Seit der Junge vier Wochen alt ist, ist Diana Schmidt seine Mama. Sein Name soll nicht in der Zeitung stehen. Doch die Pflegemutter selbst hat damit kein Problem. Sie will ihre Geschichte erzählen, auch um andere zu motivieren. Denn es gibt zu wenige Pflegefamilien.
Das Kind liebt sie wie ihr eigenes, sagt sie. Aber vielleicht kommt der Schüler irgendwann wieder zu den leiblichen Eltern, zu denen er nicht "Mama" und "Papa" sagt, sondern die er beim Vornamen nennt. "Das ist jedoch unwahrscheinlich nach so langer Zeit", sagt Sabine Frischholz, Abteilungsleiterin im Amt für soziale Dienste in Weiden, besser bekannt unter Jugendamt. "Wir sagen, nach zwei Jahren bleiben die Kinder in vielen Fällen für immer."
Baby direkt aus der Klinik
Seit sechs Jahren betreut Diana Schmidt Pflegekinder. Dazu übernimmt die 46-Jährige noch eine Bereitschaftspflege. Manchmal bekommt sie mitten in der Nacht einen Anruf. "Wir haben ein Problem", sagen dann die Mitarbeiter des Jugendamtes. Oft bekommt sie Babys direkt aus dem Krankenhaus.
In vielen Fällen ist die leibliche Mutter drogenabhängig, das Baby deshalb auch. Diana Schmidt erzählt, wie sie sich um ein Neugeborenes kümmerte, das auf Entzug war. "Da war absolute Unruhe, Zittern, viel Schreien. Das Kind hat zehn Minuten geschlafen, dann war es wieder wach und hat nach was auch immer gesucht", erinnert sie sich. Nächtelang habe sie das Baby herumgetragen. "Nach einem halben Jahr hat es sich langsam beruhigt." Doch Orte mit vielen Reizen, wie Freizeitparks oder Schwimmbäder, habe sie auch später gemieden. "Wir sind eben an einen Weiher gefahren."
Viele Kinder aus der Bereitschaftspflege bleiben nur ein paar Wochen oder Monate bei ihr, bis eine geeignete Pflegefamilie gefunden wird. Oder sie zu ihrer eigenen zurückkommen, manchmal auch gegen die Empfehlung des Jugendamtes. "Das ist natürlich bitter, aber kommt vor. Das Elternrechtwird vor Gericht sehr hoch angesehen", erklärt Frischholz. Gerade betreut Diana Schmidt nur zwei Pflegekinder, und ihren eigenen Sohn. Für sie ist das ungewohnt. "Ich schaue mich ständig um, ob ein Kind fehlt. Es ist plötzlich so ruhig hier."
Wie sie das hinbekommt, gleichzeitig ein Kind zu lieben und zu wissen, dass sie es bald fortgeben muss, wisse sie selbst nicht. "Ich denke, ich bin generell ein Kopfmensch. Ich versuche Lösungen zu finden." Manchmal kommen ihr auch die Tränen. Einfach weil es so ist, wie es ist. "Man lernt aber dazu. Die ersten zwei Jahre war ich immer fürchterlich aufgeregt, wenn ein neues Kind kam. Heute kann ich das im Kopf ganz anders verstoffwechseln."
Ganz normale Familie
Eine professionelle Distanz wie die Sozialarbeiter vom Jugendamt, die sie regelmäßig besuchen, hat sie jedoch nicht. Sie kann ihre Arbeit nicht im Büro lassen oder in Ordnern abheften. Ihre "Arbeit" hat Bauchweh mitten in der Nacht und keine Lust aus Hausaufgaben. "Das ist aber auch das, was die Pflegefamilie ausmacht. Sie lebt vom natürlichen Familiendasein, nicht von der Arbeit von Profis", erklärt Ulrike Prucker-Pöllath. Sie kümmert sich beim Jugendamt um den Pflegekinderdienst.
Die Kleinen sollen nicht bei Experten aufwachsen, die pädagogische und psychologische Fachkompetenzen haben. Sie sollen in einer ganz normalen Familie groß werden. Dort, wo es nicht profimäßig zugeht, wo das normale Alltagschaos ist. Das abendliche Nicht-ins-Bett-gehen-wollen, die warme Hand der Mama im Nacken, das bunte Fuxi-Kraxi-Bild neben dem Stundenplan am Kühlschrank. Kurz: Geborgenheit.
