Weiden in der Oberpfalz
23.10.2019 - 15:05 Uhr

Stets in Sichtweite des Zufalls

"Stadtschreiber" Friedrich Brandl aus Amberg liest aus seinem neuen Buch beim Kunstverein in Weiden. Ob WAA oder Würstl mit Kraut, Brandl gibt vielfältige Einblicke in verschiedene Episoden seines Lebens. Manche mit Augenzwinkern.

Der Amberger „Stadtschreiber“ Friedrich Brandl liest aus seinem neuen Prosaband „Immer in Sichtweite“ beim Kulturverein Weiden. Bild: rbr
Der Amberger „Stadtschreiber“ Friedrich Brandl liest aus seinem neuen Prosaband „Immer in Sichtweite“ beim Kulturverein Weiden.

In Frankfurt lief gerade die Buchmesse, beim Kunstverein hat zur gleichen Zeit der Amberger „Stadtschreiber“ Friedrich Brandl auf seiner Lesereise mit der Neuerscheinung „Immer in Sichtweite“ Station gemacht. Er las aus dem dritten Band seiner teils ernsten, nachdenklichen, schockierenden, aber auch heiteren Lebenserinnerungen der Zeitspanne von 1968 bis 2018.

Im jährlichen Bücherherbst fallen bunte Bände aus den Druckereien. Autoren und Verleger wollen ernten. Im Lebensherbst beginnen Autoren ihre Fürchte zu lesen. Sie sammeln Autobiografisches beziehungsweise Memoiren. Gewöhnlich ordnen sie die dabei gefundenen Erkenntnisse chronologisch an. Weil Brandl aber nicht sein Privatleben vor der Öffentlichkeit ausschütten will und das Leben keine abzählbare Ereignisordnung anbietet, wählte er in seinen 45 Geschichten mit dem Untertitel "Abecedarium" die alphabetische Reihung, angeregt durch dieses Format seines Freundes Bernhard Setzwein über Jean Paul. Da die deutsche Buchstabenanzahl aber 26 beträgt, musste er manchen Buchstaben doppelt belegen.

Wolfgang Herzer vom Kulturverein kündigte Brandl als „Stimme aus der Oberpfalz mit Leidenschaft“ an und stellte die Lesung aus dem Memorierfundus unter das Generalthema „Das menschliche Maß“, das der Schriftsteller durch „Erdungsarbeit“ anlege, indem er dem Alltag Würde verleiht.

Brandl verdeutlichte es durch drei Beispiele aus seinem letzten Gedichtband „Inmitten meiner grünen Insel“. Darin gewichtet er persönliche Rückzugsorte zum Kraftschöpfen mit den Sonetten „Gartenklänge“ und „Blick von oben“.

Er betrachtet seinen Lebensweg im neuen Prosaband mit der Amberger Brille in Sichtweite und hält geschichtliche Besonderheiten wie die Wackersdorfer Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), das Seminar in Waldram, seine Lehrerzeit in Mittelfranken, den ersten Marathon und vieles andere fest. Bei der Lesung griff er vier Buchstaben heraus. Zweimal das f mit „Föhrenwaldram“ und „Fuchsbeck“. Die erste Geschichte handelt von der Kündigung als Industriekaufmann bei der Luitpoldhütte, um im Spätberufenenseminr St. Matthias in Waldram das Abitur in Kurzform nachzuholen. Die zweite ist eine humorige Episode über eine Privatlesung für Freibier bei einem Wirt in Sulzbach-Rosenberg, der die Dichter „richtig“ selbst rezitierte und korrigierte. Brandl war mit Harald Grill nach ihrer Lesung „Heimat bewusst erleben“ bei ihm eingekehrt. Dort erfuhren die beiden anschaulich, was aus dem „Weltei“ (Walter Höllerer) in der Provinz zu schlüpfen imstande ist.

Unter „Bundeskanzler“ ging es um das Zusammentreffen der Familie Brandl in den Ferien mit dem österreichischen Bundeskanzler bei einer Unterstützungsveranstaltung gegen die WAA am Wolfgangsee im Urlaubsdomizil von Bundeskanzler Helmut Kohl.

Vom besonderen Reiz des Unterwegsseins erzählte die kurze Geschichte „Goldene Straße“. Das Oberpfälzer Dichter-Trio mit tschechischen Freunden auf Wegen des Jan Hus traf sich „auf ein Pils“ und wanderte anschließend in drei Etappen von Pilsen in die Oberpfalz. Das Gehen vermittle einen Perspektivenwechsel und ermögliche somit Horizont- und Erfahrungserweiterung.

Auf intensiven Wunsch des Publikums hin las Brandl zum Abschluss eine urige Episode aus seiner Lehrerzeit in Dentlein bei Ansbach über ein üppiges Mahl für zehn Personen, das aus Kraut, Würsten, Kaffee und Kuchen der Nachbarn für die französischen Besucher zusammengestellt wurde.

„Stadtschreiber“ Friedrich Brandl Bild: rbr
„Stadtschreiber“ Friedrich Brandl
 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.