Weiden in der Oberpfalz
13.04.2020 - 11:34 Uhr

Resilienzkonzept gegen Corona-Angst

Sich biegen lassen, aber dabei nicht brechen. Bambus hat diese Eigenschaften. Auch Menschen können ungeanhnte Kräfte entwickeln, sagt Persönlichkeitstrainerin Sigrid Stilp-Weiß. Sie will in der Coronakrise Mut machen.

Sigrid Stilp-Weiß Bild: Bühner
Sigrid Stilp-Weiß

Seit vielen Jahren hilft Sigrid Stilp-Weiß als Persönlichkeitstrainerin und Leiterin des Instituts für Entwicklungsberatung in Bechtsrieth und Weiden Menschen und Unternehmen in schwierigen Lebenssituationen. Wir wollten von ihr wissen, wie sich das menschliche Verhalten aktuell in der Coronakrise verändert. Eine große Rolle spielt für Stilp-Weiß dabei das Resilienzkonzept.

ONETZ: Was sind nach ihrer Meinung in der derzeitigen Corona-Situation die größten Risiken im menschlichen Verhalten?

Sigrid Stilp-Weiß: Das größte Risiko ist für mich, in eine Problemtrance zu fallen, nur noch das Negative zu sehen. Menschen sitzen dann wie das Kaninchen vor der Schlange, beziehungsweise vor dem Fernseher, und sind nicht mehr beweglich in ihren Gedanken. Sie sehen nicht mehr, was alles positiv ist, sehen nicht, wie sie selbst noch immer für sich und andere sorgen können. Sie sehen diese schrecklichen Bilder, sind gelähmt. Dadurch fehlt der nötige Abstand um selbstwirksam handeln zu können. Es werden Ängste angetriggert, die bisher gut verborgen vorhanden sind. Anstatt die Chance zu nutzen, diese jetzt aufzulösen, sie bewusst wahrzunehmen und zu bearbeiten, kommen diese an die Oberfläche. Menschen werden aggressiv und unausgeglichen. Angst und Ohnmacht ist sehr gefährlich für die eigene Gesundheit, es senkt die Immunabwehr. Menschen vergessen, dass sie selbst denken und reflektieren können und hören auf die, die am lautesten schimpfen, schließen sich dem Mainstream an.

ONETZ: Was empfehlen Sie den Menschen, die Angst haben vor einer unsichtbaren Gefahr und auch vor den zukünftigen Veränderungen?

Sigrid Stilp-Weiß: Nachdenken, was hat sich für mich verändert, was mache ich jetzt anders und was davon gefällt mir gut, was möchte ich beibehalten. Fokussierung auf das positive und dann mit etwas Abstand auf das schauen, was mir Angst macht. Es geht nicht darum, eine weltfremde, rosarote Brille aufzusetzen. Es geht darum, meine Energie aufzubauen, damit ich ausreichend Basis habe, um das weniger Angenehme anzuschauen, anzusprechen. Was kann ich aktiv verändern, was kann ich tun Dinge anzunehmen, die ich nicht verändern kann. Wichtig ist auch, in der Familie, mit dem Partner über die eigenen Ängste offen zu sprechen. Was wird sich verändern, was ist positiv daran? Beispielsweise kann ein Ehemann, der vorher täglich eine lange Autofahrt zur Arbeitsstelle hatte, jetzt nach „Corona“ eventuell auch mehrere Tage in der Woche Homeoffice ausüben, weil der Arbeitgeber bemerkt hat, das dies funktioniert. Mit dem Pandemie-Thema beschäftige ich mich maximal 30 Minuten täglich. Besser ist es dann gute Bücher lesen, gute Filme anschauen, viel lachen.

ONETZ: Was empfehlen Sie neben den bekannten Schutzmaßnahmen den Menschen, die täglich im Berufsleben mit vielen anderen zusammenkommen?

Sigrid Stilp-Weiß: Zunächst sollte man darüber nachdenken, was ich selbst tun kann um mich zu schützen, was ist für mich persönlich wichtig. Darüber sollte auch mit den Kollegen gesprochen werden. Auch für die Arbeitssituation gilt: Nicht in Angst versinken, Angst schadet mir und meinem Immunsystem. Resiliente Beziehungen im Arbeitsleben sind offen in der Haltung, wertschätzen die eigenen Stärken und die des anderen und agieren flexibel und ressourcenorientiert, „Tue mehr von dem was andere glücklich macht und achte dabei auf dich!“.

ONETZ: Wie schützt man sich vor Einsamkeit, Resignation und Antriebsarmut wegen des Zwangs zur Passivität?

Sigrid Stilp-Weiß: Einen Tagesplan machen, eine Struktur schaffen: für jeden Tag Ziele setzen, telefonieren, skypen, den Spannungsbogen für den Tag planen und organisieren. Also auch Mahlzeiten und Entspannungszeiten planen, überlegen, was wollte ich schon lange mal machen wollte. Am Abend auf das Tageswerk schauen, sich daran freuen, darüber stolz sein. Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung planen und gut dosieren. Aufgaben schriftlich fixieren und durchstreichen, Bewegung einplanen.

ONETZ: Was empfehlen Sie Familien, die zum Beispiel in einer Etagenwohnung leben, zur Vermeidung von Konflikten?

Sigrid Stilp-Weiß: Jedem Familienmitglied Rückzug gewähren, Rückzugsmöglichkeiten besprechen. Das geht auch in der kleinsten Wohnung. Pausen voneinander einplanen und zulassen, eigenen Tätigkeiten nachgehen.Einen Tagesplan gemeinsam besprechen und für alle sichtbar aufschreiben. Familienregeln, wenn es diese nicht schon gibt, erstellen: Das geht auch gemeinsam mit kleinen Kindern, die diese dann halt nicht aufschreiben, sondern malen. Vielleicht auch darüber sprechen, was man nach „Corona“ machen wird, was man von dem was man jetzt positiv anders erlebt übernehmen möchte. Wichtig ist Gefühle und Bedürfnisse offen ansprechen.

Info:

Resilienz: Dem Stress standhalten

Persönlichkeitstrainerin Sigrid Stilp-Weiß beschreibt den Begriff Resilienz wie folgt:

Der Begriff Resilienz stammt aus dem angloamerikanischen Sprachraum (engl. Resilience = Elastizität, Spannkraft, lateinisch resilire = zurückspringen, abprallen) und kommt ursprünglich, wie der Begriff „Stress“, aus der Physik. Es bezeichnet die Eigenschaft von Material, nach Belastung wieder in den Ausgangspunkt zurückzukehren.

Der Bambus ist dafür symbolisch. Er hat starke Wurzeln, er geht mit dem Sturm mit und stellt sich in der eigenen Geschwindigkeit wieder auf. Der Bambus steht für eine gelungene Strategie im Umgang mit stürmischen Zeiten: sich biegen können und im Wind wiegen, anstatt zu brechen, also Flexibilität und Beweglichkeit zeigen, zugleich tief verwurzelt sein, stabil und standhaft bleiben.

Widerstandsfähige Menschen und Systeme verfügen über innere und äußere Faktoren, die davor schützen, zusammenzubrechen. Innere Schutzfaktoren im Menschen sind Charaktermerkmale, Einstellungen, die Art und Weise, wie der Mensch an Problemlösungen herangeht. Äußere Schutzfaktoren sind durch Faktoren im Umfeld definiert. Sie wirken unterstützend, zum Beispiel stabile Beziehungen zu einer Bezugsperson, Freunde, positive Rollenvorbilder. Diese Ressourcen werden im Resilienztraining unterstützt und geschult. (sbü)

 
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