Von RA Dr. Burkhard Schulze
Die Mitteilung des Todes einer Person bedeutet für Angehörige und nahestehende Personen immer Trauer und Leid, oft über lange Zeit. Geht dieser Tod auf ein schuldhaftes Verhalten Dritter zurück, sei es durch ein Verbrechen oder auch nur durch Fahrlässigkeit im Straßenverkehr, hatten die Angehörigen Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld, aber nur, wenn dieses Leid pathologisch fassbar war und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausging, denen Betroffene bei Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Damit wollte die Rechtsprechung den Schmerzensgeldanspruch drittbetroffener Personen einschränken und die „normale Trauer“ sollte nicht entschädigungspflichtig sein. Durch eine neu eingefügte Vorschrift in § 844 Abs. 3 BGB im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber ein Hinterbliebenengeld eingesetzt als angemessene Entschädigung in Geld für Ehegatte, Lebenspartner, Elternteil oder auch Lebensgefährten des Getöteten. Dies aber nur für den Fall der Mittelung einer Tötung. Die Mitteilung einer sonstigen schweren Rechtsgutverletzung, insbesondere zum Beispiel schweren Körperverletzung wurde von dieser Vorschrift nicht erfasst. Nunmehr hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aufsehenerregenden Urteil diesen Rechtsgedanken erweitert auf die Fälle sogenannte „Schockschäden“, wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsguts beim Dritten verursacht wurden. Es muss nur noch eine psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar sein, ohne dass diese Störung über die gesundheitliche Beeinträchtigung hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind (BGH Urteil vom 06.12.2022 – VI ZR 168/21).
Im entschiedenen Fall erhielt der Vater Schmerzensgeld, nachdem er erfahren hatte, dass seine Tochter im Alter von 5/6 Jahren sexuell missbraucht worden war, worauf er eine tiefgreifende depressive Verstimmung erlitten hatte und sich in psychologische Behandlung begab. Mit dieser Entscheidung hat der BGH expressis verbis seine Rechtsprechung aufgegeben, die bislang für „Schockschäden“ galt. Ein Schmerzensgeldanspruch wird danach – so der BGH – im Ergebnis wohl nur noch dann verneint werden können, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig war und die psychische Reaktion hierauf im konkreten Fall schlechterdings nicht mehr verständlich ist, weil sie in grobem Missverhältnis zum Anlass steht.
Für die Praxis bedeutet dies eine Ausweitung der zum Schadenersatz berechtigen Personen, die von der Nachricht der Tötung einer nahestehenden Person oder auch deren schweren körperlichen Verletzung, zum Beispiel durch Missbrauch, aber auch schwere Verletzungen im Straßenverkehr, seelisch betroffen sind. Die bloße Behauptung, einen „Schockschaden“ durch die Nachricht erlitten zu haben, wird auch in Zukunft nicht ausreichen, sondern ein Arztattest über eine „pathologisch fassbare Trauer“ muss vorliegen.
Für den Verursacher kann dies bedeuten, dass nicht nur der unmittelbar Geschädigte selbst Schadenersatz geltend macht, sondern auch Eltern, Geschwister und Großeltern, je nach der Schwere des Ereignisses. Instanzgerichte sprechen hier zwischen 3000 Euro und 12 000 Euro als Schadenersatz zu.
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