Charlie Chaplin war schon hier. Auch James Bond und Ben Hur. Inzwischen ist es 111 Jahre her, seit die Bilder in der „Weidener Bierhalle“ in der Türlgasse laufen lernten. Später hieß die Kneipe "Hennerloch". Es durfte schon tüchtig gelacht und geweint werden, wie die wohl erste Weidener Kino-Programmanzeige aus dem Jahr 1911 versprach. Vom 27. Februar bis 1. März 1911 begab sich nämlich „Heideprim auf den Liebespfade" und das Historienwerk „Beatrix von Tenda“ vermittelte dem Publikum Dramatik pur. Drei Jahre vor Kriegsbeginn war die Welt in Weiden noch in Ordnung, und die Kurzfilme waren musikalisch unterlegt vom Harmonium des Klavierlehrers Josef.
Franz Merkl, der Betreiber jener Bierhalle, war in voller Fahrt auf den Siegeszug der bewegten Bilder aufgesprungen. Denn mit Kino konnte man Geld verdienen. Das wusste der findige Wirt und taufte kurzerhand seine Kegelbahn in das „Union-Theater Weiden“ um. Und immer, wenn ein neues Programm anstand, kamen der Pfarrer und der Bürgermeister zur Zensur vorbei. War eine Schauspielerin anstößig bekleidet, der Rock also zu kurz geraten, musste der Merkl mit der Schere ran. Waren die Tugendwächter fort, wurde das herausgeschnittene Zelluloid mit Holzessig wieder dazwischen geklebt. Übrigens erfolgte die amtliche Anmeldung von Merkls „Kinematographen“ bei der Stadt erst am 24. Oktober 1911.
Ein Metzger als Film-Pionier
Es gab damals drei Kategorien an Plätzen. Wer in Erika Platzers (Seniorchefin "Neue Welt Kinocenter") Archiv blättert, kann nachlesen, dass die Ränge zwischen 20 und 40 Pfennig kosteten. Das Vergnügen war also vom Preis her erschwinglich. Die Dutzendkarte gab es schon für drei Mark. Kinder und Militär zahlten die Hälfte. Das Programm dauerte zwei Stunden und wurde von „6 Uhr ab ununterbrochen bis abends 10 Uhr“ gespielt. Sonntags begannen die Vorstellungen erst um 11 Uhr. Jeden Mittwoch- und Samstagnachmittag gab es Kindervorstellungen. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte Merkl sein „Union-Theater“ wieder dicht.
Merkl war nicht der erste Kinobetreiber in Weiden. Als eigentlichen Pionier muss man den Metzger Krausmann nennen. Der hatte schon ein Jahr vor seinem Konkurrenten die blendende Idee, die Kegelbahn im Gasthaus „Einhenkel“, das sich in der Bahnhofstraße neben dem früheren BayWa-Gebäude befand, als Flimmersaal zu nutzen. Für ihn war das wohl ein einträgliches Geschäft. Denn jeder wollte die neue Attraktion erleben. Für den Ton sorgte im „Einhenkel“ ein Stehgeiger.
Kein Ton, aber Geiger und Sänger
Wie der Filmemacher Michael Schaudig für die "Oberpfälzer Heimat" recherchierte, gab es in Weiden allerdings schon 1899 im kleinen Ankersaal Kintopp, was allerdings eher der Wirtshauskultur mit Varietéprogramm zuzuordnen war. Das war knapp vier Jahre, nachdem die französischen Brüder Lumière den "Cinematographen" erfunden hatten. Hingegen hätten die Unternehmer Dölle und Leilich im Jahr 1900 im transportablen Kinozelt schon recht akzeptable Zelluloid-Magie versprüht, schreibt Schaudig weiter. Im damaligen Reisegepäck: Ein Orchestrion, das eine 45-Mann-Kapelle ersetzte. So jedenfalls die Werbung.
1911 verlegte Krausmann sein Kino vom „Einhenkel“ in die von ihm neugebaute „Filmbühne“ (heute Schuhhaus Deichmann) in der Max-Reger-Straße. Aber erst nachdem die jüdischen Geschwister Spitz 1917 die Krausmann-Immobilie gekauft hatten, besaß Weiden sein erstes echtes Kino. Das war vor nunmehr 105 Jahren. Den Tonfilm ersetzten aber auch hier immer noch Geige und Orgel. Während der Pausen traten Künstler und Sänger auf. 1933 wanderte die Familie Spitz mit der Machtergreifung der Nazis nach Palästina aus.