Im Zuhause der Schmidts gibt es das. Im Ofen brennt ein warmes Feuer, Plätzchen liegen auf dem Küchentisch, an der Wand im Spielzimmer hängt ein Bild in krakeliger Kinderschrift: "Mama ist die Beste."
Auch Weihnachten laufe "ganz normal", erklärt die Pflegemutter. Weihnachtsbaum, Essen, Bescherung. Die Großeltern kommen vorbei. Auch sie sind "Oma" und "Opa" für viele. "Wenn wir ein neues Pflegekind haben und meine Eltern kommen, dann gibt es natürlich ein Geschenk, wie für alle." Auch Schmidts Mann ist mit dabei, obwohl er als Berufskraftfahrer nicht oft da ist. "Manchmal kommt er nach zwei Wochen heim und dann liegt wieder ein neues Baby im Bett", erzählt sie und lacht. Etwa zehn Kindern gaben die Schmidts eine Familie auf Zeit. Kinder, deren Eltern gestorben sind, oder drogenabhängig, oder gewalttätig, oder einfach überfordert. "Die Kinder kommen alle mit einem Päckchen." Mehr erzählt Schmidt nicht, aber ihr ernster Blick lässt erahnen, wieviel sie schon getröstet hat.
Für manche war sie auch nur Mama für ein paar Wochen. Manche haben sie vielleicht schon wieder vergessen. Doch Diana Schmidt geht es nicht um Dankbarkeit. Was sie motiviere, ist der Drang, die Welt ein Stück besser zu machen. Kindern helfen, die es von Anfang an schwer haben. "Ich will ihnen einen Weg freischaufeln, dass sie ein wenig aus ihren Löchern herausschauen können." Sie streichelt ihrem Pflegekind den Rücken. Und natürlich bekommt es noch ein Plätzchen.___"Macht auf die Tür": So heißt der Adventskalender unserer Zeitung. Bis zum 24. Dezember öffnen wir in dieser Serie täglich jemands Tür und sehen, wie er oder sie sich auf das Weihnachtsfest einstimmt.
63 Pflegekinder, für das das Jugendamt Weiden verantwortlich ist, sind gerade bei Pflegefamilien untergebracht. Doch die Mitarbeiter müssen auf weit entfernte Familien ausweichen, bis hin nach Regenstauf und Wunsiedel. Denn das Amt hat massiv Probleme, Kinder zu vermitteln, erklärt Sabine Frischholz. Sie führt das auf den gesellschaftlichen Wandel zurück. Immer weniger Frauen blieben daheim, sondern arbeiteten. Kinder, die ein Zuhause voller Geborgenheit brauchen, weil die Eltern ihnen das nicht geben können, werden jedoch mehr.
Das Jugendamt sucht dringend neue Familien. Die Mitarbeiter schauen darauf, dass das Kind auch in die Familie passt. „Das Pflegekind sollte das jüngste Kind der Familie sein. Wir achten auf eine natürliche Geschwisterreihe.“ Auch Alleinstehende können ein Heim für Pflegekinder bieten, betont Frischholz. Allerdings sollten die Betreuenden über genügend wirtschaftliche Mittel verfügen, so dass sie auch ohne Pflegekind über die Runden kommen. Dazu sollten die Pflegepersonen psychisch belastbar sein und die ganze Familie sollte mithelfen. 600 bis 1200 Euro pro Monat gibt es an Zuschüssen, abhängig von Alter des Kindes und dem Betreuungsaufwand.
Wer sich für solch eine Tätigkeit interessiert, kann sich in einem unverbindlichen Erstgespräch bei den Mitarbeitern des Pflegekinderdienstes informieren. Sie beantworten alle Fragen und bereiten Pflegefamilien auf ihre Aufgabe vor:
Nina Halbeck, Telefon 0961/815123, nina.halbeck[at]weiden[dot]de
Ulrike Prucker-Pöllath, Telefon 0961/815122, ulrike.prucker-poellath[at]weiden[dot]de
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