31.08.2018 - 16:31 Uhr

Werkstätten für Glück und Lebenssinn

Philipp stürmt voller Freude auf Eduard Freisinger zu und umarmt ihn. "Na, hast du Pause oder musst du arbeiten?", fragt der Chef der Lebenshilfe den jungen geistig behinderten Mann ebenso herzlich. Der antwortet stolz: "Ich darf arbeiten!"

Jura-Werkstätten-Geschäftsführer Bernhard Albrecht (stehend links) und Lebenshilfe-Chef Eduard Freisinger (stehend rechts) sind stolz auf ihre Mitarbeiter und das, was sie leisten. Zum Beispiel bei Montage und Verpackung. Bild: Wolfgang Steinbacher
Jura-Werkstätten-Geschäftsführer Bernhard Albrecht (stehend links) und Lebenshilfe-Chef Eduard Freisinger (stehend rechts) sind stolz auf ihre Mitarbeiter und das, was sie leisten. Zum Beispiel bei Montage und Verpackung.

Mit dem Hilfsverb drückt Philipp aus, wie gerne er hier beschäftigt ist. Wir befinden uns in den Jura-Werkstätten an der Raiffeisenstraße. Genauer gesagt im hochmodernen lichtdurchfluteten Neubau der Einrichtung für Menschen mit Handicap, der von Herbst 2015 bis Frühjahr 2018 direkt neben dem bisherigen Standort in Milchhof-Nähe hochgezogen wurde. Die alten Gebäude stehen noch, aber ihnen trauert niemand mehr nach. Zum einen, weil sie sowieso seit langem zu klein und nicht mehr zeitgemäß waren. Zum anderen, weil sich die behinderten und nichtbehinderten Mitarbeiter in ihrem neuen Haus seit April schon so gut eingelebt haben und wohlfühlen, dass keiner mehr weg will.

Wie groß die Begeisterung über den Umzug war, sieht man zum Beispiel daran, dass viele Beschäftigte beim Verlegen ihres Arbeitsplatzes gerne mitgeholfen haben. Nachdem es tatsächlich nur rund 100 Meter vom alten zum neuen Eingang sind, brachten die Mitarbeiter Teile ihres Umfelds entweder selber über die Grundstücksgrenze oder luden sie in Gitterboxen, die nur per Gabelstapler über die kleine Trennmauer gehoben werden mussten, um drüben an Ort und Stelle von ihren "Besitzern" wieder ausgepackt zu werden.

Dreieinhalb Monate später ist der Umzugsstress, der sich dank guter Organisation in Grenzen gehalten hatte, längst gewichen und die Menschen mit geistiger und teils mehrfacher Behinderung empfinden Glück und Freude in ihrem neuen Domizil. Das ist ihnen auch bei einem Rundgang durch die Werkshallen und anderen Bereiche des großzügig angelegten Hauses anzusehen.

Umarmung leicht gemacht

Szenen wie die eingangs geschilderte, spielen sich auch mit anderen Leuten ab, wenngleich sie für den Vorsitzenden der Lebenshilfe (LH) Amberg-Sulzbach und Jura-Werkstätten-Geschäftsführer Bernhard Albrecht besonders befriedigend sind. Zeigen sie doch, dass die beiden zusammen mit dem LH-Vorstand und Architekt Michael Flierl offensichtlich alles richtig gemacht haben. Dass in ihrem Haus eine Atmosphäre herrscht, die gehandicapte Mitarbeiter genauso zu schätzen wissen, wie das nichtbehinderte Personal der Verwaltung und aller anderen Bereiche, das zusammen mit dem zweiten Standort in Sulzbach-Rosenberg rund 190 Köpfe ausmacht.

