Weil das Mathe-Abitur im Vergleich zu den vergangenen Jahren viel zu schwer gewesen sein soll, fordern bayerische Schüler in einer Petition mit inzwischen 50 000 Unterstützern eine Senkung des Notenschlüssels. Thomas Kreuzer, Lehrer für Physik und Mathe am Weidener Augustinus-Gymnasium, hat zur aktuellen Diskussion eine klare Meinung: "Es reden hier viele Leute mit, die eigentlich keine Ahnung haben. Ja, die Prüfung war diesmal etwas schwerer - aber im normalen Schwankungsbereich", gibt sich der Pädagoge überzeugt. Das Abitur von 2018 sei mit dem diesjährigen "überhaupt nicht vergleichbar", da vergangenes Jahr wegen eines Einbruchs in ein Gymnasium Ersatzaufgaben zum Einsatz kamen, meint er. Weil diese deutlich leichter waren, erscheine nun alles schwerer.
Auch die Bedeutung einer Petition solle man bitte nicht überschätzen, ergänzt der stellvertretende Schulleiter: "Wissen Sie wie viele tausend Leute täglich Klicks auf Facebook machen?" Online zu mobilisieren, sei "heutzutage keine Kunst mehr", sagt Kreuzer. Dennoch will der Mathematiker einer Entscheidung des Kultusministeriums nicht vorgreifen. Er findet es richtig, dass nun mit Bedacht geprüft wird. Ruhe empfiehlt er auch den Schülern: "Es gibt hier viel Aufregung, die unnötig ist." Die Abiturienten sollten sich "lieber auf die noch bevorstehenden Prüfungen konzentrieren".
Die Chefin des Kepler-Gymnasiums, Sigrid Bloch, findet ebenfalls, dass das Internet einen "Wandel in Zeitgeist und Gesellschaft" ausgelöst habe. Man müsse wissen, dass es "viel mehr Unterschriften gibt als Schüler" und auch zahlreiche Angehörige mit unterzeichnen würden. Zwar müsse die "Qualität des Abiturs erhalten bleiben", aber bei einer Anpassung des Notenschlüssels würde sie sich für "die Schüler freuen, die davon profitierten". Die Mathe-Lehrer ihrer Schule meinten laut Sigrid Bloch jedoch, der "Unterschied war nicht eklatant". Laut Reinhard Hauer, Schulleiter des Elly-Heuss-Gymnasiums, waren die Mathe-Prüfungen heuer zwar "knackiger". Ob aber eine Anpassung des Notenschlüssels notwendig sei, sollten Experten im Kultusministerium entscheiden. Man dürfe nichts überstürzen. Peter Schobert, Chef des Gymnasiums Eschenbach, betont dagegen, dass die "Schere im Vergleich zu 2018 weit auseinander gegangen" sei. Es dürfe nicht sein, dass es "im einem Jahr leichter, im anderen deutlich schwerer ist", zeigt er Verständnis. Eine "Panik-Welle" habe es aber auch in Eschenbach nicht gegeben.
"Einfach ungerecht"
Weil die Schüler sich noch mitten in der Prüfungsphase befinden, wollen sie sich nur anonym äußern. Einige Stimmen:
„Ich fand das Mathe-Abi richtig schlimm. Es gab Aufgaben, die waren für durchschnittliche Schüler nicht zu machen. Grundsätzlich finde ich es lächerlich, dass der Schwierigkeitsgrad vom Jahrgang abhängt. Das Abitur sollte immer gleich schwer sein.“
„Im Vergleich zu letztem Jahr waren die Aufgaben viel schwerer – das ist einfach ungerecht“
„Der Tumult um einzelne unlösbare Aufgabenteile ist schon etwas überzogen. Alle Aufgaben waren machbar, nur standen diese eben in keinem Verhältnis zu vorherigen Jahren. Das Abi sollte aber kein Glücksspiel sein. Auch war dieses Jahr wegen komplexer Aufgabenstellungen kaum Zeit, seine Rechnungen ein zweites Mal zu prüfen.“
„Viele Aufgaben waren sehr gemein formuliert, da man oft nicht wusste, was verlangt wird und Widersprüche entstanden.“ (tgf)
Ein Herz fürs Volksfest
Stochastik (Aufgabengruppe 2)
1. Jeder sechste Besucher eines Volksfests trägt ein Lebkuchenherz um den
Hals. Während der Dauer des Volksfests wird 25-mal ein Besucher zufällig
ausgewählt. Die Zufallsgröße X beschreibt die Anzahl der ausgewählten
Besucher, die ein Lebkuchenherz tragen.
a) Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass unter den ausgewählten
Besuchern höchstens ein Besucher ein Lebkuchenherz trägt.
b) Beschreiben Sie im Sachzusammenhang ein Ereignis, dessen
Wahrscheinlichkeit mit dem Term
8
∑ B (25; 1/6, i)
i=5
berechnet werden kann.
c) Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Wert der Zufallsgröße
X höchstens um eine Standardabweichung vom Erwartungswert
der Zufallsgröße abweicht.
2 Bei einer Losbude wird damit geworben, dass jedes Los gewinnt. Die Lose
und die zugehörigen Sachpreise können drei Kategorien zugeordnet werden,
die mit „Donau“, „Main“ und „Lech“ bezeichnet werden. Im Lostopf befinden
sich viermal so viele Lose der Kategorie „Main“ wie Lose der Kategorie
„Donau“. Ein Los kostet 1 Euro. Die Inhaberin der Losbude bezahlt im
Einkauf für einen Sachpreis in der Kategorie „Donau“ 8 Euro, in der Kategorie
„Main“ 2 Euro und in der Kategorie „Lech“ 20 Cent. Ermitteln Sie, wie
groß der Anteil der Lose der Kategorie „Donau“ sein muss, wenn die Inhaberin
im Mittel einen Gewinn von 35 Cent pro Los erzielen will.
3 Die Inhaberin der Losbude beschäftigt einen Angestellten, der Besucher des
Volksfests anspricht, um diese zum Kauf von Losen zu animieren. Sie ist mit
der Erfolgsquote des Angestellten unzufrieden.
a) Die Inhaberin möchte dem Angestellten das Gehalt kürzen, wenn weniger
als 15 % der angesprochenen Besucher Lose kaufen. Die Entscheidung
über die Gehaltskürzung soll mithilfe eines Signifikanztests auf der
Grundlage von 100 angesprochenen Besuchern getroffen werden. Dabei
soll möglichst vermieden werden, dem Angestellten das Gehalt zu Unrecht
zu kürzen. Geben Sie die entsprechende Nullhypothese an und ermitteln
Sie die zugehörige Entscheidungsregel auf dem Signifikanzniveau
von 10 %.
b) Der Angestellte konnte bei der Durchführung des Tests zehn von 100
erwachsenen Besuchern dazu animieren, Lose zu kaufen. Er behauptet,
dass er zumindest bei Personen mit Kind eine Erfolgsquote größer als
10 % habe. Unter den 100 angesprochenen Besuchern befanden sich 40
Personen mit Kind. Von den Personen ohne Kind zogen 54 kein Los.
Überprüfen Sie, ob das Ergebnis der Stichprobe die Behauptung des
Angestellten stützt.
Paradoxe Diskussion
Ein Verdacht macht die Runde: Das Mathe-Abitur sei heuer viel schwerer gewesen als in den Vorjahren. Der Abi-Jahrgang 2019 fühlt sich krass benachteiligt und begehrt auf. Diesen Verdacht öffentlich zu machen und nachprüfen zu lassen, ist gerechtfertigt und legitim – immerhin geht es beim Abi-Schnitt um viel. Einzelne Nachkommastellen entscheiden hier maßgeblich über Uni-Zulassung und Berufswünsche.
Eines ist jedoch auch klar: Soziale Plattformen erleichtern die Möglichkeiten der Nutzer, sich öffentlichkeitswirksam Gehör zu verschaffen, enorm. Früher waren Schüler auch schon verärgert – nur war die Reichweite ihrer Kritik ohne Internet beschränkt.
Paradox ist die Inkonsequenz in der bildungspolitischen Debatte: Wurde zuletzt ein steter Qualitätsverfall des Abiturs beklagt, findet nun genau das Gegenteil statt – Beschwerden über ein zu hohes Niveau. Die Vorwürfe müssen geprüft werden. Sollte herauskommen, dass sie ungerechtfertigt sind, sollten die Verantwortlichen zu ihren Anspruchsforderungen der vergangenen Jahre stehen und die Qualität des Abiturs verteidigen.
Tobias Gräf