Stau bei Schwimmkursen: Hunderte Eltern und Kinder auf den Wartelisten

Weiden in der Oberpfalz
06.07.2021 - 23:03 Uhr
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Viele Eltern in Weiden und im Kreis Neustadt/WN versuchen verzweifelt, für ihre Kinder einen Platz im Schwimmkurs zu ergattern. Seit zwei Jahren wachsen die Wartelisten. Experten fürchten gefährliche Folgen.

Kinder, die jetzt im richtigen Alter für einen Schwimmkurs wären, kommen in Weiden und im Landkreis Neustadt/WN seit zwei Jahren nur selten zum Zug. Es fehlt an ausreichend Kapazitäten in den Bädern – oder diese sind gleich ganz geschlossen.

„Mein Telefon läutet ununterbrochen, von 8 bis 21“, sagt Angelika Geiser. Sie bietet seit zehn Jahren in der Weidener Thermenwelt Schwimmkurse an. Die Rettungsschwimmerin wird von einer Welle von Anfragen überrollt. „Ich bin ausgebucht bis Oktober / November.“ 16 Schwimmanfänger stünden auf ihrer Warteliste, einige seit 2020. Kurse könne sie aber erst wieder ab dem 15. Juli durchführen. Ihre Warteliste abzuarbeiten, werde sich bis 2022 ziehen – wenn die Pandemie nicht einen Strich durch ihre Rechnung macht.

So wie der Rettungsschwimmerin geht es vielen, die sich in der Schwimmausbildung engagieren. Bei den Schwimmanfängern hat sich ein Rückstau gebildet, der nicht mehr zeitnah abzuarbeiten ist. „Immer mehr Kinder und Erwachsene können nicht schwimmen“, weiß Geiser. Viele Kinder hätten zudem Angst vor Wasser. Sie appelliert: „Eltern sollten mehr mit ihren Kindern schwimmen gehen. Wasser kann ein Freund sein, aber auch gefährlich. Man kann schon in einem kleinen Bach ertrinken.“

Schwimmverein Weiden

Noch unklar ist die Lage im Schwimmverein in Weiden, der normalerweise zwischen Mai und September im Schätzlerbad und in der Realschule ausbildet. Am Donnerstag werde man erörtern, was ab wann möglich sein könnte, erklärt Vorsitzende Ilona Forster. Derzeit finden keine Kurse statt. „Ins Seniorenbecken im Schätzlerbad dürfen 25 Leute.“ Gruppenkurse seien so nicht möglich. Für Einzelkurse könnten die Bäder nicht ganze Bahnen sperren, und viele Eltern könnten sich Einzelunterricht nicht leisten. „Die Nachfrage ist gigantisch“, so Forster. Ob es vor September Kurse geben könne, stehe nicht fest. Und danach beginne der Umbau im Schätzlerbad.

DLRG-Ortsverband Weiden

In Weiden sei die Lage durch den Umbau des Realschulbades verschärft, sagt Andrea Glaubitz, Vorsitzende des DLRG-Ortsverbands, der hauptsächlich dort trainiert und schult. „Im Endeffekt hatten wir jetzt drei Jahre lang Kinder, die keine Chance hatten, schwimmen zu lernen. Wir könnten 300 Leute oder mehr auf der Warteliste stehen haben.“ Sie betont: „Es liegt nicht daran, dass wir nicht wollen.“ Es gebe vielmehr zu wenig „Bad-Zeiten“. Statt zwei Mal pro Woche könne die DLRG ein Mal für eine Stunde ins Bad. Ein Schwimmkurs würde 12 Wochen dauern und mitten in der Urlaubszeit enden. Kurse würden sich zudem wegen der Hygieneauflagen (Lüften, begrenzte Zahl Schwimmer) nicht rentieren. Man müsse abwägen. „Entweder Training mit 20 Kindern im großen Becken oder ins Nichtschwimmerbecken mit 6 Kindern und 2 Betreuern.“ Die 40-Jährige äußert sich trotzdem begeistert über das sanierte Bad und betont: „Wir sind froh, dass die Bäder überhaupt offen haben. Ein bissl was ist besser als gar nichts.“ Sie hoffe, dass die DLRG im September mit dem Schwimmkursbetrieb starten kann.

Kreiswasserwacht Weiden und Neustadt

Fehlende Bahnen-Zeiten macht auch Max-Ferdinand Kreuzer, Vorsitzender der Kreiswasserwacht Weiden und Neustadt/WN, als Hauptproblem aus. Seit fast zwei Jahren könne die Wasserwacht nicht ausbilden. Das sei inzwischen auch ein Problem für die Ausbilder,, denn die Lehrberechtigungen müssten alle zwei Jahre erneuert werden. „2020 hätte die Hälfte der Ausbilder rezertifiziert werden müssen, 2021 die andere Hälfte“, erklärt er. Seit Kurzem gebe es Online-Schulungen, aber nach wie vor keine Praxis. Wenn die Bäder öffneten, müssten deshalb zuerst die Ausbilder rein. „Wir werden versuchen, das Kursangebot zu vergrößern“, so Kreuzer. Es werde aber zwei oder drei Jahre dauern, den aktuellen Stau abzuarbeiten.

