Vergessene Helden: Jüdische Fußball-Pioniere beim FC Bayern und in Deutschland

Weiden in der Oberpfalz
27.08.2021 - 08:48 Uhr
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"Kicker"-Gründer Walther Bensemann, DFB-Mitbegründer Gus Manning, FC-Bayern-Präsident Kurt Landauer: Juden spielten eine Schlüsselrolle bei der Etablierung des Fußballs in Deutschland. Später wurden sie deportiert, ermordet und vergessen.

Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts: Patrioten stählen an Barren und Reck Muskeln und nationalistische Gesinnung, ganz wie es Friedrich Ludwig Jahn für seine Turnvereine gewollt hatte. Doch aus England schwappt eine neue Mode aufs europäische Festland: Ein von Kritikern als "undeutsch" bezeichneter Sport, bei dem junge Männer einem Ball hinterherjagen und versuchen, Tore zu schießen. Unter den Pionieren des Fußballsports in Deutschland sind viele Juden. Sie gründen Verbände und Vereine, pflegen den Austausch über Landesgrenzen hinweg, prägen die Entwicklung des späteren Lieblingssports der Deutschen. Ein paar Jahre später werden die jüdischen Fußballpioniere vertrieben oder in Konzentrationslager gesteckt. Nach dem zweiten Weltkrieg vergisst man sie Jahrzehnte lang - auch beim FC Bayern München. Bis die Ultras, die härtesten Bayern-Fans, auf die jüdische Historie ihres Vereins aufmerksam werden.

Doch warum war der junge Fußballsport Anfang des 20. Jahrhunderts so attraktiv für Deutsche jüdischen Glaubens? Darüber haben wir im FC-Bayern-Podcast „Weiter, immer weiter“ mit Professor Michael Brenner gesprochen. Brenner ist Sohn zweier Holocaust-Überlebender, gebürtiger Weidener, Fan des FC Bayern München und Inhaber des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Deutsche Juden hätten damals versucht, sich über Sportvereine zu integrieren, erklärt er. "Man wollte damit sagen: ‚Wir sind Teil dieser Gesellschaft.‘“ Und es gab weitere Gründe für junge, sportliche Juden, Fußballvereine zu gründen: Fußball galt Anfang des 20. Jahrhunderts als liberal, weltoffen, modern. Damit stand der junge Sport im Gegensatz zur konservativen Turnerbewegung. „Im Fußball hat man nicht dieses Deutschtümelnde gehabt wie in der Turnerbewegung des Turnvaters Jahn, die stark deutsch-national ausgerichtet war“, sagt Brenner. „Da gab es Strömungen innerhalb der Turnerbewegung, die antisemitisch waren und Juden ausgeschlossen haben.“

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Auch bei der Gründung und Etablierung des FC Bayern spielen bekannte jüdische Fußballpioniere eine große Rolle. Walther Bensemann hilft 1897 mit, im MTV München eine Fußballabteilung zu gründen. Gus Manning fördert im Jahr 1900 die Abspaltung dieser Fußballabteilung vom Hauptverein und damit die Gründung eines eigenständigen Fußballklubs. Es ist die Geburtsstunde des FC Bayern München. Treibende Kraft bei der Abtrennung ist auch Josef Pollack, der nicht nur Schriftführer des jungen FC Bayern wird, sondern auch der erste Torjäger des Clubs. Manning und Bensemann gehören 1900 zudem zu den Mitbegründern des DFB. 20 Jahre später ruft Bensemann außerdem die Zeitschrift "Kicker" ins Leben. Und er agiert für FC-Bayern-Präsident Kurt Landauer als Kontaktmann bei der Organisation internationaler Spiele.

Landauer – jüdischer Abstammung wie Bensemann, Manning und Pollack – ist beim FC Bayern eine der prägenden Figuren der ersten Jahrzehnte der Vereinsgeschichte. „Er war für den Aufstieg des FC Bayern in den 1920er und 1930er Jahren entscheidend“, betont Brenner. 1932 holte der Verein mit einem 2:0 gegen Eintracht Frankfurt unter Landauer seinen ersten deutschen Meistertitel. Trainer der ersten Meister-Elf des FC Bayern München war der gebürtiger Wiener Richard „Dombi“ Kohn. Auch er war Jude.

