Weiden in der Oberpfalz
29.04.2019 - 18:01 Uhr

Flirten mit Parteiprogrammen

Vier Tische, vier Politiker. Und viele, viele Schüler. Beim "Speed Dating" zur Europawahl können Jugendliche Kandidaten von CSU, SPD, Grünen und Linken in vier Runden mit Fragen löchern. Feuer frei!

Der EU-Kandidat der CSU, Christian Doleschal, widmet sich beim "Speed Dating" in der Gustl-Lang-Schule den Fragen der Schüler. Bild: Gabi Schönberger
Der EU-Kandidat der CSU, Christian Doleschal, widmet sich beim "Speed Dating" in der Gustl-Lang-Schule den Fragen der Schüler.
Etwas parteipolitischer geht es am Tisch von Kathrin Flach-Gomez zu. Die EU-Kandidatin der Linkspartei präsentiert den Schülern ihr Parteiprogramm. Bild: Gabi Schönberger
Etwas parteipolitischer geht es am Tisch von Kathrin Flach-Gomez zu. Die EU-Kandidatin der Linkspartei präsentiert den Schülern ihr Parteiprogramm.
Lisa Lingl vom Augustinus-Gymnasium Weiden (Mitte) wünscht sich, dass auch die Ansichten junger Menschen in der Politik vertreten werden. Bild: Gabi Schönberger
Lisa Lingl vom Augustinus-Gymnasium Weiden (Mitte) wünscht sich, dass auch die Ansichten junger Menschen in der Politik vertreten werden.
Nach den ersten vier "Speed Dating"-Runden stehen die Politiker den Schüler noch für weitere Gespräche zur Verfügung. Kathrin Flach-Gomez (Die Linke, von links), Ismail Ertug (SPD) und Malte Gallée (die Grünen) antworten auch auf kritische Fragen. Bild: Gabi Schönberger
Nach den ersten vier "Speed Dating"-Runden stehen die Politiker den Schüler noch für weitere Gespräche zur Verfügung. Kathrin Flach-Gomez (Die Linke, von links), Ismail Ertug (SPD) und Malte Gallée (die Grünen) antworten auch auf kritische Fragen.

Tick, Tock, Tick, Tock. Die an die Wand eines Klassenzimmers projizierte Stoppuhr zählt die Zeit runter. 15 Minuten haben die Beteiligten, um sich auszutauschen. Etwas mehr als bei üblichen "Speed Dating"-Runden. Liebe ergibt sich schließlich nicht immer auf den ersten Blick. Mit Romantik hat das Szenario in der Wirtschaftsschule aber ohnehin eher wenig zu tun, und zu flirten versucht nur einer aus den jeweiligen Gesprächsrunden.

Christian Doleschal von der CSU, Malte Gallée von den Grünen, Ismail Ertug von der SPD und Kathrin Flach-Gomez von den Linken versuchen am Montag, ihre Gegenüber von sich zu überzeugen. Vor der Europawahl bekommen Schüler der zehnten und elften Klassen des Augustinus- und Elly-Heuss-Gymnasiums sowie der Gustl-Lang-Schule die Möglichkeit, die Kandidaten im "Speed Dating"-Verfahren mit Fragen zu löchern. Rund 15 Jugendliche setzen sich mit jeweils einem Politiker an einen Tisch. Nach Ablauf der Zeit wird durchgetauscht. So können am Ende alle Schüler mit den vier Kandidaten sprechen.

"Das ist keine klassische Wahlkampfveranstaltung. Die Politiker mischen sich einfach unter die Leute", sagt Theresa Weidhas. Die Projektmitarbeiterin begrüßt zusammen mit dem Schulleiter der Gustl-Lang-Schule, Thomas Reitmeier, die Schüler. Die Veranstaltung findet im Rahmen des Programms "Demokratie leben!" statt, wird veranstaltet vom Jugendforum Weiden und gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Zumindest optisch hat sich CSU-Politiker Doleschal an die Jugend angepasst. Sweatshirt, weißes T-Shirt und Jeans. Er ist auch für unangenehme Fragen bereit. "Ich glaube, das größte Problem ist, dass man als junger Mensch in der Politik nichts erreichen kann", beklagt sich Lisa Lingl vom Augustinus-Gymnasium. Sie hat Angst, dass ihre Altersgruppe in der Politik nichts zu melden hat. Doleschal versucht zu beschwichtigen: "Wer sich sich einbringt, findet eigentlich immer Gehör. Deshalb ist es wichtig, dass man sich engagiert."