1947 kehrte Justin Spitz zurück nach Deutschland und kümmerte sich erneut um Weidens ältestes Kino. Hier fanden in den letzten Jahren seines Bestehens auch lukrative Verkaufsveranstaltungen für Haushaltsartikel mit anschließenden Filmvorführungen statt. Das entsprach späteren Kaffeefahrten, allerdings direkt vor der Haustür. Das Spitz-Kino schloss 1963. Es war einfach nicht mehr zeitgemäß.
Das "Anker" in US-Hand
Eine echte Weidener Kino-Dynastie begründete hingegen Josef Koch, der seit 1910 in Freising ein Kino besaß. 1919 kam er nach Weiden und stieg mit einem Partner, der kurz darauf mit der Kinokasse durchbrannte und Koch zum Alleineigentümer machte, in die „Anker Lichtspiele“ ein. Es handelte sich hierbei um das ehemalige Theater eines Hotelkomplexes. Als 1929 mit „Atlantis“ und „Die drei von der Tankstelle“ der Tonfilm auch in Weiden Einzug hielt, wurden die Dienste des Stehgeigers „Papa Heidenblut“ nicht mehr benötigt. Die Weidener konnten ihre Stars jetzt endlich sprechen und singen hören. Koch starb bereits 1932 und seine Ehefrau Anny beerbte ihn. Das Kino betrieben nach ihr Tochter Anni Platzer und später das Ehepaar Erika und Helmut Platzer.
Seinen wahren Siegeszug erlebte das Kino nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem Volk dürstete nach Unterhaltung. Fernsehen gab es noch keines. Nach dem Krieg wurde das „Anker“ mit seinen 700 Plätzen allerdings von den amerikanischen Besatzern in Besitz genommen. Das Kino war für die Weidener tabu. Bis 1948 galt hier für alle Bürger: „Off limits".
August Kick, ein alter Hase in der Kinobranche, kam aus Berlin, wo er vier Kinos mit insgesamt 3000 Plätzen besaß, die alle im Bombenhagel versanken. 1949 eröffnete er die „Neue-Welt-Lichtspiele“ in der Fichtestraße und damit das erste moderne Nachkriegskino in der Stadt. Es folgten weitere, für die damalige Zeit repräsentative Bauwerke, die das Stadtbild bereicherten. 1952 errichtete die Familie Steger das „Capitol“, das später geteilt und modernisiert wurde, 2016 aber schloss. 1955 baute Josef Reil gleich neben dem „Neue Welt Kino" das „Scala“. Auch das gibt es längst nicht mehr.
Plötzlich sieben Kinos in Weiden
In der Ringstraße baute der ehemalige Kohlenhändler Georg Steger 1958 das „Ring Theater“, das 2017 schloss. Josef Reil errichtete 1959 in der Frauenrichter Straße das „Roxy“. Pächter waren die Familien Kick und Platzer. Das "Roxy" wurde bereits 1962 anderen Zwecken zugeführt. Die Zahl der Weidener Lichtspielhäuser hatte sich Anfang der Sechziger in der Spitze auf sieben erhöht.
In keinem der ehemaligen Kinosäle, die die Anfangszeit der Weidener Kinogeschichte miterlebt haben, werden heute noch Filme gezeigt. 1981 wurde das „Anker“ abgerissen. Nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern als ein Opfer der Stadtplanung.
Die Kinobetreiberfamilie Platzer richtete aber den Blick nach vorn. 1978 eröffnete das „Bambi“ in der Fichtestraße. 1981 folgte das „Anker“ im Kleinformat. Alles nun unter dem Dach des "Neue Welt Kinocenters", das als einziges Weidener Kino überlebt hat. Trotz aller Corona-Einschränkungen sehen sich die beiden Geschäftsführerinnen Evelyn und Lisa Nadler heute in der Pflicht, das Erbe ihres Ur- und Ur-Ur-Großvaters Josef Koch in nunmehr vierter und fünfter Generation liebevoll und auch im Internetzeitalter mit viel Engagement und Weitsicht weiterzuführen.
Das Kino in Weiden
- 1899: Erste Filmvorführungen im Ankersaal
- 1910: Kegelbahn des Gasthauses "Einhenkel" als Kinosaal, später Umzug in die Filmbühne, dann Spitz-Kino
- 1911: Erstes Kinoprogramm im Union-Theater in der Bierhalle
- 1920er: Anker-Lichtspiele, nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz von US-Amerikanern
- Nach 1945: Neue Welt Lichtspiele, Capitol und Ring Theater entstehen
- 1981: Abriss des "Anker"
- 2016/17: Capitol und Ring Theater schließen
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