Darf man das hier und heute spielen? Diese Frage taucht regelmäßig in der Klassik-Welt auf, nicht erst seit Daniel Barenboim es wagte, den Antisemiten Richard Wagner in Israel zu dirigieren oder Anna Netrebko nicht mehr gern als Primadonna in Opernhäusern gebucht wird, weil ihr der Ruf als Putin-Freundin anhaftet.
Bevor ähnliche Diskussionen durch Pausengespräche in der Max-Reger-Halle mäandern, stellte Pianist Martin Helmchen vor Beginn des Weidener Meisterkonzerts am Sonntag eines klar: Ja, ihm und seiner Frau, der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker, ist durchaus bewusst, dass ein rein russisches Konzertprogramm Fragen aufwerfen könne. Die Position der beiden Künstler ist klar: Hier das Russland Putins als Täter, dort die überfallene Ukraine. Aber Igor Strawinsky, Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew können nichts dafür. Und was wäre die Welt ohne die Werke dieser drei Riesen der russischen Klassik?
Die Antwort ist schon nach wenigen Minuten für alle Zuhörer unzweifelhaft: Sie wäre um ganz vieles ärmer. Denn das Russland dieser Komponisten ist nicht nur melancholisch und abgründig, sondern auch mal heiter, wie bei Strawinskys „Suite italienne“. Martin Helmchens Finger fegen dabei über die Tasten, dass es den Eindruck macht, der Mann ist mit zwanzig statt zehn Fingern gesegnet. Da kann nur jemand wie Marie-Elisabeth Hecker mithalten, die sich nicht als Streicherin alter Schule versteht, sondern ihr Instrument streichelt, zupft, klopft, verzerrt. In dieser Form sind Cellosuiten ganz neue Hörerlebnisse. Stehender Applaus nach fulminanten zwei Stunden dürfte dafür als Beleg gelten.
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