Weiden in der Oberpfalz
04.06.2024 - 10:24 Uhr

Kälte, Hunger, Gewalt: Zeitzeuge spricht in Weiden über den Terror der Nazis

Eine Geschichtsstunde der besonderen Art: Zeitzeuge Josef Salomonovic berichtet an der Wirtschaftsschule Weiden über die unfassbaren Gräueltaten, die Nazis seiner Familie antaten.

Von Sonja Messer

Der damals dreijährige Josef Salomonovic wurde im November 1941 zusammen mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Michael von den Nationalsozialisten von Ostrava (ehemalige Tschechoslowakei) ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz) deportiert. Es folgten Jahre voller Hunger und Gewalt. Darüber spricht der Überlebende des Nazi-Terrors auch mit Schülerinnen und Schülern der Wirtschaftsschule Weiden. Gemeinsam mit seiner Ehefrau hat er die Schule besucht und sich den Fragen der Jugendlichen gestellt.

Gemeinsam mit dem Zeitzeugen sahen sich die Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen vorab den Film „Zeuge der Zeit: Josef Salomonovic – meine gestohlene Kindheit“ an. In diesem Film berichtet Salomonovic, der von seiner Familie „Pepek“ genannt wird, davon, was Menschen anderen Menschen gar unfassbares antun können.

Versteck auf dem Dachboden

Zurück zur Geschichte von Salomonovic: Von den 1000 Menschen, die in seinem Transport nach Litzmannstadt deportiert wurden, haben nur 46 die Befreiung 1945 erlebt. Während die anderen Familienmitglieder in Fabriken arbeiten mussten, war Josef tagsüber sich selbst überlassen. Bei einer Razzia im Ghetto wurde der kleine Pepek auf dem Dachboden versteckt. Er durfte keinen Laut von sich geben, damit er nicht entdeckt wurde. Josef hörte in seinem Versteck die Schreie von Müttern und Kindern. Am nächsten Tag stellte er fest, dass von den zwölf Spielkameraden nur noch drei da waren. Die anderen waren entdeckt und abtransportiert worden.

Im Juni 1944 wurde die Familie Salomonovic über das KZ Auschwitz ins KZ Stutthof deportiert. Bei der Selektion an der Rampe wird die Familie getrennt. Josef und seine Mutter kommen in den Frauenblock und sein Vater und sein Bruder in den Männerblock. „Er hat mich geküsst und umarmt und ich habe seine Hand gehalten“, erinnert sich der Zeitzeuge. Das war das letzte Mal, dass Josef seinen Vater sieht. Drei Monate später wird sein Vater im KZ Stutthof durch eine Spritze ins Herz ermordet. Bei den Erzählungen merkt man ihm an, wie sehr die Erinnerung an seinen Vater und was ihm angetan wurde, auch nach all den Jahren noch schmerzt.

Todesmarsch nach Böhmen

Der kleine Josef kommt in Auschwitz mit den Frauen in die sogenannte Sauna. Hier werden den Frauen die Haare abrasiert und alle müssen sich nackt ausziehen. Eine Wärterin namens Katja erlaubt es dem Kind seine Kleidung wieder anzuziehen. Aufgrund der Mangelernährung wächst Josef nicht und ihm passen bei der Befreiung 1945 immer noch die Schuhe, die er bei der ersten Deportation 1941 trug.

Im November 1944 wird die Mutter mit den beiden Söhnen nach Dresden in ein Außenlager des KZ Flossenbürg überstellt. Die Mutter und der ältere Bruder müssen in einer Munitionsfabrik arbeiten. Ein SS-Mann entdeckte im Februar 1945 den sechsjährigen Josef, versteckt in einem Wäschekübel. „Dieser Dreck muss weg“, war sein Befehl. Der Junge sollte am nächsten Tag, dem 13. Februar 1945, erschossen werden. In der Nacht wurde jedoch Dresden bombardiert und der Erschießungsbefehl wurde nicht mehr ausgeführt.

Mitte April muss sich die Mutter mit ihren beiden Söhnen einem Todesmarsch nach Böhmen anschließen. Der Familie gelang es während des Marsches zu flüchten und sie versteckten sich bis zur Befreiung in einer Scheune. Auf der Flucht sieht Josef zum ersten Mal in seinem Leben Ziegen, Hühner und eine Kuh. Wegen der jahrelangen Mangelernährung wachsen ihm erst nach der Befreiung im Alter von sieben Jahren Zähne. Salomonovic zeigt den Schülern nach dem Film seine Kindheitsschätze: einen Löffel und ein kleines Flugzeug. Der Löffel sicherte dem zahnlosen Josef das Leben, denn damit konnte ihm seine Mutter zum Beispiel Karotten schaben.

"Das Schlimmste war die Kälte"

Die Schülerinnen und Schüler fragen den Zeitzeugen, ob es einen Tag im Konzentrationslager gab, an dem er glücklich war. Salomonovic erinnert sich, dass er 1944/45 in Dresden einmal ein Brot dick bestrichen mit Margarine und bestreut mit Kristallzucker von seiner Mutter bekommen hat und, dass dieser Zucker im Glühbirnenlicht so schön glitzerte.

Auf die Frage der Jugendlichen, was das Schwerste war, dass er als Kind im KZ aushalten musste, entgegnete der Zeitzeuge: „Das Schlimmste war die Kälte.“ Bei Minusgraden in unbeheizten Räumen leben zu müssen. Keine wärmende Kleidung zu haben, wenn man raus musste, um von der Pumpe Wasser zu holen. „Warum sprechen sie in den Schulen über diese Zeit, obwohl es ihnen danach schlecht geht?“, wurde der Zeitzeuge gefragt.

Lebensgeschichte hinterlässt Eindruck

Salomonovic antwortete, dass es ihn Kraft kostet, über seine Erlebnisse zu sprechen, aber es sei heutzutage notwendig, über unpopuläre Sachen zu sprechen. Besonders jetzt. Die Schülerinnen und Schüler waren sichtlich berührt von der Lebensgeschichte des Zeitzeugen und welche Folgen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben können. Eine Geschichtsstunde, die verdeutlicht, wie wichtig Demokratie und Menschenwürde sind.

Hintergrund:

Zur Autorin

  • Sonja Messer ist Oberstudienrätin und Diplom-Handelslehrerin. Sie unterrichtet Wirtschaftswissenschaften und Sozialkunde an der Wirtschaftsschule in Weiden und ist außerdem Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit der Schule.
 
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