"Wie lange wollen Sie noch ohne Reisepass in Deutschland leben?", fragt Richter Hubert Windisch. Der Libanese (53) antwortet: "Es geht auch ohne." Seit 23 Jahren lebt er im Landkreis Neustadt/WN. Vor Gericht braucht er einen Arabisch-Dolmetscher. Er beharrt darauf, seinen abgelaufenen libanesischen Pass verloren zu haben. Einen neuen Reisepass stellt ihm die libanesische Botschaft in Berlin nicht aus, solange er keine Geburtsurkunde oder andere Personaldokumente vorlegt. Und ohne Pass - keine Abschiebung.
Die Story vom verlorenen Pass nimmt dem Angeklagten bei der Verhandlung am Amtsgericht Weiden keiner ab. 1999 ist er eingereist, bis 2020 hatte er einen libanesischen Pass, der jährlich von der Auslandsvertretung seines Heimatlandes verlängert wurde. Dann ging das Dokument "verloren", just in dem Moment, als dem 53-Jährigen sein Bleiberecht entzogen wurde. Die Pflicht zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung erfüllt er nach Ansicht der Ausländerbehörde nicht. Das Amtsgericht Weiden erließ einen Strafbefehl über 120 Tagessätze, gegen den der berufslose Mann Einspruch einlegte - daher die Verhandlung. Das Delikt: unerlaubter Aufenthalt.
Libanon nimmt nur Straftäter
Das wirklich Interessante am Verfahren sind die internationalen Schwierigkeiten, mit denen die Mitarbeiter der Ausländerbehörde - in diesem Fall des Landratsamtes Neustadt/WN - so zu kämpfen haben. Beispiel Libanon. Die libanesische Botschaft verlängert Pässe immer nur für zwölf Monate. Gleichzeitig ziehen sich die Absprachen zwischen dem Landesamt für Rückführungen und der Botschaft oft über Monate - der Pass läuft wieder ab und schon ist es zu spät für die Abschiebung. "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt", murmelt Staatsanwalt Christoph May. Ohnehin nimmt der Libanon aktuell nur Straftäter zurück, wusste der Mitarbeiter des Landratsamtes. Die Botschaft gebe ab einer Strafe von 90 Tagessätzen "Rückführungsnummern" aus.
Der 53-Jährige hat sein Bleiberecht aus anderen Gründen verwirkt. Jahrelang hatte er in Deutschland bleiben dürfen, weil er ein lediges deutsches Kind hatte. Als die Kindsmutter dann informierte, dass er sich nicht um das Kind kümmere, wurde die Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Seither wäre er "vollziehbar ausreisepflichtig". Und seither läuft das Spiel mit dem Ausländeramt, das er einmal im Monat aufsucht, um sich die Duldung für vier Wochen verlängern zu lassen. Er lebt in einer dezentralen Unterkunft der Regierung von monatlich 344 Euro nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Landkreis: nur wenige Fälle
Aussichtslos sei es nicht, per Verlustanzeige einen neuen Pass zu bekommen, meint der Mitarbeiter des Ausländeramtes. "Wenn er mitwirkt, gibt es bei den meisten Ländern irgendeine Möglichkeit, an einen Pass zu kommen." Viele hätten noch Verwandte vor Ort, die Urkunden besorgen können. Es kann auch ein Anwalt bevollmächtigt werden. Wo ein Wille, da ein Pass.
Und meist ist der Wille da. Der Libanese ist ein Härtefall. Nach Auskunft von Landkreissprecherin Claudia Prößl gibt es nur "sehr wenige" Geduldete ohne Papiere, die nicht bei der Beschaffung dieser Dokumente mitwirken. Ein spezieller Staat lässt sich nicht festmachen: Mehrere Länder in fast allen Kontinenten sind betroffen, ausgenommen natürlich in erster Linie die EU-Staaten. "Die meisten Personen, die nicht über einen gültigen und anerkannten Pass verfügen, wirken zumindest bei der Passbeschaffung mit." Zwar ziehen sich die Verfahren oftmals sehr lange, führen aber mit "etwas Nachdruck" letzten Endes zum Erfolg.
Nicht in allen Fällen steckt dahinter die Taktik, eine Abschiebung zu verhindern. Oft wurden die Pässe tatsächlich von Schleusern entsorgt oder bei der Flucht verloren. Oder ein Ersatzpass scheitert an den Botschaften des jeweiligen Landes. Manchmal auch sehr zum Frust der Migranten, für die damit ja auch nichts vorwärts geht. In Bayern ist das Landesamt für Asyl und Rückführungen die zentrale Anlaufstelle für Fragen der Passersatzbeschaffung. Die Länderregelungen sind eine Wissenschaft für sich.
Irak fordert Zeitungsannonce
Eine Besonderheit gilt beispielsweise für Iraker. Das irakische Generalkonsulat fordert eine Annonce in der lokalen Zeitung. Aufmerksamen Zeitungslesern wird es aufgefallen sein: Iraker, die ihren Pass verloren haben, müssen diesen Verlust mit der Aufgabe einer Anzeige dokumentieren. Die Suchanzeige muss den Namen und die Nummer des verlorenen Passes enthalten. Nach einer Wartezeit von einem Monat kann bei der zuständigen irakischen Botschaft ein neuer Reisepass beantragt werden.
Zurück zum Amtsgericht Weiden. Das Verfahren gegen den 53-Jährigen wird ausgesetzt. Hintergrund: Der Angeklagte bietet "mannigfaltige Versionen", so Staatsanwalt May. Im Amt sagte er, die Fahrt zur Botschaft nach Berlin wäre zu teuer. Das dürfte mit dem 9-Euro-Ticket nicht mehr gelten. Jetzt behauptet er, sein früherer Vermieter habe seine Papiere weggeworfen, die Fahrt nach Berlin wäre damit sinnlos. Weitere Zeugen werden geladen.
Landesamt für Rückführungen und Asyl
- Eine eigene Abteilung des LfAR in München befasst sich mit der Beschaffung von Ersatzpässen, ohne die keine Rückführung möglich ist.
- Landesamt spricht dazu bei Botschaften und Konsulaten vor.
- Umstritten sind Sammelanhörungen, die zumeist Afrikaner betreffen. „Identifizierungskommissionen“ aus den jeweiligen Heimatländern hörten 2021 bei 6 Terminen 638 Personen an.
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