Weiden in der Oberpfalz
14.10.2019 - 15:57 Uhr

"Need NO Speed"-Nachfolge braucht noch Zeit

Ein Jahr ist es her, dass die hochgelobte Initiative "Need NO Speed" die Segel streichen musste. Das Gesundheitsamt will eine neue Art von Drogenprävention an den Start bringen. Doch schnell geht dabei nichts.

An einer neuen Art von Drogenprävention in der Region tüftelt Dr. Thomas Holtmeier, Leiter des Gesundheitsamtes. Bild: Gabi Schönberger
An einer neuen Art von Drogenprävention in der Region tüftelt Dr. Thomas Holtmeier, Leiter des Gesundheitsamtes.

"Über Nacht" war Schluss – zum Entsetzen vieler Beteiligter. Nach personellen und finanziellen Problemen war vor einem Jahr erstmal Endstation für "Need NO Speed", seit 2012 die regionale Vorzeige-Initiative gegen Crystal Meth. Inzwischen scheint klar: Dabei wird es auch bleiben. "Es ist keine Lösung denkbar, die uns die direkte Fortsetzung des Projekts ermöglichen würde", räumt Dr. Thomas Holtmeier ein, der Leiter des Gesundheitsamts Neustadt-Weiden. Seine Behörde soll ein Konzept für die Suchtprävention in der Region entwickeln und dabei das Netzwerk "Gesundheitsregion plus" einbeziehen. Dazu muss laut Holtmeier zunächst geklärt werden, woher die nötigen zusätzlichen personellen Ressourcen kämen. Vorgespräche mit möglichen Kostenträgern hätten bereits stattgefunden. "Eventuell gibt es da Förderprogramme." Und auch inhaltlich will der Behördenchef im Benehmen mit anderen Experten etwa aus Ärzteschaft und Beratungsstellen erst grundlegende Fragen geklärt wissen. Zum Beispiel: Was sind wirklich die größten Suchtgefahren? Alkohol? Glücksspiel? Internet?

Enttäuscht von der bisherigen Entwicklung zeigt sich Florian Vogel, Vorsitzender des Stadtjugendrings. Schon bei einer Zusammenkunft im Sommer hätten er und Juz-Mitarbeiterin Theresa Sowa den Eindruck gewonnen, die Verantwortlichen des Gesundheitsamtes interessierten sich nicht sonderlich für die Crystal-Problematik, erzählt er. In einem Brief ans Rathaus hakte Vogel nach. „Danach habe ich nichts mehr gehört. Ich hatte auf irgendein Feedback gehofft, aber es ist nichts passiert.“ Offenbar werde „Need NO Speed“ nun sang- und klanglos verschwinden. Der SJR-Chef bedauert das: „Das Projekt war gut. Wenn es mit Crystal mittlerweile nicht mehr so ganz extrem ist, dann liegt das auch an der Präventionsarbeit.“

Tatsächlich hat Holtmeier Grundlegendes im Sinn. "Wir müssen klären: Was können wir am sinnvollsten tun, wenn die Ressourcen limitiert sind?" Zunächst müsse die Situation genau analysiert werden. Dann müssten die Experten unter anderem abwägen, wer die Zielgruppe der Prävention sein soll. Und auch, wie sich der Handlungsbedarf ergibt. "Nach Häufigkeit wie bei Alkohol und Nikotin? Nach Reichweite und Nachhaltigkeit? Oder nach strafrechtlicher Relevanz?"

Viele Fragen, die sich nicht so eben im Vorbeigehen beantworten lassen. Holtmeier selbst spricht von einer "fundamentalen Sache, die lange in die Zukunft reichen wird". Heißt auch: Bis die neue Drogenprävention anläuft, könnte es noch etwas dauern. Es bestehe aber auch kein Grund zur übertriebenen Eile: Der Behördenchef verweist darauf, dass beispielsweise Beratungsstellen ja ihre Arbeit fortsetzen. Auch SJR-Chef Vogel betont, dass sich Sozialpädagogin Sowa fürs Juz laufend um die Suchtprävention kümmere. Es fehlt eben ein übergeordnetes Konzept, das wie "Need NO Speed" die einzelnen Anstrengungen bündelt und koordiniert. Und es fehlt – noch – das gemeinsame Ziel.

Als die Verantwortung dazu Anfang des Jahres dem Gesundheitsamt übertragen wurde, ließ sich OB Kurt Seggewiß zur Prognose hinreißen, "bis zum Sommer" komme die "Need NO Speed"-Nachfolgelösung zum Tragen. Holtmeier verlängert nun vorsichtig bis "Ende des Jahres": Dann müsste zumindest Klarheit wegen der personellen Ressourcen herrschen.

Crystal Meth in der Statistik:

Größere Menge, weniger Tote

Wie groß ist das Problem Crystal Meth mittlerweile überhaupt noch? Anfang des Jahres beantwortete das bayerische Innenministerium dazu eine Anfrage von Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. Tendenz: Markante Zahlen sind weiter rückläufig, doch Grund zur Entwarnung gibt es nicht. So wurden 2018 noch rund 2050 Straftaten registriert, die im Zusammenhang mit dem Konsum und dem Verkauf der Droge stehen. 2017 waren es rund 2270 Delikte, 2016 rund 2320. Das waren schon mal wesentlich mehr (2014: rund 3100). Allerdings haben die Gesetzeshüter 12,43 Kilo Metamphetamin sichergestellt – nach rund 10,9 (2017) und 9 Kilogramm (2016). 17 Menschen (-2) starben im vergangenen Jahr an der Droge.

Die größten Mengen Crystal Meth stellte die Polizei in den Regierungsbezirken Oberpfalz (2,2 Kilogramm) und Oberfranken (2,6) sicher. 331 Mal (+4) wurde die Polizei im hiesigen Bezirk fündig, häufiger nur in Ober- (338) sowie Mittelfranken (406), wo im Ballungsraum Nürnberg wohl eine verstärkte Nachfrage besteht. Die gesamte Zahl der Fälle beträgt 1501 (+5). Auch der Beratungsbedarf scheint zu steigen. So verzeichne beispielsweise die Regensburger „Crystal-Hotline“ mit Netzwerkpartnern 227 Beratungen (+54), darunter 69 (+29) Konsumenten und 138 (+17) Angehörige.

Der Freistaat gibt 2019 und 2020 je 6,5 Millionen Euro für Drogenprävention und -therapie aus, 300 000 Euro mehr als 2018. Grünen-Sprecherin Schulze fordert dennoch stärkeres Engagement: „Die Söder-Regierung tritt bei der Crystal-Meth-Verbreitung auf der Stelle.“ Und die Süddeutsche Zeitung interpretierte die Statistik schon im Titel einer Reportage vom Juni: „,Crystal-Schwemme‘ in Ostbayern“. (rg)

 
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