Während der Laudatio von Oberbürgermeister Jens Meyer hält Jost Hess die Hand seiner Ehefrau Ursula. „Ich bin da“, scheint er ihr damit zu signalisieren. Jahrzehntelang war das Ehepaar für andere da. Der 78-Jährige und seine 79-jährige, gesundheitlich angeschlagene Ehefrau erhielten am Montag im Neuen Rathaus in Weiden die Goldene Bürgermedaille für ihr Lebenswerk. 1985 haben sie den AK Asyl gegründet, aus dem die Hausaufgabenhilfe hervorging. Derzeit betreut diese knapp 200 Kinder aus 23 Nationen. Tausenden Kindern aus den Krisenregionen der Welt hat das Paar mit Unterstützung von Mitarbeitern und Ehrenamtlichen geholfen, sich zu bilden und in die Gesellschaft zu integrieren. Was aus Kindern wie diesen künftig wird: unklar. Denn nach über 40 Jahren endet die Hausaufgabenhilfe ab dem kommenden Schuljahr Schritt für Schritt, weil keine neue Leitung gefunden werden konnte.
Meyer bezeichnete das Paar als „leuchtende Beispiele für bürgerschaftliches Engagement und Menschlichkeit“. „Ihre Vision und ihr Handeln haben nicht nur das Leben vieler Menschen mit Fluchthintergrund bereichert, sondern auch unsere Gemeinschaft gestärkt.“ Aus einigen betreuten Kindern seien erfolgreiche Geschäftsleute in Weiden und andernorts geworden. „Sie sind Vorbilder für uns alle, und wir können stolz sein, Sie in unserer Gemeinschaft zu haben“, würdigte Meyer die Geehrten.
Mahnung zur Offenheit
Zur Verleihung der Goldenen Bürgermedaille waren neben Alt-Oberbürgermeister Kurt Seggewiß unter anderem Stadträte aller Fraktionen außer der AfD, Dezernenten, AK-Asyl-Mitarbeiter und Angehörige der Geehrten gekommen. Es sei bemerkenswert, dass die Auszeichnung zu einer Zeit stattfinde, „in der viel über Abschiebung und Abgrenzung geredet wird“, sagte Jost Hess. Er fand mahnende Worte: „Die Offenheit anderen Menschen gegenüber sollte ein Grundprinzip unserer Gesellschaft sein. Wir profitieren davon, dass andere anders sind. Das kann ich aus eigener Erfahrung umfassend und ganz klar sagen.“
Gerade Kindern sollte es ermöglicht werden, in die Gemeinschaft hineinzuwachsen – „dann tun wir viel dafür, dass wir uns nicht um kriminelle Jugendliche und Schulabbrecher unterhalten müssen“. Schulabbrecher habe es in vier Jahrzehnten AK Asyl nicht gegeben, hatte Hess bei anderer Gelegenheit gegenüber Oberpfalz-Medien gesagt. Und auch das: Wer sich selbst zurücknehme, gewinne etwas hinzu: „Ich habe erkannt, dass es uns sehr gut geht.“
Menschlichkeit vorgelebt
Jost und Ursula Hess engagierten sich auch in ihrem Privatleben mit außergewöhnlicher Hingabe. Mehrere Jahre lang nahm das Ehepaar, das selbst Kinder hat, Geflüchtete und Asylbewerber in Not im eigenen Zuhause auf. Ein Jahr und drei Monate lebte beispielsweise eine Familie mit sechs Kindern bei ihnen. Am Tag, als diese auszog, stand ein kurdisches Ehepaar überraschend vor ihrer Türe, das wegen eines Hausbrandes wohnungslos geworden war. Es lebte ebenfalls mehrere Monate lang bei Familie Hess.
Einen winzigen Moment lang brach Hess’ Stimme, als er über seine Frau sprach. „Ich weiß nicht, ob sie das alles hier versteht. Aber sie war eine treibende Kraft. Ich bedanke mich bei Ihnen besonders für meine Frau.“ Für ihre Verdienste wurde diese bereits 1993 mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet. Jost Hess, von 1984 bis 1991 Stadtrat in Weiden, erhielt 2014 das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten. Stellvertretend für den AK Asyl erhielten beide 2015 den Oberpfälzer Integrationspreis.
Nach der Auszeichnung folgte die Eintragung ins Goldene Buch der Stadt Weiden. Musikalisch untermalt wurde die Feier durch das Streicher-Duett der Franz-Grothe-Schule, Nicoletta Isaak und Efraim Matz.
AK Asyl und Hausaufgabenhilfe
- Gründung: 1985 durch Ursula und Jost Hess
- Hausaufgabenhilfe: betreut derzeit knapp 200 Kinder aus 23 Nationen; seit 2001 auf dem Niveau einer Offenen Ganztagsschule
- Aufgaben: Bildung (unter anderem lateinische Schrift, Deutsch, Lesen, Rechnen), aber auch Förderung von Gleichberechtigung, Selbstständigkeit, Konfliktfähigkeit, Integration und eigener Meinungsbildung
- Unterstützung: durch 37 Mitarbeiter und 13 Ehrenamtliche
- Ende: wegen mangelnder Nachfolge wird die Hausaufgabenhilfe nach über 40 Jahren eingestellt; derzeit wird geprüft, ob die Ehrenamtlichen sich mit ihrer Arbeit und Erfahrung an den Schulen einbringen können
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