Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gübel, das kommissarische Vorstands-Trio der SPD, sind die Adressaten des Schreibens, das SPD-Stadtrat Gerald Bolleininger im Namen seines Ortsvereins Weiden-West/Vorderer Rehbühl verschickt hat. Eingehend hätten die Mitglieder in ihrer Vorstandssitzung am Dienstag die Situation der Partei beraten. "Wir haben keine Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen", heißt es im Anschreiben.
Für die Mitglieder des Ortsvereins sei Fakt: "Ein Umfragetief jagt das nächste. Uns laufen die Wähler und Mitglieder weg. In Bayern ist die Landes-SPD nur noch deshalb wahrzunehmen, weil es die Kommunalpolitik gibt. Ohne Personen wie Reiter (München), Maly (Nürnberg), Seggewiß (Weiden) und ohne kommunalpolitische, volksnahe Mandatsträger wie Stadt- und Kreisräte besteht die Gefahr, dass die SPD unter die 5-Prozent-Marke fällt und im Nirwana verschwindet. Wir sind uns einig, so kann und darf es nicht weitergehen."
Die SPD müsse wieder zu einer Volkspartei werden und die Bürger zwischen Mitte Links und Mitte Rechts vertreten. "Wir haben das eigentliche Klientel übersehen." Von der künftigen Parteiführung würden sich die Ortsvereins-Mitglieder ein breites Politikangebot erwarten. Im "offenen Brief" werden unter anderem als Bedingungen genannt:
Grundrente: Die muss kommen, mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung. Nachbessern kann man immer. Hier muss die SPD mal
nachgeben. Aber ohne die Einführung der Grundrente verlieren wir weiter an Glaubwürdigkeit.
Rente allgemein: Jemand, der 35 Jahre in die Rentenversicherung einbezahlt hat, muss mindestens 20 Prozent über der Armutsgrenze liegen. Pro weiteres Jahr mindestens 1 Prozent mehr.
Armut: Es darf nicht sein, dass in einem der reichsten Länder, die Armutsgrenze über 5 Prozent liegt. Hier muss das Geld der Bürger sorgsamer ausgegeben werden, nicht so viel nach Europa. Die Vermögenssteuer darf kein Tabu sein.
Klima: Nicht nur auf Europa schauen und Europa als Ausrede aufnehmen, sondern selbst aktiv werden. Warum gibt es einen Mülltourismus? Unser gelber Sack muss korrekt wiederverwertet werden und nicht in der Dritten Welt entsorgt werden. Ein zukunftsfähiges Konzept muss erarbeitet werden.
Für den Ortsverein, der sich beim Mitgliederentscheid klar gegen die Groko ausgesprochen hatte, wie er sagt, sei der Koalitionsaustritt das einzige Mittel, sollten die Bedingungen nicht umgesetzt werden. Von der künftigen Parteiführung wünsche man sich unverbrauchte, neue Führungskräfte.
Wer diese sein könnten, werde vermutlich eine Mitgliederbefragung klären. "Die muss es in jedem Fall geben", sagt Oberbürgermeister Kurt Seggewiß auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien zur Aktion des Ortsvereins. "Ich schätze, es wird einen vorgezogenen SPD-Parteitag geben." Für den Unmut an der Basis über den Zustand der Bundes- und Landes-SPD nach den katastrophalen Wahlergebnissen der Europa- und Bremen-Wahl habe er Verständnis. Grundsätzlich herrsche in den Weidener Ortsvereinen Zuversicht, was die bevorstehende Kommunalwahl angeht. "Wir sind glänzend aufgestellt." Einen Mitgliederschwund sieht Seegewiß nicht. "Im Unterbezirk laufen uns mit Sicherheit keine Mitglieder weg. In Weiden gab es sogar Neueintritte", sagt er.
Das kann Claudia Hösch von der SPD-Geschäftsstelle Weiden bestätigen. Auf Nachfrage nennt sie 32 Neuzugänge in den vergangenen fünf Monaten. "Erst heute habe ich mehrere Neuaufnahmen bearbeitet." Es habe keine Austrittswelle nach der Europawahl gegeben. Der SPD-Unterbezirk Weiden-Neustadt-Tirschenreuth zählt 2658 Mitglieder (Stand: 31. Mai 2019). Vor über einem Jahr, im Februar 2018 waren es 2872. "Wegzug, Sterbefälle, die Fluktuation liegt im üblichen Rahmen", erklärt Hösch den leichten Rückgang. Sie habe das Gefühl, dass viele Mitglieder abwarten würden, was in den kommenden Wochen auf Bundesebene passiert.
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