Alle finden ein modernes freundliches Arbeitsumfeld vor, das vor allem auf die Beschäftigten mit geistiger Einschränkung sehr positiv wirkt. Wie das Beispiel von Philipp zeigt, der nach dem herzlichen Hallo für Eduard Freisinger eilig an seine Werkbank zurückkehrt, um an diesem etwas kürzeren Arbeitstag am Freitag sein vorgesehenes Pensum bis 14.15 Uhr zu bewältigen. Überhaupt sind es von 7.40 bis 15.45 Uhr an den anderen Werktagen im Prinzip normale Arbeitszeiten, zu denen die derzeit 320 Beschäftigten der Jura-Werkstätten Amberg tätig sind (in Sulzbach-Rosenberg arbeiten weitere 150 Leute mit psychischen Erkrankungen). Jeder tut dabei an seiner Stelle das, was er kann und gelernt hat.

"In einer am Normalisierungsgedanken orientierten Arbeitsumgebung verstehen wir Arbeit als Mittel zur Förderung", erläutert Bernhard Albrecht, "so erfüllen wir unseren gesetzlichen Auftrag der beruflichen Rehabilitation und haben für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Beeinträchtigungen entsprechende Angebote". An der Raiffeisenstraße gibt es neben Montage- und Verpackungstätigkeiten auch Metallbearbeitung, einen Hauswirtschaftsbereich sowie die Küche samt Mitarbeiterkantine und Catering-Service (unter anderem zur Mittagsversorgung von Schulen und Kindergärten). Stolz sind die Jura-Werkstätten auf drei gehandicapte Kollegen, die die Küchenhelferprüfung geschafft haben und jetzt hier fleißig mithelfen.

Das ist laut Freisinger und Albrecht eines der vorrangigen Ziele: der Versuch, den Menschen eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt zu geben. Dass das klappt, zeigen etliche sogenannte Einzel- und Außenarbeitsplätze. Hier sind die Menschen direkt bei einer Firma vor Ort tätig. Zu den Unternehmen, die diese Möglichkeit bieten, zählen nach Albrechts Auskunft Lüdecke, Moedel, Herding, die Caritas und die Stadt Hirschau bzw. der Freizeitpark Monte Kaolino.

"Wunder darf man nicht erwarten", sagt Freisinger über den wünschenswerten Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt, aber eine höherwertige Tätigkeit könne etlichen Betroffenen in den Jura-Werkstätten dennoch öfter vermittelt werden. Zumal im Berufsbildungsbereich - auch er ist am neuen Standort jetzt viel größer und bietet mehr Möglichkeiten - Module einer "echten" Lehre vermittelt werden, wenngleich keine komplette Ausbildung möglich sei.

Kreatives, Sport und Band

Auch auf eine Übergangsgruppe - später soll eine zweite hinzukommen - sind die Jura-Werkstätten stolz. Hier sind Menschen mit Behinderung untergebracht, die keinen ganzen Arbeitstag durchstehen und deshalb auch anderweitig betreut werden. Überhaupt gehören zum Angebot der Einrichtung ebenso Kreativ- und Computerkurse sowie Sportaktivitäten. Es gibt zum Beispiel eine eigene Fußballmannschaft und zwei Tischtennis-Teams, von denen eines sehr erfolgreich in der Bayernliga der Behinderten-Werkstätten mitmischt. Ein Highlight ist ferner die hauseigene Jura-Band, die zuletzt beim Tag der offenen Tür auftrat und mit Songs der Toten Hosen und von Andreas Bourani begeisterte.

Generell war dieser Tag ein Riesenerfolg, weil laut Freisinger an die 4000 Besucher kamen und sich für die Einrichtung interessierten. Die Mehrheit von ihnen habe zum ersten Mal diesen Blick hinter die Kulissen gewagt und sei überrascht gewesen, wie "normal" der Arbeitsalltag der Werkstätten trotz ihrer besonderen Mitarbeiter aussieht.