Doch alle sportlichen Erfolge helfen nicht, als der Antisemitismus in Deutschland immer stärker wird. 1933 kommt es zur Stuttgarter Erklärung: 14 süddeutsche Fußballvereine bekunden ihre Absicht, jüdische Mitglieder auszuschließen. Also jene Sportkameraden, die die Vereine drei Jahrzehnte vorher mitbegründet hatten. Die Erklärung unterzeichnen unter anderem Eintracht Frankfurt, der 1. FC Nürnberg, die SpVgg Fürth, der 1. FC Kaiserslautern, der TSV 1860 München sowie der FC Bayern München.

Wie konnte es passieren, dass auch der FC Bayern die Stuttgarter Erklärung unterzeichnete? Solch ein Verhalten sei zu dieser Zeit die Regel gewesen, sagt Brenner. „Das war auch an den Universitäten so, die ihre jüdischen Professoren entlassen haben. Deswegen kann man vielleicht sagen: Der FC Bayern mit seiner Tradition hätte sich schon etwas mehr zur Wehr setzen können. Aber das ist aus der Rückschau auch leicht zu sagen.“ Dem FC Bayern nutzt die Stuttgarter Erklärung ohnehin nicht viel in der Nazizeit. Den „Roten“ haftet nach wie vor das Emblem „Judenverein“ an. Der lokale Konkurrent TSV 1860 München wird zum Vorzeigeclub.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist alles anders. Millionen Juden sind vertrieben, verschleppt, ermordet. Viele der Überlebenden sammeln sich in der amerikanischen Besatzungszone, vor allem in Bayern. Sie wollen wieder ein normales jüdisches Leben. Dazu gehören eigene, rein jüdische Sportvereine. Denn Partien gegen etablierte deutsche Vereine sind undenkbar. Schließlich müssten die jüdischen Spieler ständig denken: "Hat mein Gegenspieler vielleicht meine Familie umgebracht? War er bei der SS?" In Weiden in der Oberpfalz gründet sich der Fußballklub Makkabi Weiden. Von Anfang an dabei: Hermann Brenner, ein Holocaust-Überlebender und Vater von Professor Michael Brenner. Der erinnert sich: „Mein Vater war begeistertes Mitglied bei Makkabi Weiden. Er spielte nicht mehr selbst. Aber er war Schiedsrichter.“ Makkabi Weiden gibt es nicht lang. Wie viele andere jüdische Fußballvereine löst sich der Club auf, als die meisten Aktiven nach 1948 in den neu gegründeten Staat Israel auswandern. So wie Familie Brenner in Deutschland, dem Land der Täter, zu bleiben – das können sich nur wenige Holocaust-Überlebende vorstellen.

In den 1950er und 1960er Jahren ist die deutsche Vergangenheit vor 1945 kein Thema im gesellschaftlichen Diskurs. Deutschland freut sich über das Wunder von Bern und das Wirtschaftswunder. Die jüdischen Fußballpioniere werden vergessen.

Ab den 1970er Jahren folgen zwei parallele Entwicklungen. Einerseits erstarkt der Antisemitismus auf den Fußballplätzen. „Jude“ wird für einige Fußball-Fans wieder ein Schimpfwort. Er ist es bis heute. Andererseits gibt es nun mit Ajax Amsterdam und Tottenham Hotspur zwei europäische Topvereine, deren Fanszenen sich zum Teil stolz als „Yid Army“ oder „Super Jews“ bezeichnen – obwohl kaum Juden unter den Fans sind. Die Fans dieser Vereine seien von Fans anderer Vereine als Juden beschimpft worden, erklärt Brenner. "Da haben diese Fans dann aber gesagt: ‚Na gut, dann nehmen wir das jetzt an. Und wir bezeichnen und als Yid Army.‘" Der Begriff "Yid" sei eigentlich ein abfälliger Begriff, so Brenner. "Aber diese Fans haben das als stolzen Begriff genommen."

