Weiden in der Oberpfalz
05.04.2019 - 12:09 Uhr

Kurioser Zivilprozess: Der Mann mit den vielen Klagen

Ein Rentner aus dem Kreis Neustadt verklagt seinen Anwalt, dazu noch einen Netzbetreiber und eine Stadt in Thüringen. "Das ist meine Bürgerpflicht", sagt er. Von Anwälten und der Justiz fühlt er sich reingelegt.

Zwei Waschwannen voll Bücher und Unterlagen bringt der 71-Jährige aus dem Kreis Neustadt in die Redaktion. Dutzende Bände hat er gelesen, um sich auf seine Prozesse vorzubereiten, vor allem Bücher über Anwaltshaftung. Bild: Stephan Huber
Zwei Waschwannen voll Bücher und Unterlagen bringt der 71-Jährige aus dem Kreis Neustadt in die Redaktion. Dutzende Bände hat er gelesen, um sich auf seine Prozesse vorzubereiten, vor allem Bücher über Anwaltshaftung.

"Als Soldat habe ich einen Eid geschworen, dass ich eintrete für Recht und Freiheit", erklärt der 71-Jährige aus dem Landkreis Neustadt die vielen Klagen im Gespräch mit Oberpfalz-Medien. Das Unrecht, das ihm widerfahren sei, dürfe nicht ungesühnt bleiben. "Ich habe mich ein Leben lang für den Rechtsstaat eingesetzt." Deshalb habe er sich auch in der Politik engagiert. Der Mann war Jahrzehnte kommunalpolitisch sehr aktiv. Seinen Namen will er in der Presse nicht lesen. Ihm sei das egal, sagt er, doch er nehme Rücksicht auf seine Familie.

Jetzt verklagt er seinen Anwalt, unter anderem. Sein Grund an die Öffentlichkeit zu gehen: "Man darf sich nicht alles gefallen lassen von einem Anwalt. Das müssen die Leute erfahren." Zwar nähmen die Juristen viel Geld, handelten aber oft nicht im Interesse ihrer Mandanten. "Da gehen Sie mit Ihren Unterlagen hin, die machen ein paar Notizen, sagen ,Was wollen Sie damit' und verlangen dann 220 Euro dafür." Sein Ex-Anwalt will sich auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien nicht äußern und verweist auf das laufende Verfahren.

Im Zentrum des Zivilstreits zwischen den beiden am Amtsgericht Weiden steht ein Grundstück in Thüringen, das der 71-Jährige kurz nach dem Mauerfall für damals 90 000 Mark gekauft hat. Eine Volkskammer-Abgeordnete hatte das Haus zu DDR-Zeiten gebaut. Der Rentner wollte es als Altersdomizil nutzen. Seit vier Jahren hat er keinen Strom mehr, weil eine Leitung beschädigt ist. Doch den Verantwortlichen dafür sucht er vergeblich. Um wieder Strom zu bekommen, hatte er 2015 einen Anwalt aus dem Kreis Neustadt beauftragt. Der verklagte einen thüringischen Netzbetreiber - und verlor. Jetzt verklagt der Rentner den Anwalt, weil jener den Falschen verklagt haben soll. Er sei seiner Anwaltspflicht nicht nachgekommen, wirft er ihm vor.

Gewappnet mit Paragrafen

Der 71-Jährige zieht gewappnet mit vielen Paragrafen vor Gericht, zitiert aus der Niederspannungsanschlussverordnung, dem Bürgerlichen Gesetzbuch und der Zivilen Prozessordnung. "Ich habe in der Vorbereitung 32 Bücher gekauft und gelesen", sagt er im Gespräch mit Oberpfalz-Medien, vor allem über Anwaltshaftung.

Als sich der Mann und sein Ex-Anwalt zur Güteverhandlung vor Richter Roland Güll treffen, sind sie sich über eins einig: Dass sie sich heute nicht gütlich einigen werden. Eine "vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung" nennt der Mann das Verhalten des Anwalts. "Das ist relativ mutig", bemerkt Richter Güll. "Sie sind der größte Märchenerzähler, den ich kenne. Und sehr klagefreudig", sagt dessen Ex-Anwalt. Doch ob die Klage berechtigt ist, darum geht es erst einmal nicht. Der Richter hat grundlegende Probleme mit der Klageschrift des Rentners: "Das ist teilweise eine Aneinanderreihung von Wörtern, die keinen Sinn ergibt. Ich verstehe das nicht." Ausführlich schildert der Mann sein Anliegen, wendet sich immer wieder den Zuhörerrängen zu, betont seine "bürgerliche Pflicht", den Anwalt zu verklagen. Doch seinen Antrag versteht der Richter immer noch nicht.

Der Rentner bittet um "Waffengleichheit": Bei dem Verfahren klage er als Ottonormalverbraucher gegen einen ausgebildeten Juristen. Falls in seinem Antrag etwas falsch formuliert sei, bitte er um Nachsicht. Der Richter: "Das ist mir schon klar, aber ich setz' mich jetzt nicht hin und formuliere Ihren Antrag für Sie." Güll empfiehlt dem Mann, sich einen Anwalt zu nehmen. Doch der sagt, dass kein Anwalt in Weiden bereit war, ihn zu vertreten. Sein Ex-Anwalt: "Das wundert mich nicht." Der Rentner fordert von dem Juristen, die Wiederherstellung der Stromversorgung zu zahlen. Kosten: 8000 Euro. Dann sei jedoch das Landgericht zuständig, weil der Streitwert über 5000 Euro liegt, gibt der Richter zu Bedenken.

Mehrere Klagen

Im Laufe des Güteverfahrens wird auch klar, dass der 71-Jährige dieselbe Forderung nicht nur an seinen Ex-Anwalt stellt, sondern auch noch den Stromversorger Lichtblick am Amtsgericht Greiz und die Stadt Zeulenroda am Verwaltungsgericht Gera verklagt. "Sie haben halb Thüringen verklagt, meine ich", stellt sein alter Rechtsanwalt fest. Er bittet den Richter, die parallel laufenden Verfahren zu Protokoll zu nehmen und denkt laut nach, ob er die Staatsanwaltschaft einschalten soll, weil der Mann wegen der gleichen Sache unterschiedliche Parteien verklagt.

"Das ist doch nur Angstmache, damit kommt er niemals durch", ist sich der Rentner im Gespräch mit Oberpfalz-Medien später sicher. Wenn er alle seine Rechtsstreitigkeiten verliert, ist er mehrere Tausend Euro los, rechnet er vor. Die Rechtsschutzversicherung zahle in seinem Fall nichts. Die einzige Organisation, von der er sich unterstützt fühlt: "Verein gegen Rechtsmissbrauch - Gegen Missstände in Anwaltsschaft und Justiz". Der Rentner überlegt, einen Weidener Ortsverein zu gründen.

Auch dass Richter Güll ihn nicht vor dem Verfahren auf die Fehlerhaftigkeit des Antrags aufmerksam gemacht hat, sondern seiner Meinung nach überraschend erst im Prozess rausrückte, kommentiert er später: "Ich war acht Jahre lang Soldat. Das wichtigste ist die Überraschung."

Doch zurück zum Güteverfahren: Nach einer langen Unterredung mit Güll, der den Antrag mehrmals umformuliert, entscheidet sich der 71-Jährige erst einmal einen Antrag auf Feststellungsklage zu stellen. Sein Rechtsanwalt fordert Klageabweisung. Richter Güll gibt sein Urteil am 15. April bekannt.

 
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