Das Kriegsende 1945 bedeutete für die Bevölkerung einen Neubeginn: Frieden, Freiheit, Befreiung. Jedoch auch Trauer um geliebte Menschen, Abschied von der Heimat, Verlust von Hab und Gut. 1,9 Millionen der 12 Millionen Flüchtlinge aus Ostpreußen, Pommern, Brandenburg und Schlesien kamen nach Bayern. Allein 458 000 Flüchtlinge stammten aus Schlesien. Einer von ihnen war der 1869 geborene Alfred Langer aus dem oberschlesischen Oppeln. Im Frühjahr 1945 landete er nach wochenlanger Flucht aus Oberschlesien in Wiesau. In Oppeln war er als Hotelbesitzer ein anerkannter und wohlhabender Bürger gewesen, nach dem Krieg teilte er das Schicksal der meisten Flüchtlinge und Vertriebenen: Nichts war vom einstigen Eigentum geblieben.
Die Geschichte Langers soll aus gegebenem Anlass erzählt werden: Genau vor 100 Jahren kaufte er in Oppeln "Krugs Hotel", sanierte das heruntergewirtschaftete Hotel und brachte es zu neuer Blüte. Zuvor hatte der in Tschammer-Ellguth (Ligota Czamborowa) geborene Langer den Grundstock für den Kauf als Diener auf einem Gut und Betreiber der Dorfschänke angespart. Die ganze Familie arbeitete mit großem Fleiß im neu eröffneten Hotel mit. In den folgenden Jahrzehnten machte Alfred Langer aus "Krugs Hotel" ein erfolgreiches Hotel mit Restaurant. Die Familie mit sechs Kindern aus zwei Ehen war wohlhabend. Tochter Magdalena (1911 - 2002) heiratete 1935 den jungen Rechtsanwalt und Notar Willibald Styra (1903 - 1985) aus Beuthen/Oberschlesien.
Reisen nach Israel und Rom
Alfred Langers Enkeltochter Dietlind Kempf, geborene Styra, aus Weiden erinnert sich an ihren Großvater: "Opa war Hotelbesitzer, er stammte aus kleinen Verhältnissen, hatte sich all seine Besitztümer selbst erarbeitet. Er war ein sehr gut aussehender Mann, groß, schlank, mit dichtem, gepflegtem weißen Haar. Opa war ein frommer und caritativer Mensch. Als für die damalige Zeit sehr reisefreudiger Mann machte er erstaunliche Reisen. So war er Ende der zwanziger Jahre in Israel und pilgerte auch mehrmals nach Rom."
Das Jahr 1945 brachte die große Veränderung, Magdalena Styra erzählte später ihren Enkelkindern: "Die Russen kamen immer näher, wir wussten, dass wir nicht bleiben konnten." Am 21. Januar 1945 brach sie schließlich auf. Dietlind Kempf: "Den letzten Abend vor unserer Flucht verbrachten wir im Haus meiner Großeltern und warteten auf ein Fahrzeug, das uns nachts aus Oppeln herausbringen sollte. Wir saßen schweigend da, ich verstand wohl nur, dass alles anders und eigenartig war. Dann stand Opa auf, nahm den Schlüsselbund und begann durch das Haus zu gehen, er verschloss alle Türen. Ich begleitete ihn. Ob er wohl ahnte, dass er für immer Abschied nahm?"
In Wiesau gestrandet
Zuerst führte die Flucht "über die Oder", noch hoffte die Familie, zurückkehren zu können. Dann ging es weiter, mit jeder erreichten Station wurde das Gepäck weniger. Veronika Janker, geborene Langer, berichtet: "Am Ende hatten wir nur noch, was wir in den Händen tragen konnten." Familie Langer-Styra hatte weit entfernte Verwandte in Wiesau: Familie Enders war bereit, die Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. In der Wiesauer Bahnhofstraße teilte sich die Familie zwei winzige Zimmer und eine Küche unter dem Dach. Kempf: "Wir waren am Ende einer langen und unfreiwilligen Reise, aber meine Großeltern, meine Mutter und meine Tante wollten tief im Inneren nicht, dass die Reise zu Ende ist. Sie wünschten sich sehnlich, dass die Reise weitergeht, dass der Zug wieder zurückfährt, weit zurück in die Heimat."
Alfred Langer lebte mit seiner Ehefrau Valentine (geboren 1886), Familie Styra und seiner jüngsten Tochter Veronika nach der Flucht für einige Jahre in Wiesau, bevor er mit seiner Frau ins Altenheim nach Hammergmünd zog. Dort verstarb Alfred Langer 1952. Seine Witwe starb einige Jahre später in Weiden. Sein Schwiegersohn Willibald Styra ließ sich 1949 mit Zulassung der US-Militärverwaltung als Rechtsanwalt mit seiner Familie in Weiden nieder. Sohn Winfried Styra unterrichtete später am Weidener Augustinus-Gymnasium, Tochter Dietlind Kempf war Fachlehrerin für Steno und Maschinenschreiben an der Gustl-Lang-Wirtschaftsschule in Weiden. Beide wurden im Privattrakt des Hotels in Oppeln geboren.
Das Hotel in Oppeln gibt es bis heute. 1945 fiel es in die Hände der Sowjetarmee. Alfred Langers ältesten Sohn Paul, der die Hotelschänke betrieb, nahmen die Russen mit. Erst Jahre später erfuhr die Familie, dass er in einem sibirischen Kriegsgefangenenlager umgekommen war. Den hohen Mittelteil des Hotelgebäudes zündeten die Soldaten an. Der Brand wurde jedoch rasch gelöscht. In den folgenden Jahrzehnten betrieben Polen das Haus, heute gehört es einer internationalen Hotelkette. Vor einigen Jahren suchte ich - Alfred Langers Urenkelin - im Internet nach "Krugs Hotel" - und stieß auf eine Seite, die zahlreiche Aufnahmen des Hotels von 1900 bis heute enthält, zudem Porträts von Alfred und Valentina Langer. Die hatte ich vor einigen Jahren dem polnischen Fotografen Andrzej B. zur Verfügung gestellt. Lautete die Adresse einst "Krugs Hotel, Hindenburgstraße 57 in Oppeln", so ist das unverwechselbare Gebäude heute als "Hotel Mercure, ul. Krakowska 57 - 59, Opole" zu entdecken.
Alfred Langer sah seinen Besitz nie mehr wieder, gerettet hatte er jedoch zahlreiche Dokumente und Unterlagen, mit denen er seinen einstigen Besitz nachweisen konnte. Er hoffte, die Papiere irgendwann vorlegen zu können, um sein Eigentum zurückzuerhalten. Diese Unterlagen sind noch heute in Familienbesitz. Seine jüngste Tochter Veronika besuchte Oppeln erstmals 1980 gemeinsam mit ihrer Familie sowie ihrem Neffen Winfried Styra wieder.
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