Die Kurt-Landauer-Choreo der FC-Bayern-Südkurve am 2. Februar 2014

In Deutschland dauert es bis Anfang der 2000er, bis man sich an die jüdischen Fußballpioniere erinnert. Eine Schlüsselrolle spielen die Ultras des FC Bayern München. Sie beginnen, Vorträge und Diskussionen zu dem Thema zu veranstalten. Sie organisieren das antirassistische Turnier um den Kurt-Landauer-Pokal. Und sie gestalten spektakuläre Choreografien in der Südkurve der Allianz-Arena, die dem Thema bundesweit Präsenz in den Medien garantieren. Die Vereinsführung des deutschen Rekordmeisters ist von dem Thema zunächst nicht sonderlich angetan. "Ich habe 2006 versucht, den FC Bayern für das Thema zu interessieren", erinnert sich Brenner. "Das war ein bisschen schwierig."

Später hat die Vereinsführung das Thema dann doch für sich entdeckt. Doch die Wertschätzung des jüdischen Erbes des FC Bayern ist nach wie vor ein strittiges Thema. Ein Konfliktpunkt ist das wirtschaftliche Engagement des deutschen Rekordmeisters in Katar, einem absolutistischen Emirat am Persischen Golf, in dem Menschenrechte keine große Rolle spielen. „Bei den heutigen jüdischen Fans des FC Bayern ist das schon problematisch“, sagt Brenner. Denn Katar habe terroristische Vereinigungen unterstützt, die Israel bedrohen. Allerdings sei der FC Bayern bei weitem nicht der einzige europäische Spitzenklub, der wirtschaftliche Beziehungen zu Staaten am Persischen Golf pflege. Der FC Bayern ist trotz seiner Geschichte also einmal mehr eher die Regel als die Ausnahme.

Hintergrund:

Das ist Prof. Dr. Michael Brenner

  • Geboren 1964 in Weiden i.d. Oberpfalz
  • Abitur 1983 am Kepler-Gymnasium
  • Inhaber des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur, Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz
  • Wissenschaftlicher Beirat u.a. in der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, der Grab- und Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Flossenbürg, des jüdisches Museums Berlin
  • Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
  • Mitglied der American Academy for Jewish Research
 
 

Kommentare

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Ewald Zenger Stadtjugendring

Über den Artikel und die darin enthaltenen Infos und Einschätzungen habe ich mich sehr gefreut. Vor allem deshalb, weil wir die Wanderausstellung "Verehrt Verfolgt Vergessen - Opfer des Nationalsozialismus beim FC Bayern München" in 2017 in Weiden zeigen durften und darum herum ein großartiges Rahmenprogramm gestalten konnten. Mit "wir" meine ich die Jüdische Gemeinde Weiden, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Weiden, den FC-Bayern-Fanclub "D'WEIDNA", das Aktionsbündnis "Weiden ist bunt" und den Stadtjugendring Weiden. Der im Artikel interviewte Prof. Dr. Michael Brenner referierte über die "Juden im europäischen Sport zwischen den Weltkriegen", Publizist Alexander Feuerherdt nahm "Genese und Gegenwart des Antisemitismus im Fußball" in den Fokus und Historiker Dr. Sebastian Schott führte durch das jüdische Weiden. Gedenkstättenleiter Dr. Jörg Skriebeleit eröffnete mit einem bemerkenswerten Impulsreferat die Ausstellung und lud anschließend zu einem zauberhaft schönen Violinkonzert mit Liv Migdal in die Michaelskirche ein. Großartig war die Begegnung mit Weltmeister und kantigem bayerischen Original Klaus Augenthaler in einer Diskussion mit einem Ultra der Südkurve über die Gewalt im Fußball. Mein persönlicher Höhepunkt war die Begegnung von etwa einhundert Mädchen der Sophie-Scholl-Realschule mit dem Ehepaar Prof. Dr. Alexander Fried und Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried, die beide aus ihrer Jugendzeit berichteten und von den schrecklichen Erfahrungen mit dem Mörderregime der Nationalsozialisten. Während der Ausstellungszeit vom 19.04.-30.04.17 wurde immer wieder der Film "Kick It Like Kurt" gezeigt, um an das Leben und Wirken des FC-Bayern-Präsidenten Kurt Landauer zu erinnern.

18.08.2021