Das Gesicht der Autorin kommt vielen Besuchern der Lesung am Donnerstagabend im Saal der Regionalbibliothek bekannt vor. Kein Wunder. Vor ihnen sitzt die aktuelle Erste Stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, die sich in Bundespressekonferenzen den Fragen der Journalisten oder in Fernseh-Talkshows stellt. Hoffmann liest Passagen aus ihrem neuen Buch "Alles, was wir nicht erinnern". Mitten in Zeiten der neuen Kriegsangst in Europa lenkt sie darin als Kriegsenkelin sehr einfühlsam und poetisch den Blick auf die Flucht ihres Vaters 1945 als Neunjähriger aus dem schlesischen Dorf Rosenthal. Den Zuhörern kommen schnell beklemmende Parallelen zum gegenwärtigen Ukraine-Krieg in den Sinn.
Spontan, wie sie zugibt, ist sie im Januar 2020 ins heutige Rózyna aufgebrochen und von dort in drei Wochen 550 Kilometer zu Fuß und allein nach Westen bis ins tschechische Krizovatka (früher Klinghardt und 18 Kilometer nordöstlich von Eger gelegen) den damaligen Fluchtweg ihres Vaters nachgegangen. Erlebt hat sie dabei nicht nur Wander- und Wetterstrapazen, sondern viele Begegnungen in Kirchen, Gasthäusern und Küchen, auch mit Zeitzeugen. In einer Passage beschreibt sie die herzliche Begegnung mit den jetzigen Bewohnern des großväterlichen Hofs, ebenfalls Kriegsenkel.
„Das Buch ist nicht nur eine Reisereportage, sondern zugleich eine Familiengeschichte“, bringt es Sabine Guhl, Leiterin der Regionalbibliothek und Moderatorin der Lesung, treffend auf den Punkt. Zwischen den einzelnen Blöcken erhalten Zuhörer die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Sie machen davon regen Gebrauch. Hoffmann hat ein sehr persönliches Buch mit großer literarischer Erzählkunst geschrieben und bekommt am Ende großen Applaus. Sie hat nicht nur das Trauma ihres Vaters verstanden, sondern auch, was es heißt, durch Flucht seine existenzielle Sicherheit von einer Stunde auf die andere zu verlieren, so wie es aktuell auch den Flüchtlingen aus der Ukraine ergeht.














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