Mit "Hallo, ich bin Malte und wer seid ihr?", begrüßt der 25-jährige Kandidat der Grünen die Schüler an seinem Tisch betont auf Augenhöhe. Er hält's basisdemokratisch. "Wer möchte, dass ich etwas erzähle, und wer ist dafür, dass ich gleich Fragen beantworte? Lasst uns abstimmen." Per Handzeichen entscheidet sich die Mehrheit für ersteres. Handels- und Agrarpolitik sowie Verbraucherschutz – das sind die Themen der Grünen bei der Europawahl. "Wie soll man die Leute dazu bringen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, wenn sie immer teurer werden?", möchte Laura Dill wissen. Gallée: "Eine Möglichkeit, Geld für öffentliche Verkehrsmittel zu bekommen, wäre es, Kerosin zu versteuern. Es kann nicht sein, dass das Flugzeug momentan das günstigste Verkehrsmittel ist."

Auf Gerechtigkeit, Klimaschutz und Soziales setzt auch die SPD im EU-Wahlkampf. Darauf möchte sich Ismail Ertug aber erst mal nicht versteifen. Lieber sucht er an seinem Tisch den Dialog mit den Schülern. "Wie erlebt ihr die EU? Was stört euch?", fragt er. "Die Urheberrechtsreform: Artikel 13, jetzt 17", antwortet Max Schuster. Ein Thema, das an allen Tischen zur Sprache kommt, genau wie erneuerbare Energien.

"Kann man Deutschland wirklich nur mit Öko-Strom versorgen?", fragt Sara Richthammer die Kandidatin der Linken, Kathrin Flach-Gomez. "Man müsste eine kleinteiligere Versorgung schaffen und den Strom je nach regionalen Gegebenheiten lokal durch Wind oder Sonne gewinnen", antwortet Flach-Gomez. Ein Kohleausstieg sei absolut notwendig. "Wie steht die Linke zum Brexit?", möchte Sophia Staufen von der Wirtschaftsschule wissen. Die Kandidatin: "Ein harter Brexit ist keine Alternative. Lieber sollte man geduldig sein lassen."

Zeit braucht auch die letzte Gruppe an Flach-Gomez' Tisch. Die Diskussionen über Waffenexporte und Landespolitik scheinen nicht abzuebben. Die Kandidatin und die Schüler tauschen E-Mail-Adressen aus, um die Gespräche vertiefen zu können. Ein Beweis für das politische Interesse der Jugendlichen. "Ich finde diese Veranstaltung super. Ich wünschte, sowas hätte es bei uns schon gegeben: Verschiedene Parteien in einem Raum und die Möglichkeit mit allen zu sprechen", schwärmt Gallée dann auch. "Hier können Meinungen ungefiltert besprochen werden. Die Parteien stehen nicht so im Vordergrund", meint Doleschal – der sein Wahlkampfmobil aber direkt im Pausenhof parkte.

"Am Anfang war für mich klar, dass ich den Grünen meine Stimme geben würde, wenn ich schon wählen dürfte", sagte Emilia Krieg. "Nach den Gesprächen würde ich die Linken und die SPD auch noch in Betracht ziehen." Vom Wahlrecht ab 16 ist sie nicht überzeugt. "Es gibt Schüler, die sich für Politik interessieren, aber auch viele, die das nicht tun. Bei mir kam das auch erst im letzten Jahr." Das Wahlrecht nicht von der Volljährigkeit zu trennen, sei auch im Sinn der CSU, bestätigt Doleschal.

"Ich habe viel über den Artikel 13, beziehungsweise 17 gelernt. Dürfte ich wählen, würde ich mich für liberalere Parteien wie die Linke entscheiden. Mir ist es wichtig, dass die EU den Fokus auf menschlichere Themen wie den Klimawandel legt, da das unsere Zukunft betrifft", sagt Jonas Frenzel. Themen, welche die Wirtschaft betreffen, kamen bei den Schülern nicht so gut an. "Ich habe gemerkt, dass sich die Schüler vor allem für Punkte interessieren, die eine ökologische und soziale Zukunft sicherstellen und niemanden zurücklassen", berichtet Gallée.

Anders als bei herkömmlichem "Speed Dating" können an diesem Tag keine festen Partner gefunden werden. Dafür gelingt es, Einblicke in verschiedene Parteiprogramme zu bekommen. "Jetzt ziehe ich auch andere Parteien in Erwägung", sagt Gymnasiastin Emilia Krieg – und fasst damit die Meinung vieler Teilnehmer zusammen. Nach Treue fürs Leben klingt das eher nicht.

 
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