die Landwirtschaft fortgeführt wird. Meistens wird aber auch schon zu Lebzeiten der Betrieb an ein Kind übergeben. In diesem Falle sind die übrigen Geschwister oder auch der Ehegatte auf den Pflichtteil verwiesen. Dieser besteht in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Während im gesamten Erbrecht der Verkehrswert – das ist der tatsächliche Wert der Erbschaft – Berechnungsgrundlage ist, wird der Erbe insoweit bezüglich des Pflichtteils privilegiert – allerdings nur, wenn er Kind, Ehegatte oder Elternteil ist –, dass Grundlage für die Berechnung des Pflichtteils nicht der wirkliche Wert des landwirtschaftlichen Anwesens ist, sondern nur der Ertragswert nach § 2312 BGB. Das ist das 18-fache des jährlichen Reinertrags und damit in der Regel nur ein Bruchteil dessen, was das landwirtschaftliche Anwesen als Substanzwert verkörpert. Eingeschränkt wird dadurch das grundgesetzlich garantierte Erbrecht der Pflichtteilsberechtigten.
Der Gesetzgeber sieht dies auch heute noch als gerechtfertigt an, um die Fortführung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe zu ermöglichen. Eine Berechnung des Pflichtteils nach dem Verkehrswert würde oft zu einer Teilveräußerung von Grundstücksflächen zwingen, so dass die Fortführung der Landwirtschaft unmöglich oder jedenfalls gefährdet würde. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung wird immer öfter gestellt. Gerade nach der Finanzkrise 2008 sind die landwirtschaftlichen Grundstückspreise enorm gestiegen, während die Rendite eines landwirtschaftlichen Anwesens eher gering geblieben ist.
Die Schere zwischen Ertragswert und Substanzwert wird immer größer und benachteiligt die auf den Pflichtteil gesetzten Angehörigen umso mehr. Der Betrieb kann ein bis zwei Millionen an Grundstückswert verkörpern bei einem Ertragswert von nur 100 000 oder 200 000 Euro. Die Rechtsprechung hat deshalb diese Regelung dahingehend eingeschränkt, dass sie nicht mehr angewendet wird, wenn das Landgut nicht als geschlossene Einheit fortgeführt wird und nicht mehr lebensfähig ist oder wo der Betrieb zwar noch bewirtschaftet wird, aber abzusehen ist, dass er binnen kurzem nicht mehr als solcher gehalten werden kann. Im Falle der lebzeitigen Verpachtung ist davon auszugehen, dass die Landwirtschaft aufgegeben wurde. Es gibt Sachverständige, die bei einer Betriebsgröße von weniger als 30 Hektar von einem nicht mehr lebensfähigen Betrieb ausgehen. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Landwirtschaft heute sehr oft im Nebenerwerb betrieben wird, weil der Ertrag nicht mehr zum auskömmlichen Erhalt einer Familie ausreicht. Dann gilt der volle Verkehrswert.
Sowohl für die Berechnung des Ertragswerts als auch des Substanzwerts ist grundsätzlich die Beauftragung eines Sachverständigen erforderlich. Um dies zu vermeiden, findet sich in den notariellen Verträgen in der Regel ein Pflichtteilsverzicht der übrigen Angehörigen oder Geschwister gegen Zahlung eines bestimmten Geldbetrages, um gerade solche Streitigkeiten nach dem Erbfall auszuschließen.
Eine weitere Ausnahme sieht der Bundesgerichtshof auch für solche besonders wertvolle Grundstücksteile des Landguts vor, die sich aus diesem ohne Gefahr für seine dauernde Lebensfähigkeit beim Erbfall herauslösen lassen und deshalb mit ihrem Verkehrswert anzusetzen sind, insbesondere wenn es sich um Bauerwartungsland handelt oder um praktisch baureife Grundstücke. In diesen Fällen muss die Privilegierung zurücktreten.
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