Hallenbäder Neustadt, Vohenstrauß, Eschenbach

„Keine Kurse, kein Schulschwimmen“, fasst Günter Staratschek, Schwimmmeister im Hallenbad Neustadt zusammen. Seit eineinhalb Jahren habe er keinen Kurs halten können, die Warteliste sei dreistellig. „Die Leute aus 2020 werde ich wahrscheinlich erst im Juli 2022 abgearbeitet haben. Wer sich jetzt meldet, kommt frühestens im Herbst 2022 dran.“ Normalerweise habe das Bad zu dieser Jahreszeit für Schulen und Kurse geöffnet. „Ich würde gerne, darf aber nicht.“ Gleiches gelte für die ebenfalls vom Landkreis betriebenen Bäder in Vohenstrauß und Eschenbach.

Laut Landratsamtssprecherin Claudia Prößl wurden die Hallenbäder pandemiebedingt geschlossen. Zwar wären Schwimmkurse unter Auflagen wieder möglich. „Wir gehen aber davon aus, dass in den Sommermonaten zu besucherschwachen Uhrzeiten Schwimmkurse in den Freibädern abgehalten werden können.“ Dies sei aus infektiologischer Sicht den Hallenbädern vorzuziehen. Die Zeit der Schließung werde für Reparaturen genutzt. Staratschek befürchtet mehr Badeunfälle mit Kindern. Auch seien Eltern ohne professionell durchgeführte Schwimmkurse nicht über Gefahren informiert und würden diese schnell unterschätzten.

Freibad Pleystein

Und dann kommt auf die Frage, ob Schwimmkurse angeboten werden, doch noch ein Ja: Schwimmmeisterin Birgit Schult bildet im Freibad Pleystein aus. Sie weiß, dass viele Eltern schon diverse Anlaufstellen durchprobiert haben. Auf ihrer Warteliste stehen 15 Anfänger.

In den landkreiseigenen Hallenbädern scheint Hoffnung in Sicht. „Aus heutiger Sicht ist vorgesehen, die Bäder mit Schuljahresbeginn im September zu öffnen“, so Landratsamtssprecherin Prößl. Laut Landrat Andreas Meier arbeitet der Landkreis mit der Wasserwacht und weiteren Anbietern an einem Konzept für möglichst viele Kurse in den Bädern. „Hierfür kann es nötig sein, zum Beispiel an einem bestimmten Tag die Schwimmhallen komplett für den regulären Badebetrieb zu sperren und rein für die Schwimmkurse zu reservieren. Wenn wir somit Schwimmunfälle und vielleicht Schlimmeres verhindern können, hoffe ich hier auf Verständnis der sonstigen Nutzer“, so Meier.

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Service:

So können Eltern ihre Kinder ans Wasser gewöhnen

Mit spielerischen Übungen in geringer Wassertiefe können Eltern Kinder ans Wasser gewöhnen. Eltern sollten die Übungen mitmachen.

  • Atmen gegen Widerstand: 1. Von oben mit dem Mund auf das Wasser pusten. 2. Nur mit dem Mund unter Wasser Blubberblasen machen. 3. Auch mit der Nase unter Wasser und damit blubbern, Augen bleiben über Wasser geöffnet.
  • Bewegung und Wasserwiderstand: An den Händen festhalten. 1. Im Kreis drehen, Richtung wechseln. 2. Gemeinsam hochspringen. 3. Kurz gemeinsam unter- und wieder auftauchen. 4. Einzelübungen im Wechsel durchführen. Dabei immer an den Händen festhalten.
  • Kopf im Wasser: Luft anhalten, Backen aufpusten, Kopf ins Wasser, zählen bis zu vereinbarter Zahl.
  • Auftrieb spüren: 1. Tief Luft holen, mit dem Gesicht nach oben ganz gerade auf die Oberfläche legen, mit Pool-Nudel oder Unterstützung unter dem unteren Rücken. 2. Übung ohne Unterstützung. 3. Übung mit dem Gesicht nach unten.
  • Abtauchen: 1. Fußwärts abtauchen, Ring hochholen. 2. Kopfwärts abtauchen, Ring hochholen.
  • Weitere Übungen: Video-Tutorials unter https://www.wasserwacht.bayern/, "Bayern schwimmt 2020"
Kommentar:

Ein Leben ohne schwimmen zu können? Unvorstellbar!

Ein Leben ohne schwimmen zu können: für mich unvorstellbar. Meine Eltern waren mit mir beim Babyschwimmen. Als Schulanfängerin bin ich in einen Schwimmverein eingetreten und habe fünf Jahre lang regelmäßig trainiert. Mit 19 machte ich den ersten Tauchschein. Mehr als 400 Tauchgänge durfte ich seitdem erleben. Am anderen Ende der Welt verstand ich, wie wenig selbstverständlich es ist, schwimmen zu können: In Australien ertrinken jedes Jahr viele Touristen aus Ländern, in denen Schwimmunterricht weder in der Schule, noch privat eine Rolle spielt. Sie schätzen ihre Fähigkeiten falsch ein, unterschätzen Kraft und Tücke des Wassers und geraten schneller in Panik als geübte Schwimmer. Der seit Jahren anhaltende Trend, dass auch in Deutschland immer weniger Kinder schwimmen lernen und Panik vorm Wasser haben, ist besorgniserregend. Neben dringend notwendigen Konzepten zum Ausgleich des enormen Staus bei den Schwimmkursen braucht es noch mehr: Eltern, die mit ihren Kindern schwimmen üben, Schwimmunterricht in Schulen und Politiker, denen die Schwimmfähigkeit der Kinder am Herzen liegt und die verhindern, dass gerade in ländlichen Regionen immer mehr Bäder schließen.

Sonja Kaute

 
 

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