Eine weitere Vorzeigeeinrichtung an der Raiffeisenstraße - sie befindet sich zusammen mit dem Berufsbildungsbereich im Unterliegergeschoss des ansonsten erdgeschossigen Neubaus - ist die Förderstätte für Schwerstmehrfachbehinderte. Sie ist mit 27 Personen eigentlich ausgelastet, wenngleich Eduard Freisinger weiß, dass der Bedarf für solche Plätze weiter steigt. Hier kümmern sich mit einem Personalschlüssel von im Schnitt drei zu eins insgesamt neun Fachleute um die Menschen, die die Jura-Werkstätten ebenfalls "Beschäftigte" nennen, obwohl sie nicht wirklich in der Lage sind, beruflich tätig zu sein. Hier geht es vor allem darum, eine Tagesstruktur zu geben und letztlich auch die Angehörigen werktags von der Betreuung zu Hause zu entlasten.

Für rund acht Stunden von Montag bis Freitag leistet die Einrichtung diesen wertvollen menschlichen und fachlichen Dienst, den Heilerziehungspfleger, gelernte Kranken- und Altenpfleger sowie eine Krankenschwester verrichten. Sie finden in der Förderstätte bestens geeignete Räume, zum Beispiel mit speziellen WCs und Wickeltischen samt Liftanlagen oder auch zwei sogenannte Snoezelen-Räume mit Licht- und Soundeffekten zur Beruhigung sowie ein nagelneues Therapiebad vor.

Im Blickpunkt:

Puffer, damit der BMW nicht klappert

Was sind wir Bayern stolz auf unsere Premium-Automarke BMW. Die Beschäftigten der Jura-Werkstätten sind es ganz besonders, denn sie stellen Teile für einen Zulieferer her, die direkt im Innenraum der Nobelkarossen landen. Es sind Puffer aus Kunststoff und Filz, die dafür sorgen, dass Verkleidungsstücke und Armaturen fest sitzen und nicht klappern. Auch für Mercedes oder die bekannten Landmaschinenhersteller John Deere und Fendt produziert der als Verein firmierende Betrieb wichtige Teile. Und sogar Waschmaschinen, zum Beispiel von Miele, kommen nicht ohne Dämmmaterial aus Amberg aus. (ath)

Das sind sie, die Pufferteile für BMW, die bei den Jura-Werkstätten ausgestanzt und mit Filz beklebt werden. Bild: Wolfgang Steinbacher
Das sind sie, die Pufferteile für BMW, die bei den Jura-Werkstätten ausgestanzt und mit Filz beklebt werden.
Der Neubau ist 110 Meter lang und zeigt sowohl von vorn als auch nach hinten zur Leopoldstraße hin sein modernes Gesicht. Im rückwärtigen Teil ist noch der Fahrdienst angesiedelt. Bild: Wolfgang Steinbacher
Der Neubau ist 110 Meter lang und zeigt sowohl von vorn als auch nach hinten zur Leopoldstraße hin sein modernes Gesicht. Im rückwärtigen Teil ist noch der Fahrdienst angesiedelt.
Hintergrund:

Soziale Anerkennung und Wertschätzung

Insgesamt rund 22 Millionen Euro hat der Neubau der Jura-Werkstätten gekostet, der nicht nur bessere Arbeitsbedingungen in allen Bereichen geschaffen hat, sonderen vor allem mehr Platz bringt. Eine Fläche von über 9300 Quadratmetern beinhaltet noch einige Reserven, um zum Beispiel den einen oder anderen Beschäftigten mehr aufnehmen zu können.

Dahinter steckt der gesetzliche Auftrag der Jura-Werkstätten: Sie sind eine Einrichtung der beruflichen Rehabilitation. Heißt konkret: Die Mitarbeiter sind auch „Kunden“; sie sollen ihre Leistungs- und Erwerbsfähigkeit erhalten, entwickeln oder wiederherstellen können, um ihnen so Beschäftigung zu ermöglichen und zu sichern.

Bezirkstagspräsident Franz Löffler hat den Auftrag so umschrieben: „Für diese Menschen schafft die Teilhabe am Arbeitsleben mehr als Einkommen. Neben dem Verdienst erleben die Beschäftigten in dieser Einrichtung der Lebenshilfe soziale Anerkennung und Wertschätzung.“ (ath)

 
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