Weiden in der Oberpfalz
03.09.2019 - 09:37 Uhr

Pflegestation - kein Zuckerschlecken

Mein erster Ferienjob war zugleich der einprägsamste. Kein Wunder: Ich war 13 und arbeitete im Pflegebereich eines Altenheims. Gleich am zweiten Tag wurde ich da mit dem Tod konfrontiert.

Essen austeilen oder auch zuführen zählte neben Betten machen eine Woche lang zu den Hauptaufgaben von NT-Redakteurin Jutta Porsche, als sie mit 13 Jahren ihren ersten Ferienjob in einem fränkischen Seniorenheim antrat. Es folgten noch vier andere, teilweise weit besser bezahlte, aber der erste war der spannendste, der abwechslungsreichste und zugleich der anstrengendste. Bild: Gabi Schönberger
Essen austeilen oder auch zuführen zählte neben Betten machen eine Woche lang zu den Hauptaufgaben von NT-Redakteurin Jutta Porsche, als sie mit 13 Jahren ihren ersten Ferienjob in einem fränkischen Seniorenheim antrat. Es folgten noch vier andere, teilweise weit besser bezahlte, aber der erste war der spannendste, der abwechslungsreichste und zugleich der anstrengendste.

Am Tag davor hatte ich den Mann noch gefüttert. Jetzt war sein Bett leer. Das ging an die Nieren. Doch von Anfang an: Genau genommen machte ich Schwarzarbeit. Denn laut Gesetz hätte ich erst mit 15 Jahren Vollzeit arbeiten dürfen. Eigentlich war vereinbart gewesen, dass ich in den Osterferien für eine Woche in der Küche eines Altenheims in meinem fränkischen Heimat-Landkreis aushelfen könnte. Ich hatte mich also auf Kartoffelschälen, Spülmaschine auffüllen, ausleeren undsoweiter eingestellt. Doch bei Dienstantritt hieß es: Die Küche ist gut besetzt, im Pflegebereich dagegen könnte man gut eine helfende Hand brauchen.

Etwas mulmig wurde mir da schon. Für einen Teenager ist die Vorstellung, einem alten Menschen die Windeln zu wechseln, nicht sehr reizvoll. Aber schließlich wollte ich Geld verdienen. Damals, Anfang der 70er Jahre, bekam ich übrigens 2,50 Mark pro Stunde. Das weiß ich noch genau. Also ging es auf die Station im zweiten Stock. Meine Hauptaufgabe wurde die Hilfe bei der Essensausgabe.

Am Mittag des ersten Tages sollte ich eben jenen Mann füttern. Er hatte eingefallene Wangen, lag stumm in seinem Bett und sah mich nur mit großen Augen an. Da stand ich nun mit meinem Brei und wusste nicht, ob der zu heiß war oder nicht. Der Mann reagierte auf meine Fragen nicht. Also blies ich auf den Brei, um ihn abzukühlen, wie man es bei Babys macht und schob dem Mann dann den Löffel in den Mund. Er fing langsam an zu kauen und zu schlucken. Das Ganze dauerte ziemlich lange. Und ich wusste nie so recht, will er jetzt noch etwas oder hat er genug? Er tat mir leid. Er konnte nicht gehen, nicht stehen, nicht laufen, nicht sprechen.

Als ich am nächsten Morgen zum Dienst kam, war sein Bett leer. Ich fragte nach ihm und erfuhr, dass der Mann in der Nacht gestorben war. Das kam für mich sehr überraschend und hat mich, ehrlich gesagt, etwas geschockt. Ich war also eine der Letzten, die mit ihm zu tun gehabt hatte. Hoffentlich hatte er die Brei-Fütterung nicht als unangenehm empfunden.

Vieles drehte sich ums Essen in diesem Seniorenheim. Eine Frau um die 90, die mit ihrem Mann gemeinsam ein Mini-Appartement bewohnte, klagte, dass ihr Mann aus Versehen sein Gebiss in der Toilette hinuntergespült habe. „Was will ich mit einem Mann ohne Zähne?“, fragte sie die Altenpflegerin und mich immer wieder. Sie war richtig grantig. Die Altenpflegerin flüsterte mir zu: „Diese Giftspritze hat das Gebiss vermutlich selber versteckt.“ Eine Vermutung, die sich von Tag zu Tag verstärkte.

Eine andere Dame teilte ihre Mahlzeiten immer in mehrere Portionen auf und wollte erst essen, wenn abends ihr Sohn zu Besuch kommen würde. Schnell erfuhr ich von den Pflegerinnen, dass der aber nur einmal pro Woche kommt und man die Seniorin deshalb sofort zum Essen überreden muss. Oder – wie wir es auch manchmal gemacht haben: Man hängt nach der Arbeit eine Viertelstunde Freizeit an, um mit der Frau zusammen zu Abend zu essen. Ohne Zutun würde sie gar nichts essen. Ihre Tabletten schon gar nicht.

Tatsächlich haben die Pflegerinnen damals immer wieder mal Freizeit für diese Essensaktion geopfert. Wie sie sich überhaupt mit viel Herzblut um die Bewohner gekümmert haben, obwohl es da durchaus die ein oder andere schwierige Persönlichkeit gab. Dazu kommt die körperliche Belastung: Das Drehen oder Aufheben der alten Menschen erfordert viel Kraft. Insgesamt also ein Job, der einem wirklich viel abverlangt: Physisch und psychisch. Seitdem ist Altenpfleger/-in für mich ein Beruf, der höchsten Respekt verdient.

 
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